Mit Söder wandern gehen? Da hätte Merz andere Präferenzen
Der scharf geführte Wahlkampf und der Reisemarathon in die europäischen Nachbarstaaten haben Friedrich Merz (CDU) nicht sichtbar Kraft und Nerven gekostet. Fast entspannt sitzt er am Montag kurz vor dem Aufbruch nach Finnland auf der Bühne des WDR-Europaforums, das der Sender im Rahmen der Netz-Konferenz re:publica in Berlin ausgerichtet hat, und beantwortet Fragen. Die Besucher dort sind jung, digital-affin, überwiegend wohl eher nicht konservativ. Kurz, Merz ist nicht unbedingt bei seiner Fan-Base zu Besuch. Trotzdem zeigt er bei diesem Auftritt seine Zähne nur zum Lächeln – und das tut er in der Stunde auf der Bühne ziemlich oft.
Zu erleben ist ein mit Regierungsantritt deutlich veränderter Merz. Ein diplomatischer. Und dennoch immer noch einer, der harte Ansagen macht. Mit Israel geht der Kanzler an diesem Tag scharf ins Gericht – ungewöhnlich scharf. Die Regierung von Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu dürfe „nichts tun, was selbst engste Freunde nicht mehr verstehen“, sagt Merz mit Blick auf den wieder aufgenommenen Militäreinsatz der Israelis im Gaza-Streifen. Deutliche Kritik übt der Kanzler außerdem am russischen Präsidenten Wladimir Putin sowie den Regierungschefs von Ungarn und der Slowakei, Viktor Orbán und Robert Fico. Und auch US-Präsident Donald Trump kommt nicht gut weg.
Dabei kann Merz inzwischen ziemlich diplomatisch sein, wie sich zeigt. Die WDR-Leute haben sich nämlich in der lockeren Fragerunde nach dem Interview ein heikles Quiz für den Kanzler ausgedacht. Er soll sagen, mit wem er wandern gehen würde, von eins (sehr gern) bis fünf (echt nicht). Fünf Namen werden genannt, Merz kennt sie vorab nicht und muss bei jeder Nennung sofort eine Wertung abgeben, die nicht zurückgenommen und nur einmal vergeben werden kann. Das klingt banal, sagt aber viel darüber, wie der Kanzler andere Menschen und das, wofür sie stehen, einschätzt.
Der Anfang ist leicht: Putin. „Eine Fünf“, sagt Merz. Dann CSU-Chef Markus Söder. „Machen wir mal eine Drei“, antwortet der Kanzler. Das ist nun kein Kompliment für den CSU-Vorsitzenden. Aber Merz begründet das schlagfertig: „Der wandert eh nicht gern, er fährt lieber Rad.“ Koalitionskrise gebannt.
Welche Note bekommt Rezo? Und Reichinnek? Und Trump?
Dann der Webvideoproduzent Rezo, der mal „die CDU zerstören“ wollte. Er bekommt von Merz tatsächlich eine Zwei. „Mit dem würde ich mich gern mal unterhalten, nach dem, was er damals (mit seinem Zerstörungsvideo; d. Red.) angestellt hat.“ Die Merz-Botschaft: Ich höre auch Kritikern zu.
Für die Linke-Fraktionschefin Heidi Reichinnek bleibt da nur eine magere Vier. Aber selbst das verbindet Merz noch mit einem Kompliment: „Es macht schon Spaß, sich mit ihr auseinanderzusetzen“. Dass für Trainerlegende Jürgen Klopp dann nur die Eins bleibt, ist Merz als bekennendem Fan von Borussia Dortmund sehr recht.
Merz gibt sich in dieser Runde geschmeidig – anders als vor seiner Kanzlerschaft. Er schonte kaum einen, in der eigenen Partei nicht und jenseits der CDU ohnehin nicht. Inzwischen, am politischen Ziel, dem Kanzleramt, angekommen, kann der 69-Jährige in alle Richtungen recht verbindlich sein.
Nun wollen die WDR-Leute wissen, „wie es so ist, mit Donald Trump zu telefonieren“. Denn ein Treffen der beiden gab es bisher nicht. Die Frage klingt nebensächlich, ist aber tatsächlich kitzelig. Merz muss die Balance finden zwischen dem Bedürfnis der Öffentlichkeit nach Vertraulichkeiten und seinem eigenen Interesse, nicht zu viel zu verraten oder Trump nicht vorzuführen. Merz entscheidet sich überraschend dafür, ziemlich viel preiszugeben.
„Es kommt sehr darauf an, ob man mit Trump allein spricht oder andere dabei sind“, verrät Merz über die Gesprächsatmosphäre. Habe man nur Trump in der Leitung „ist Small Talk wichtig und dass man nicht zu lange redet, sondern ihn reden lässt“. Es gehe dann „sehr viel um Trump“. Und ja, jedes zweite oder dritte Wort sei „great“. In einem Telefonat hätten er und der US-Präsident über Chicago gesprochen, weil er Trump zu Papst Leo XIV. gratuliert habe, der aus der Stadt stamme. „‚Chicago is a really great city‘, das war der Ton des Gesprächs“, verriet Merz. Fazit, so Merz: „Man muss sich auf ihn einstellen und einlassen, man darf sich nicht kleiner machen, als man ist. Wir sind keine Bittsteller.“
Der Kanzler zeigt sich nach den jüngsten massiven Angriffen Russlands auf die Ukraine verwundert, dass Trump die Attacken offenbar überrascht hätten. „Nach meiner Einschätzung hat sich Präsident Putin nur graduell verändert, nicht grundsätzlich. Es zeigt sich nun auch für Trump, dass Verhandlungen mit Putin keinen Erfolg bringen.“
Ansage an Israels Regierung
Klare Ansagen macht Merz auch Richtung Israel. „Was die israelische Armee im Gaza-Streifen macht, ich verstehe ehrlich gesagt nicht mehr, mit welchem Ziel“, kritisiert er die Regierung Netanjahu. Es sei eine „menschliche Tragödie“, wenn etwa wie zuletzt bei einem Angriff auf eine Schule vor allem Kinder ums Leben kämen. „Das lässt sich nicht mehr mit einem Kampf gegen die Terroristen der Hamas begründen“, so der Bundeskanzler. Merz bekommt während seines Auftritts auf der re:publica zweimal Applaus im Saal. An dieser Stelle. Und ganz am Ende.
Die Bundesregierung habe großes Interesse, an der Seite Israels zu bleiben, und das beruhe wohl auch auf Gegenseitigkeit, so der Kanzler. Wo das humanitäre Völkerrecht gebrochen werde, müsse die Kritik aber klarer werden. „Wir müssen das jetzt etwas deutlicher sagen“, erklärt Merz, schränkt aber ein: „Die Frage ist: Wie deutlich übt man die Kritik jetzt, und da bin ich aus historischen Gründen zurückhaltender.“ Israel hatte nach einer zweimonatigen Waffenruhe am 18. März seine Angriffe im Gaza-Streifen wieder aufgenommen und die Militäreinsätze zuletzt noch verstärkt.
So wie der Kanzler im Ukraine-Krieg gegenüber Russland eine harte Haltung einnimmt, geht er auch die Regierungschefs von Ungarn und der Slowakei hart an. Viktor Orbán und Robert Fico haben wiederholt Annäherungen an Russland versucht, sich mit Putin getroffen. Es werde im Widerstand gegen Russland nun in Europa eine „Koalition der Willigen“ geben, Ungarn und die Slowakei gehörten nicht dazu.
Da könnte es noch „deutlichere Worte, vielleicht sogar Konflikte“ geben, so Merz. „Länder, die den Kurs (der EU, d. Red.) nicht mitmachen, die die Regeln nicht einhalten, kann man mit Vertragsverletzungsverfahren überziehen oder die EU-Mittel entziehen“, kündigt der Kanzler an. „Ich möchte diese Konflikte nicht. Aber wenn es nötig ist, tragen wir sie aus.“
Friedrich Merz ist nominiert für THE POWER LIST – GERMANY’S TOP 50.
Im Rahmen der POWER LIST kürt WELT ausgewählte Persönlichkeiten aus Wirtschaft, Politik, Kultur und Sport: Menschen mit besonderem Profil, Einfluss – oder auch Potenzial. Wer prägt Deutschland 2025? Die finale Liste veröffentlichen wir am 5. Juni gemeinsam mit POLITICO Deutschland und BUSINESS INSIDER Deutschland. Alle Einträge finden Sie schon vorab hier.
Nikolaus Doll berichtet für WELT seit Jahren über die Unionsparteien.
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