Ein Sommerabend um 17 Uhr, Feierabendzeit in Basel. Aus den Gassen der Altstadt, den Pforten der Bürotürme, den Türen der Wohnhäuser, von überall her strömen Menschen ans Ufer des Rheins, dessen smaragdgrünes Wasser sich durch die drittgrößte Stadt der Schweiz schiebt. Sie laufen am Ufer entlang stromaufwärts, alle in dieselbe Richtung, als würden sie zum gleichen Konzert pilgern.

Sie tragen sogar das gleiche Outfit: Badehose oder Bikini, über einer Schulter ein Handtuch und über der anderen einen wasserdichten Nylonsack, in dem sie ihr Hab und Gut gepackt haben, den sogenannten Wickelfisch. Er wurde in Basel erfunden, um den Leuten hier am Ufer das zu ermöglichen, was sie gleich vorhaben: den Rhein hinunterzuschwimmen.

Die Basler baden schon seit Jahrhunderten in ihrem Fluss. Vor der Industrialisierung wurden sogar vier Badehäuser am Ufer eröffnet. Dann kamen die Chemiewerke. Erst als in den 1980er-Jahren eine Kläranlage gebaut wurde, trauten sich die Menschen wieder vermehrt ins Wasser.

Nach der Jahrtausendwende wurde es dann richtig populär, sich morgens oder nach Feierabend im Rhein treiben zu lassen. Inzwischen wird der „Rheinschwumm“, wie das Stadtmarketing den Basler Volkssport nennt, international gefeiert. Großstädte wie London, Paris und Berlin haben den Trend erkannt, sie wollen ihre Flüsse ebenfalls schwimmbar machen.

Im Rhein schwimmen? Zu gefährlich, dachte ich

Längst lockt das Rheinschwimmen auch Urlaubsgäste an, die sich die Wickelfische in der Touristeninfo für einen Tag ausleihen können. Auch mich hat das Phänomen begeistert. Ich bin in einem Dorf in Süddeutschland aufgewachsen, von dem aus ich in einer Viertelstunde an den Rhein radeln konnte. Doch darin schwimmen? Viel zu gefährlich. Dachte ich.

Dann erzählten mir Freunde davon, wie selbstverständlich sie in Basel in den Rhein gestiegen und glückselig durch die Stadt getrieben sind. Das wollte ich auch mal erleben – und suchte mir eine Komplizin, die mich in die Kunst des Rheinschwimmens einführen könnte.

Am Tinguely-Museum, wo der Rhein auf seinem Weg aus den Alpen in die Stadt eindringt, kommt Sophie Lardon auf ihrem Rennrad angefahren. Die 31-jährige Künstlerin, Designerin und Innenarchitektin kommt gerade von der Aufnahme des Podcasts „This is Basel“, in dem sie über Architektur und Kunst in der Stadt spricht.

Sie ist hier aufgewachsen, zeitweise weggezogen – und bewusst wieder zurückgekehrt. Wegen des Lebensgefühls. Und wegen des Rheinschwimmens. Sie steigt im Sommer so gut wie jeden Tag in den Bach, wie sie den Rhein in Basel liebevoll nennen. Ihren Badeanzug hat Sophie fast immer dabei.

Am Ufer ziehen wir unsere Kleider aus, stopfen sie in den Wickelfisch und rollen ihn zu. Auf dem Weg hierher hatte ich noch ein leicht mulmiges Gefühl verspürt. Schließlich war ich noch nie in einem so großen Fluss geschwommen. Zudem hatte ich vorher bei der Schweizer Lebensrettungsgesellschaft nachgelesen, dass das Schwimmen im Rhein grundsätzlich lebensgefährlich sei.

Immer wieder würden Menschen darin ertrinken. Es gibt jedoch ein paar Tricks, um das Risiko zu minimieren: Man sollte beispielsweise nur bei über 18 Grad Wassertemperatur schwimmen, innerhalb der Bojen am Rand bleiben, um nicht von einem Schiff überfahren zu werden, und am besten nicht allein schwimmen. Doch als ich jetzt am Ufer die vielen Menschen sehe, die alle dasselbe tun, verfliegt das flaue Gefühl. Außerdem habe ich ja Sophie an meiner Seite.

Der Alltag ist schnell vergessen

„Sollen wir?“, fragt sie und grinst. Dann springt sie schon ins Wasser. „Uhhhh“, ruft sie, „frisch“. Ich lasse mich hinter ihr ins Wasser gleiten und spüre das kalte Nass auf meiner Haut. 22 Grad soll es heute haben, heißt es auf der Website des Kantons, der alle Daten zum Rhein erfasst. Sofort zerrt die Strömung an uns und schiebt uns am Ufer entlang: Es fühlt sich an, als würde das Wasser uns in Empfang nehmen, uns in seinen Bann ziehen.

Für Sophie ist der Rheinschwumm ein täglicher Moment der Freiheit, in dem sie sich einfach nur dem Wasser hingibt und sich treiben lässt. Eigentlich hatte Sophie heute überhaupt keinen guten Tag. Sie hat gestern ihre Ausstellung in einer Galerie abgebaut und fühlt sich, als sei sie in einem Loch, weil sie wieder neuen Antrieb für die nächsten Projekte finden muss. Doch jetzt im Rhein fängt sie an zu lachen und zu jauchzen, schmeißt mir eine Alge entgegen, ich spritze Wasser zurück. Um uns herum lachen ein paar andere Rheinschwimmer. Der Alltag ist schnell vergessen.

Auf der rechten Uferseite sehe ich die beiden teils mehr als 200 Meter hohen, futuristischen Türme des Pharmakonzerns Roche, designt vom Stararchitekten-Duo Herzog & de Meuron. Das moderne Wahrzeichen der Stadt, wie es in manchem Reiseführer heißt. Auf der anderen Uferseite zieht das alte Rheinbad Breite von 1898 vorbei, mit seinen stählernen Stelzen.

Diese Gleichzeitigkeit von Alt und Neu fasziniert mich bei jedem Besuch in Basel. Die von der Unesco geschützte Altstadt, daneben moderne Häuser aus Sichtbeton und mit großen Fensterfronten. Design trifft Historie.

Sophie zeigt ans Ufer, wo ein älterer nackter Mann in der Sonne sitzt. Der Nudistenstrand. Manchmal, sagt Sophie, erinnere sie das Basler Rheinufer an die Copacabana, den ewig langen Sandstrand von Rio de Janeiro, wo jeder Abschnitt seine eigenen Leute anzieht. So sei das auch in Basel: hier die Nackten, weiter unten die Familien, dann die Boombox-Fraktion, danach die Mainstream-Leute und Touristen, weiter stromabwärts die hippen Großstädter. Der Rhein ist für alle da.

Im Wasser krault ein Mann mit Badekappe und Schwimmbrille an uns vorbei. Turbo-Rheinschwimmer. Ich lehne mich entspannt auf meinen Wickelfisch, der mir als Luftmatratze dient, und beobachte das Wasser. Es sieht sauber aus. In den Laboren des Kantons wird es dreimal im Jahr mikrobiologisch vermessen. Das Ergebnis von 2025: bedenkenloses Erfrischen möglich.

Wie Mittelmeer, nur mit Süßwasser

Langsam treiben wir auf die Wettsteinbrücke zu, jetzt kommt Sophies Lieblingsabschnitt. Links das Münster, rechts die Buvetten – kleine Kneipen, in denen die Basler ihren Aperitif einnehmen. Basel, sagt Sophie, fühle sich irgendwie mediterraner an als viele andere Teile der Schweiz. Das Klima sei milder und die Leute entspannter.

Zwischen den Pfeilern der Brücke verstehe ich, was sie meint. Ein leichter Wind lässt kleine Wellen aufbäumen und peitscht mir die Gicht ins Gesicht. Wie am Mittelmeer, nur mit Süßwasser.

„So“, sagt Sophie, „jetzt versuchen wir mal, anzulegen.“ Gleich rechts nach der Brücke strampeln wir einem Steinufer entgegen, auf dem ein paar Leute mit Weingläsern sitzen. Zwischen einer Handvoll alter Weidlinge, die Basler Holzboote, die sie ähnlich wie Venedigs Gondolieri im Stehen steuern, setzen meine Füße auf den Boden. Geschafft.

Wir kraxeln aus dem Wasser, schütteln uns kurz, steigen in Badeklamotten die Stufen hoch und stehen mitten auf der Rheinpromenade. Doch niemand scheint sich daran zu stören. Wir laufen in ein Bistro, ziehen uns auf der Toilette um und bestellen Bier. Dann setzen wir uns zum Trocknen auf die Steinterrasse mit Blick auf den Rhein und das Münster. Hinter uns spielt jemand auf der Gitarre „Bella Ciao.“

Ich blicke auf das Wasser, ein Schwimmer nach dem nächsten zieht vorbei. Rheinkino nennt Sophie das. Mein Blick wird weich, der Körper entspannt sich. Eine Stunde Basel und ich fühle mich wie im Urlaub.

Auch Sophie konnte ihren Arbeitstag abschütteln. Vielleicht ist es die Strömung, die die Stadt ausmacht, sagt sie. Man sehe, dass es immer weitergeht. Dass man nie stehen bleibt. „Ich bin fest davon überzeugt, dass Menschen, die am Wasser leben, glücklicher sind.“ Und Menschen, die täglich sogar ins Wasser steigen, vermutlich noch viel mehr.

Tipps und Informationen:

Wie kommt man hin? Mit dem ICE bis Basel Badischer Bahnhof, von dort sind es 15 Minuten zu Fuß bis zum Museum Tinguely.

Rheinschwimmen: Schwimmbar ist der Rhein auf drei Kilometern Länge vom Museum Tinguely bis zur Dreirosenbrücke. Empfohlen ist die Tour nur für geübte Schwimmer und bei Wassertemperaturen über 18 Grad. Die Strömung und den Pegel am besten vorher auf der Website des Kantons Basel-Stadt (www.bs.ch) checken. Die Wickelfische kann man für zehn Schweizer Franken von Juni bis September im Touristenbüro am Barfüsserplatz ausleihen. In Juli und August bietet das Basler Sportamt jeden Dienstag ab 17.45 Uhr ein begleitetes Rheinschwimmen an.

Weitere Infos: Stadt Basel: basel.com/de, Schweiz: myswitzerland.com

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