Deutschland könnte sich in Gaza an Kriegsverbrechen mitschuldig machen, fürchten führende Sozialdemokraten. Die Regierung dürfe keine Waffen mehr an Israel liefern. 

Inzwischen nimmt selbst der ehemalige israelische Ex-Regierungschef Ehud Olmert das Wort Kriegsverbrechen für die israelische Offensive in Gaza in den Mund. In Tel Aviv forderten am Wochenende Angehörige israelischer Geiseln ein Ende des Kriegs in Gaza, ein Ende des Alptraums, wie die Ehefrau eines von der Hamas Verschleppten auf einer Demonstration sagte. 

Das immer rücksichtslosere Vorgehen der israelischen Regierung in Gaza und die von Premierminister Benjamin Netanjahu angekündigte Vertreibung der Palästinenser von dort setzt auch die deutsche Bundesregierung immer stärker unter Handlungsdruck. Bisher hatte man in Berlin vor allem abgewartet, mehr humanitäre Hilfe angemahnt – und trotzdem weiter Waffen nach Israel exportiert. 

In Gaza könnte mit deutschen Waffen Völkerrecht verletzt werden

Damit könnte bald Schluss sein. Einflussreiche SPD-Abgeordnete fordern die Bundesregierung jetzt auf, angesichts möglicher Kriegsverbrechen in Gaza die deutschen Waffenexporte nach Israel zu stoppen. "Deutsche Waffen dürfen nicht zur Verbreitung humanitärer Katastrophen und zum Bruch des Völkerrechts genutzt werden", sagte der außenpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion Adis Ahmetovic dem stern am Sonntag. "Deshalb fordern wir Netanjahus Regierung zur Bereitschaft zur Waffenruhe und Rückkehr an den Verhandlungstisch auf."

Ähnlich äußert sich auch der erfahrene Außenpolitiker Ralf Stegner: "Die humanitäre Katastrophe für die palästinensische Zivilbevölkerung und der Bruch des Völkerrechts durch die Regierung Netanjahu müssen sofort beendet und dürfen nicht auch noch mit deutschen Waffen verlängert werden." Bisher habe die Bundesregierung für Israel aus guten Gründen eine Ausnahme von der Praxis gemacht, keine Waffen in Konfliktgebiete zu liefern. Das habe der Sicherheit Israels und der Verteidigung gedient. "Davon kann gegenwärtig im Gaza-Streifen und im Westjordanland keine Rede sein", sagte Stegner dem stern. Hungersnot und Elend von palästinensischen Kindern hätten nichts mit dem Kampf gegen Terrorismus zu tun.

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SPD-Basis macht Druck auf die Parteiführung

Die SPD-Parteiführung wird derweil auch von der Partei-Basis unter Druck gesetzt. Am Wochenende wurde etwa auf dem Landesparteitag der SPD Berlin ein erster Antrag beschlossen, der den Stopp aller Waffenlieferungen an Israel verlangt. Ähnliche Anträge in anderen Landesverbänden sind in Arbeit, auch auf dem Bundesparteitag im Juni soll das Thema debattiert werden. Der Berliner SPD-Bundestagsabgeordnete Hakan Demir sagt dem stern dazu: "Es ist falsch Waffen zu liefern – angesichts der Zweifel an der Einhaltung des Völkerrechts." 

Noch im Januar hatte Deutschland Waffen in Höhe von zwei Millionen Euro nach Israel exportiert. Darunter waren laut Bundesregierung auch Teile für Panzer und andere Militärfahrzeuge. 2023 erlaubte die Bundesregierung insgesamt Ausfuhren im Wert von 326 Millionen Euro nach Israel, 2024 waren es 161 Millionen Euro. In der Vergangenheit lieferte Deutschland in kleinerem Umfang auch Kriegswaffen nach Israel  zum Beispiel Panzerabwehrwaffen oder auch Munition. Seit dem 7. Oktober 2023 wurden aber vor allem Helme, Schutzwesten und Kommunikationsmittel geliefert. Einen Exportstopp gebe es nicht, betonte die Regierung in der Vergangenheit.

Deutschland könnte sich an Kriegsverbrechen beteiligen

Die Baden-Württemberger SPD-Bundestagsabgeordnete Isabel Cademartori warnt nun davor, dass Deutschland sich angesichts des Vorgehens der israelischen Regierung durch die Waffenlieferungen an Kriegsverbrechen beteiligen könnte. "Dies könnte dazu führen, dass Deutschland selbst juristisch von internationalen Gerichten belangt wird", sagte Cademartori. "Die deutsche Bundesregierung sollte die Waffenexporte begrenzen, insbesondere Panzermunition und -Ersatzteile dürfen nicht mehr geliefert werden." Ausnahmen dürfe es nur für den Raketenschutzschirm "Iron Dome" geben.

Nach einem brüchigen Waffenstillstand zu Beginn des Jahres hat die israelische Regierung zuletzt angekündigt, die Hamas militärisch auslöschen zu wollen. Anfang Mai hatte Israels Premierminister Netanjahu deshalb die dauerhafte Besetzung des Gaza-Streifens als Ziel ausgegeben. Die Palästinenser sollen umgesiedelt werden in andere Länder. Seit März hatte Israel zuvor eine komplette Blockade des Küstengebiets verhängt und keine Nahrung mehr hinein gelassen. Hilfsorganisationen warnen vor einer Hungerkatastrophe. Vor wenigen Tagen hob die Regierung die Blockade nach internationalem Druck auf, ließ Lkw mit Nahrung in das Gebiet.

Auch Zentralrat der Juden appelliert an die israelische Regierung

Angesichts dieser dramatischen Lage hatte zuletzt auch der Zentralrat der Juden in Deutschland an die israelische Regierung appelliert. Der Krieg müsse enden, Zivilisten müssten geschont werden. Der Antisemitismusbeauftragte der Bundesregierung, Felix Klein, sagte am Wochenende: Die Palästinenser auszuhungern und die humanitäre Lage vorsätzlich dramatisch zu verschlimmern, habe nichts mit der Sicherung des Existenzrechts Israels zu tun. "Und es kann auch nicht deutsche Staatsräson sein."

Der schwarz-roten Koalition steht in den kommenden Tagen eine schwierige Debatte bevor. Insbesondere CDU/CSU hatten bisher kaum Kritik am Vorgehen des israelischen Militärs gefunden. Zuletzt aber hatte sich auch dort der Ton verändert. So hatte etwa Fraktionschef Jens Spahn vergangene Woche eine deutlich bessere Versorgung der Palästinenser angemahnt. "Jeden, der ein Herz hat, muss es schmerzen, diese Bilder zu sehen", sagte Spahn. Gut möglich, dass die deutsche Haltung zum Krieg in Gaza auch Thema des ersten Koalitionsausschusses am Mittwoch wird.

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