Einsam, enttäuscht, entpolitisiert – warum junge Menschen der Demokratie den Rücken kehren
Einsamkeit ist ein höchst subjektives Gefühl. Nicht jeder, der viel allein ist, fühlt sich auch einsam. Der Zustand der Einsamkeit tritt erst ein, wenn die sozialen Beziehungen, die man hat, nicht den persönlichen Wünschen und Bedürfnissen entsprechen. Und das ist nach aktuellen Erhebungen seit der Corona-Pandemie vor allem bei jüngeren Menschen der Fall. Ein Befund, der auch gesellschaftspolitische Folgen hat, wie die Bertelsmann-Stiftung in einer neuen Studie herausgearbeitet hat.
„Einsamkeit geht häufig mit einem Gefühl mangelnder Selbstwirksamkeit einher und untergräbt das Vertrauen junger Menschen in Politik und Demokratie“, heißt es darin. Langfristig drohe deshalb nicht nur der Rückzug aus zivilgesellschaftlichem und politischem Engagement, sondern auch eine wachsende Anfälligkeit für politische Entfremdung, Radikalisierung und Demokratieverdruss. Die Einsamkeit junger Menschen sei daher nicht nur ein soziales Risiko, sondern auch eine Gefahr für die Demokratie.
Für die Studie haben die Institute ISG und Verian 2532 junge Menschen zwischen 16 und 30 Jahren Fragen zu ihrer aktuellen Lebenszufriedenheit, der Ausprägung von Einsamkeit und ihrem politischen, gesellschaftlichen und sozialen Engagement befragt. Dabei wurden insgesamt sechs Fragen zum Thema Einsamkeit ausgewertet, um unter anderem auch zwischen „emotionaler“ und „sozialer“ Einsamkeit unterscheiden zu können. Unter emotionaler Einsamkeit versteht die Forschung das Gefühl eines Mangels an engen Bezugspersonen wie einem Partner oder einer engen Freundin. Soziale Einsamkeit hingegen beschreibt das Gefühl, nicht ausreichend in ein bestehendes soziales Netzwerk, etwa einem Freundeskreis oder einer Schulklasse, eingebunden zu sein.
Die Studie zeigt, dass das generelle Einsamkeitsniveau in der jungen Generation auch nach der Pandemie weiterhin hoch bleibt: Zehn Prozent der 16- bis 30-Jährigen berichten von starker, weitere 35 Prozent von moderater Einsamkeit. Vor allem die emotionale Einsamkeit ist demnach stark ausgeprägt: 14 Prozent beklagen eine starke, weitere 46 Prozent eine moderate emotionale Einsamkeit. Beim Phänomen der sozialen Einsamkeit sind es zehn beziehungsweise 29 Prozent.
Besonders betroffen sind junge Menschen ohne Erwerbstätigkeit (75 Prozent), mit niedrigem Bildungsniveau (62 Prozent) oder mit Migrationsgeschichte. Auffällig ist zudem, dass sich junge Frauen im Alter von 16 bis 24 Jahren häufiger einsam fühlen als gleichaltrige Männer.
Deutlich geringere Selbstwirksamkeit
Dabei ist das Empfinden von Einsamkeit offenbar direkt gekoppelt mit dem Bewusstsein, etwas in der Welt verändern zu können. Stark einsame junge Menschen sind zwar ähnlich politisch interessiert wie ihre nicht einsamen Altersgenossen. Sie empfinden aber offenbar eine deutlich geringere politische Selbstwirksamkeit, stellen also mögliche positive Konsequenzen des eigenen politischen Engagements infrage. 60 Prozent glauben nicht, auf allgemeiner Ebene politische Veränderungen erreichen zu können – bei den nicht Einsamen sind es nur 42 Prozent. Im unmittelbaren Lebensumfeld sieht es nicht viel besser aus: 52 Prozent der stark Einsamen glauben nicht daran, durch eigenes Handeln Veränderungen auf lokaler Ebene bewirken zu können – im Vergleich zu 33 Prozent bei nicht einsamen jungen Menschen.
Dieses geringere Selbstwirksamkeitsgefühl wirkt sich auch auf die Zufriedenheit mit dem politischen System im Allgemeinen aus. 63 Prozent der sehr einsamen jungen Menschen sind unzufrieden mit der Demokratie in Deutschland – bei den nicht einsamen sind es 41 Prozent. Zudem beklagen sehr einsame junge Menschen auch eher, dass es jenseits von Wahlen nicht genügend Beteiligungsmöglichkeiten für junge Menschen gebe (69 versus 47 Prozent). Sie sind zudem überzeugt, dass Politiker eine Sprache benutzten, die jungen Menschen fremd und unverständlich sei (45 versus 26 Prozent), und Politiker die Sorgen der jungen Generation nicht ernst nähmen (76 versus 61 Prozent). Sie bringen auch generell weniger Respekt gegenüber Politikern auf (30 versus 44 Prozent).
Wer sich langfristig ausgegrenzt fühle, könne das Interesse an Politik gänzlich verlieren oder empfänglicher für populistische Positionen werden, warnen die Studienautoren. „Einsamkeit beeinträchtigt das Vertrauen junger Menschen in Demokratie und Politik. Das Misstrauen wächst umso stärker, je weniger sie das Gefühl haben, sich einbringen zu können“, sagt Nicole Kleeb, Expertin der Bertelsmann-Stiftung für Jugend und Demokratie. „Wenn wir junge Menschen nicht verlieren wollen, brauchen wir wirksame, niedrigschwellige Formen politischer Beteiligung – analog wie digital.“
Zugleich gäben die Ergebnisse einen Hinweis darauf, dass das Gefühl von Anerkennung und sozialer Zugehörigkeit für einige eine Motivation sein könnte, sich einzubringen und dadurch einen Ausweg aus der Einsamkeit zu finden, heißt es in der Auswertung der Studie. „Einsame junge Menschen zweifeln sehr daran, dass Politik ihre Interessen ernst nimmt“, sagt Bertelsmann-Jugendexpertin Anja Langness. „Gerade deshalb muss die Politik auf junge Menschen zugehen, ihnen zuhören und sie einbeziehen.“
Sabine Menkens berichtet für WELT über gesellschafts-, bildungs- und familienpolitische Themen.
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