Es geschah im Januar 2025 in historischem Luftraum, und es war eine kleine Sensation: hoch über der Mojave-Wüste, dort wo 1947 Chuck Yeager als erster Mensch die Schallmauer durchbrochen hatte. Diesmal saß ein ehemaliger „Top Gun“-Testpilot am Steuerknüppel eines kleinen, einsitzigen Jets, der fast acht Jahrzehnte später hier zum ersten Mal schneller als der Schall flog.

Sein Flugzeug hieß Boom XB-1, es war das erste jemals privat gebaute Überschallflugzeug. Entwickelt von Boom Supersonic, einem US-Unternehmen aus Denver, das mit der 80-sitzigen Overture bis 2029/30 zum ersten Mal seit der Concorde wieder einen Überschall-Passagierjet in die Luft bringen will. Die XB-1 ist nur eine Miniaturversion davon, um das Konzept zu testen – was erfolgreich verlief.

Namhafte Airlines wie United, American und JAL Japan Airlines haben bereits mehr als 130 Vorbestellungen für das Serienmodell Overture platziert und angezahlt. Nur Boom bietet derzeit realistische Aussichten für eine neue Überschallära in den 2030er-Jahren.

Das einzige andere Projekt für einen Überschall-Businessjet namens Aerion wurde 2021 eingestellt. Aber auch das Projekt Overture sei bis jetzt nicht in trockenen Tüchern, mäkeln Luftfahrtexperten. In der Tat: Wetten sollte man darauf noch nicht, denn die Hürden zur Rückkehr des Überschallfliegens für Passagiere sind immer noch hoch.

Neben ungelösten technischen Fragen ist vor allem die Finanzierung ungeklärt. Bis zu acht Milliarden US-Dollar, so wird in der Branche geschätzt, wird es bis zur Serienreife kosten. Der Riesenschritt vom erfolgreichen Testfliegen hin zur industriellen Produktion hat bisher schon einige vermeintlich vielversprechende Flugzeugprojekte zum Scheitern gebracht.

Ohne den berüchtigten Überschallknall

Dafür hat Boom erstmals gezeigt, dass sich ein fundamentales Hindernis umgehen lässt, das einer neuen Überschallära bisher im Weg stand: über Land mit bis zu 11,3-facher Schallgeschwindigkeit (Mach 1,3, also über 1200 km/h) fliegen zu können, ohne dass am Boden der berüchtigte Überschallknall ankommt.

Ist ein Überschalljet in ausreichend großer Höhe von über 9000 Metern und mit exakt an die herrschenden Wetterbedingungen angepasster Geschwindigkeit unterwegs, bleibt der Knall aus. Jedenfalls war das bei den sechs Tests so, in denen die XB-1 Überschalltempo erreichte.

„Boomless Cruise“ heißt dieses Verfahren, ein theoretisch lange bekanntes physikalisches Phänomen, das jetzt erstmals konkret demonstriert wurde. Beim sogenannten Mach Cutoff werden bei entsprechenden äußeren Bedingungen Schockwellen und Knall bereits weit oberhalb der Erde zurück in die Atmosphäre reflektiert.

Diese Errungenschaft trägt dazu bei, dass eine neue Überschallära wahrscheinlicher wird. Bisher ist nämlich Überschallfliegen über Land für nichtmilitärische Zwecke verboten, auch bei der Concorde war das die Regel. Wenn die Flüge nun knallfrei bleiben, könnte das geändert werden. Die Weltluftfahrtorganisation ICAO bereitet das vor, Tech-Milliardär Elon Musk hat signalisiert, dass er sich für die Änderung des veralteten US-Überschallverbots über Land einsetzt.

Wie von 1977 bis 2003 mit der Concorde

Auch die Nasa arbeitet aktuell daran, zu demonstrieren, dass sich durch ein entsprechend lärmarm konstruiertes Flugzeug der Überschallknall am Boden so weit mildern lässt, dass er nicht lauter als das Zuschlagen einer Autotür wahrnehmbar ist. Das soll noch in diesem Jahr das Forschungsflugzeug X-59 bei Überflügen bewohnter Gebiete beweisen.

Können wir also bald wieder in dreieinhalb statt in acht Stunden von Europa an die amerikanische Ostküste fliegen wie von 1977 bis 2003 mit der Concorde? Und erstmals doppelt so schnell wie heute von Küste zu Küste in Amerika und auf anderen Verbindungen über Land?

Der World Travel & Tourism Council (WTTC), der den globalen privaten Reisesektor vertritt, ist jedenfalls optimistisch in seinem kürzlich vorgelegten Trend-Report: „Der Traum, schneller als der Schall zu fliegen, kommt zurück, und dieses Mal wird er den Luftverkehr revolutionieren“, prophezeien die Autoren der Studie.

Overture wird auch aus Lärmschutzgründen kleiner als die Concorde sein und je nach Bestuhlung 64 bis 80 Passagiere befördern. Über Wasser wird Overture nur mit 1,7-facher anstatt doppelter Schallgeschwindigkeit fliegen wie die Vorgängerin. Über Land war bisher Unterschalltempo von Mach 0,94 geplant, unter geänderten Regularien wäre Mach 1,3 ohne Knall möglich. Damit wäre der neue Überschallflieger immer noch mindestens 50 Prozent schneller als heutige Jets.

Nachhaltigkeit oder Augenwischerei?

Die Frage der Umweltverträglichkeit bleibt allerdings: Zwar soll Overture als erstes Flugzeug mit 100 Prozent SAF (nachhaltigem Flugtreibstoff) fliegen, das aber halten Kritiker für Augenwischerei. Denn SAF ist bisher kaum verfügbar und viel teurer als herkömmliches Kerosin. Overture soll deutlich treibstoffeffizienter als die Concorde sein, trotzdem muss für einen Overture-Sitzplatz laut Boom zwei- bis dreimal so viel Treibstoff wie für einen Business-Class-Sitz in heutigen Großraumjets kalkuliert werden.

„Flugzeuge müssen schneller und billiger werden, genau wie Smartphones, Autos und Computer“, sagt Boom-Gründer und CEO Blake Scholl. Billiger heißt für ihn, dass Überschallpassagiere nicht mehr zahlen als heute für ein Business-Ticket auf vergleichbaren Langstrecken. Im Gegensatz zur Concorde, wo die Tickets mehr als Doppelte eines Business-Flugs kosteten.

„Wir können mit 5000 US-Dollar pro Ticket sehr profitabel fliegen“, verspricht Scholl. Ist das realistisch? Ja, sagt Bernd Liebhardt, Überschallexperte beim Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt in Hamburg. „Angenommen, die technischen Versprechungen werden erfüllt, dann sind Business-Class-Preise unseren Erkenntnissen zufolge durchaus realistisch.“

Rund 600 potenzielle Verbindungen für Überschallflüge gebe es weltweit, behauptet Boom. Manche davon dürften aber eher Wunschdenken sein: Während Transatlantikflüge wie schon zu Concorde-Zeiten gut geeignet wären für superschnelle Verbindungen, sieht das bei Überschall-Pazifik-Flügen ganz anders aus. Von New York nach Tokio sind es beispielsweise rund 11.000 Kilometer, das geht nur mit zeitraubendem Tankstopp.

Abgesehen davon, dass es in der engen Overture-Kabine keine oder nur wenige Sitze geben wird, die sich in flache Betten verwandeln lassen, passen auch die Zeitzonen der USA und Japans nicht zu Überschallflügen. An beiden Enden der Reise würden schnellere Flüge keine produktiveren Arbeitstage ermöglichen, egal wann man jeweils abfliegt. Das heißt: Für Geschäftsreisende gibt es kaum Anreize, mit Überschall über den Pazifik zu fliegen – damit fehlt der wichtigste Markt.

Keine Betten an Bord

Die Concorde-Kabine entsprach nach heutigen Maßstäben in ihrem Sitzkomfort allenfalls der modernen Premium-Economy-Class. Beim Essen mit Besteck zu hantieren brachte den eigenen Ellenbogen dem des Sitznachbarn so nahe wie in einem Ferienflieger.

Der Passagierkomfort an Bord der Overture soll zwar luxuriöser sein, aber der Platz ist trotzdem begrenzt. Aufgrund der Aerodynamik ist der Rumpf des Überschalljets vorn breiter und erlaubt zwei Gänge, hier werden je Reihe die Sitze in 1-2-1-Anordnung eingebaut. Weiter hinten wird die Kabine schmaler, dort wird es nur einen Gang geben mit einer 1-1-Anordnung pro Reihe, also einem Sitz auf jeder Seite.

Boom verspricht ein „dramatisch besseres Bordprodukt“ – inklusive zwei Toiletten. Scholls Mantra ist: „Der Luxus ist nicht das Flugzeug. Der Punkt ist, schnell ans Ziel zu kommen, nicht die Erfahrung im Flugzeug.“ Er geht zu Recht davon aus, dass auf einem dreieinhalbstündigen Transatlantikflug eine Einheitsklasse ausreicht, deren Komfort in etwa dem einer regionalen First- oder Business-Class in heutigen Großraumflugzeugen entsprechen soll – der also keine Betten an Bord bietet.

Für Nachtflüge über den Pazifik inklusive Tankstopp kann sich Scholl aber eine separate First-Class-Kabine vorstellen, zweimal so groß wie die Business-Kabine, mit einem Sitzabstand von 1,90 Meter und Flachbettsitzen, „ein Kokon mit Fokus auf Komfort und Privatsphäre“, so beschreibt es der CEO.

Auch der führende Kabinendesigner Anthony Harcup aus London sieht die Passagiererfahrung in einem modernen Überschalljet als Herausforderung: „Wir wollen den Passagier nicht ablenken vom Bewusstsein zu fliegen – der Überschallflug selbst ist das Erlebnis. Aber Passagiere erwarten selbst bei weniger persönlichem Freiraum an Bord das gleiche Niveau an Raffinesse wie in der First- und Business-Class von Unterschalljets mit Flachbettsitzen.“

Was Overture positiv von der Concorde unterscheidet, sind ihre spektakulär großen Fenster – kein Vergleich zur Concorde mit ihren gerade handgroßen Gucklöchern. Die erheblich höhere Festigkeit der neuen Verbundwerkstoffe, aus denen der Rumpf gefertigt wird, macht das möglich. Bei klarer Atmosphäre könnten Überschallpassagiere aus großer Flughöhe dann ein Privileg genießen, das nur wenigen Menschen vergönnt ist: mit eigenen Augen am Horizont die Erdkrümmung erkennen.

Haftungsausschluss: Das Urheberrecht dieses Artikels liegt bei seinem ursprünglichen Autor. Der Zweck dieses Artikels besteht in der erneuten Veröffentlichung zu ausschließlich Informationszwecken und stellt keine Anlageberatung dar. Sollten dennoch Verstöße vorliegen, nehmen Sie bitte umgehend Kontakt mit uns auf. Korrektur Oder wir werden Maßnahmen zur Löschung ergreifen. Danke