Super entspannt, super beliebt, super teuer – der Haken an Formentera
Auf Formentera fühlt man sich wie auf einem Kreuzfahrtschiff, das niemals ablegt. Kaum ein Ort auf der kleinen Insel, von dem man nicht das glitzernde Mittelmeer sehen könnte. Kaum ein Restaurant, das sich nicht eine erstklassige Lage am Wasser gesichert hätte, sodass man seinen Aperitif wie auf einem Außendeck zum Rauschen der Wellen trinken kann. Und fast immer scheint die Sonne.
Formentera, die südlichste der Baleareninseln, gehört zu den trockensten Ecken Europas. Der Wind bläst aus Afrika, die Wolken ziehen über die flachen Felsen hinweg und regnen sich erst auf Ibiza ab oder an den tausend Meter hohen Gipfeln Mallorcas. Mittelmeer und Himmel verschmelzen in schönstem Blau, eine endlose, ätherische Weite. Alles wird leicht und ruhig, so wie es sein soll.
Als wäre das nicht schon genug des Lobes, gelingt auf dem kleinen Eiland noch etwas anderes besonders gut: das Nichtstun. Denn was sonst kann man tun außer baden, Rad fahren, wandern, essen und trinken? Vielleicht ein wenig shoppen. Oder eines der beiden Weingüter besichtigen. Und den alten weißen Leuchtturm auf der Klippe von La Mola.
Dass die Uhren auf Formentera anders ticken, merkt man sofort, wenn man in La Savina aus der Fähre von Ibiza tritt (einen Flughafen gibt es nicht). Das Tempo verlangsamt sich, Hast und Eile wirken sinnlos. Allenfalls ein paar Eidechsen hetzen vorbei. Direkt an der Mole wartet die erste Bar. Die Theke ist offen, damit man sich nicht die Mühe machen muss, eine Tür aufzustoßen. Man kann sich an der frischen Luft niederlassen und einen Cafecito trinken. Oder ein erstes Bier.
Gekommen, um zu bleiben
Wenn man Zugewanderte fragt, Ana Jiménez García zum Beispiel, die beste Köchin der Insel (über sie wird noch zu sprechen sein), hört man es immer wieder: Die Ruhe ist es, warum sie gekommen sind, um zu bleiben. Ana hat ihre Heimatstadt Barcelona, wahrlich kein schlechter Ort zum Leben, vor 17 Jahren gegen Formentera eingetauscht und die Entscheidung nie bereut.
Oder Natalia Surop, die aus Argentinien übersiedelte, als Lehrerin arbeitet und im Nebenjob Weinproben in der Bodega Terramoll veranstaltet. Natalia liebt die Stille, das gemächliche Lebenstempo, als sei die Insel ein Zeitloch, in dem gerade erst der elektrische Strom eingeführt wurde. Den Wein brachten zum Glück schon die Phönizier mit.
Schließlich Marcella Escandell, vor 29 Jahren in Hildesheim als Tochter einer Deutschen und eines Spaniers geboren, die sich in einen Mann aus Formentera verguckte. Auch Marcella musste nicht lange überlegen, wo ihre eigene Familie Wurzeln schlagen sollte: auf der Insel ihres Vaters.
Nun arbeitet sie als Tourguide, vermietet eine Ferienwohnung, spricht Deutsch, Spanisch und den lokalen Dialekt des Katalanischen. Die Essenz der Insel, das Leben mit einem Ruhepuls unter 60, hat sie verinnerlicht. „Es ist ein anderer Lebensstil“, sagt sie, „ruhiger, entspannter, menschlicher“.
Viel teurer als Mallorca
Dafür ist Marcella bereit, einen Preis zu zahlen, und das ist wörtlich zu verstehen. Formentera ist teuer. Nicht nur für Gäste, die wie auf anderen Baleareninseln die Ecotasa, eine Touristensteuer von bis zu sechs Euro pro Nacht, berappen müssen, und zusätzlich noch eine Abgabe von neun Euro täglich, falls sie ein Auto mitbringen. Viele Unterkünfte sind schlicht, kosten aber das Doppelte oder Dreifache von Mallorca. Es gibt nur ein einziges Fünf-Sterne-Hotel und eine einzige mehrstöckige Hotelburg am Strand.
Auch für die Einheimischen sind die Preise hoch. „Das Benzin ist teuer“, sagt Marcella, „sodass viele zum Tanken mit der Fähre hinüber nach Ibiza fahren.“ Und dort dann auch gleich im Discounter ihren Wocheneinkauf erledigen. Wer auf Formentera dauerhaft leben möchte und nicht schon in der Familie Grund besitzt, hat ein Problem. Wohnungen sind rar und teuer, ein frei stehendes Haus ist kaum unter einer Million Euro zu bekommen.
Einst galt Formentera als Hochburg der Hippies. Die Einheimischen nannten die freizügigen Besucher Peluts, die Haarigen. Amerikanische, britische und französische Aussteiger machten auf der Insel Halt auf dem Weg nach Indien und Fernost. Damals war das Leben noch günstig. Kaum jemand wollte sonst in den 1960er-Jahren nach Formentera.
Essen bekam man vom Bauern im Tausch gegen Feldarbeit. Als Erinnerung an die Zeiten findet in Es Pilar de la Mola von Mai bis Oktober zweimal pro Woche ein Hippie-Markt statt mit Selbstgebasteltem und Selbstgemachtem. Hier und da sieht man noch ein paar Unangepasste, etwa als Betreiber einer Strandbar in Es Pujols. Auch die beiden beliebten Tränken aus Hippie-Zeiten, die „Blue Bar“ am Strand von Migjorn und die „Fonda Pepe“ neben der Dorfkirche in Sant Ferran, existieren noch.
Wer die Insel genießt, so wie Köchin Ana Jiménez, will sie bewahren. Deswegen hat Ana ihre Küche im Restaurant „Quimera“ der Nachhaltigkeit verschrieben. Nur saisonale Lebensmittel kommen bei ihr auf den Tisch, nach angepassten Rezepten ihrer Großmutter. Sie hätte sich dafür kaum ein schwierigeres Terrain aussuchen können.
Auf Formentera wächst von Natur aus nicht viel. Mit Ibiza und 14 weiteren Inseln gehört es zur Gruppe der Pityusen. Die alten Griechen nannten den Archipel so wegen der dichten Pinienwälder – aus denen man in der Küche freilich wenig zaubern kann. Aus dem Gemüsegarten des Restaurants entnimmt Ana Auberginen, Paprika, Fenchel, Karotten und Tomaten, die nicht so viel Wasser brauchen.
Nicht einmal das Meer vor der Tür macht es ihr einfach. Der meiste Fisch, der in den Lokalen aufgetischt wird, wird eingeflogen, er kommt aus Galicien oder der Türkei. Ana will das vermeiden und beschränkt sich deshalb auf Tintenfisch und Gambas aus dem westlichen Mittelmeer. Das Fleisch wiederum kommt von Ibiza: Schweine und Hühner. Milch von den Ziegen eines hiesigen Bauern.
Küchenkunst trotz Widrigkeiten
Umso bemerkenswerter ist, was Ana aus den wenigen Schätzen macht: gegrillte Aubergine mit geräucherter Burrata, Carpaccio von roten Garnelen mit Limettencreme und Wermut-Reduktion, Cannelloni gefüllt mit Hühnchen in Rotwein, Pflaumen und Pinienkernen. Ihre Küchenkunst brachte ihr eine Empfehlung vom „Guide Michelin“ ein.
Ohnehin kann man auf Formentera sehr gut essen – abwechslungsreich und kreativ, nie überkandidelt. Die Gastronomen der Insel wissen ihre Restaurants an außergewöhnlich schönen Stellen zu platzieren. Gleich drei familiengeführte Gaststätten liegen nahezu nebeneinander in dem kleinen Küstenort Es Caló de Sant Agustí: „Can Rafalet“, „Es Caló“ und „Can Pasqual“ mit einem gemütlichen Innenhof.
Jedes ist zu empfehlen. Den schönsten Blick aber hat „Can Rafalet“. Der Koch muss es den Gästen nachsehen, dass sie häufiger auf das türkisfarbene Wasser der Bucht schauen als auf ihre Teller.
Empfehlenswert auch „Sa Palmera“ am Strand von Es Pujols und das „Café del Lago“ direkt neben dem „Quimera“ in La Savina. Die Karte des Cafés enthält spanische Standards wie mit Kabeljau gefüllte Kroketten oder Iberico-Schwein vom Grill, aber auch hervorragende italienische Speisen wie Rinder-Carpaccio mit Olivenöl und Parmesan, Paccheri mit Thunfisch und Zitronen-Gremolata.
Diese Vermählung der beiden Mittelmeerküchen in einem Haus ist kein Zufall, aber eines der großen Rätsel der kleinen Insel. Erstaunlich viele Italiener verbringen ihren Urlaub auf Formentera, weit mehr als anderswo auf den Balearen. Nur warum? Schließlich mangelt es Italien nicht an schönen Inseln und Stränden.
Seinen Anfang nahm das Phänomen in den 1980er-Jahren, als die Hippies gerade abgezogen waren. Es gibt Vermutungen: Ein besonders engagierter italienischer Reiseveranstalter soll damals das türkisfarbene Wasser als europäische Karibik beworben haben, nur eine Flugstunde von der Heimat entfernt.
Andere glauben, dass zuerst italienische Profi-Fußballer das Ziel entdeckten, weil sie hier fernab der Fans in Ruhe am Strand liegen konnten. Die Fans kamen irgendwann doch noch hinterher. Selbst die „New York Times“ hat sich schon mit dem Thema befasst und sogar beim Trainer des AC Mailand nachgefragt, der Formenteras Schönheit lobte – aber keinen anderen stichhaltigen Grund nennen konnte.
Fest steht: Im Sommer wird Italienisch neben Spanisch und Katalanisch zur dritten Verkehrssprache der Insel. Auf der einzigen Landstraße, der PM-820, knattern junge Paare wie in Neapel auf Motorrollern entlang. Nicht wenige von ihnen, so berichtet Tourguide Marcella, unterschätzten die holprigen Feldwege und tückischen spanischen Kreisverkehre, viele landeten mit Schürfwunden und geprellten Gliedmaßen im einzigen Krankenhaus und machten Formentera im Sommer zur „Insel der verletzten Italiener“.
Am Ende aber wird es wohl an der beschriebenen Lebenskunst liegen, dass die Italiener seit Jahrzehnten herbeiströmen. Denn wer verstünde das süße Nichtstun, das berühmte „Dolce far niente“, besser als die Gäste aus Rom, Neapel oder Mailand?
Besucher sollten also auf den gefährlichen Roller verzichten und stattdessen das Fahrrad nehmen. Es gibt außer dem Wandern keine bessere Möglichkeit, die Insel mit ihren Dörfern, Pinienwäldern und kargen Wiesen zu erkunden.
Bartolome Torres Mayans vermietet E-Bikes direkt am Hafen in La Savina und bietet auch seine sachkundige Begleitung an. Hier geboren, kennt er die schönsten Strandbars, weiß, wo der deutsche Barcelona-Coach Hansi Flick wohnt (in Porto Saler bei La Savina) und wo es die beste Paella gibt (in dem versteckt liegenden Lokal „Pelayo“ am Strand von Migjorn).
Bartolome empfiehlt für eine Inseltour auf zwei Rändern drei Stunden: „Man sieht ausreichend viel, und es ist nicht zu anstrengend.“ Ein Erfahrungswert aus drei Jahrzehnten, der fast immer zutraf. Nur bei einem Kunden im vergangenen Jahr nicht. Der Gründer eines weltweiten sozialen Netzwerks kam mit seiner 300-Millionen-Dollar-Yacht von Mallorca herüber und buchte bei Bartolome eine Radtour. Doch nach einer Stunde, so Bartolome, war Schluss. Dem US-Multimilliardär tat der Hintern weh.
Tipps und Informationen:
Wie kommt man hin? Formentera ist nur mit der Fähre zu erreichen, am schnellsten vom Hafen in Ibiza-Stadt (30 bis 45 Minuten Fahrt, Anbieter: balearia.com und trasmapi.com).
Wo wohnt man gut? „Hotel Casbah“, gelegen im Pinienwald im Inselinneren, Zimmer ab 200 Euro (hotelcasbahformentera.com); das 30-Zimmer-Resort „Gecko Hotel & Beach Club“ liegt direkt am Strand von Migjorn, ab 400 Euro, (icastelli.net/de/gecko-beach-club-hotel#book); Resort „Teranka“, am selben Strand in den Dünen gelegen, mit toller Rooftop-Bar, ab 500 Euro (teranka.com)
Aktivitäten: E-Bike-Touren mit Bartolome Torres Mayans: 60 Euro pro Person für drei Stunden (formenteraebikestours.com); Weingut Moll in La Mola im Inselosten auf knapp 200 Metern über dem Meer, geführter Rundgang mit Weinprobe von April bis Oktober: 29 Euro (terramoll.es)
Wo isst man gut? „Quimera“ von Ana Jiménez García in La Savina, mit schöner Terrasse und Lounge (quimerarestaurant.com/es/), „Restaurant Can Rafalet“ in Es Caló de Sant Agustí, direkt am Meer (restaurantcanrafalet.com)
Weitere Infos: formentera.es/de; spain.info/de
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