„Die Lage für die russische Zivilbevölkerung ist ganz schlimm. Das müsste nicht so sein“
Mit großer Anspannung blickt Europa auf das womöglich am Donnerstag in der Türkei stattfindende Treffen zwischen dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj und Russlands Machthaber Wladimir Putin. Die Europäer haben sich in diesen Tagen so klar wie selten zuvor an die Seite der angegriffenen Ukraine gestellt – und Putin damit unter Druck gesetzt. Im Interview mit dem Nachrichtensender WELT erklärt die finnische Außenministerin Elina Valtonen, was sie von den nächsten, möglicherweise entscheidenden Tagen erwartet.
WELT: Frau Ministerin, der ukrainische Präsident will am Donnerstag zusammen mit Wladimir Putin und US-Präsident Donald Trump über Frieden verhandeln. Glauben Sie, dass es tatsächlich zu so einem Gipfel kommen wird?
Elina Valtonen: Wir hatten eigentlich gehofft, dass es erst zu einer Waffenruhe kommt, weil wir finden, dass ehrliche Gespräche über Frieden nur dann stattfinden können, wenn die Waffen wirklich schweigen. Aber dazu ist es nicht gekommen. Dieses Treffen ist jetzt natürlich mit einer heißen Nadel gestrickt, in dem Sinne, dass alles sehr schnell zustande kam. Aber wir als Europäische Union hoffen, gemeinsam mit den Vereinigten Staaten, dass es so bald wie möglich zu einem Waffenstillstand kommt.
WELT: Nun hatten einige Europäer, also Deutschland, Frankreich, Großbritannien oder Polen schärfere Sanktionen angekündigt, sollte es eben nicht zu dieser Waffenruhe kommen. Sie sagen es: Es wird weiter gekämpft. Diese Sanktionen liegen jetzt aber auch noch nicht auf dem Tisch. Sollten sie nicht spätestens bis Donnerstag beschlossen sein, um den Druck auf Putin zu erhöhen?
Valtonen: Wir als Europäische Union arbeiten gerade am 17. Sanktionspaket. Und dieses Paket werden wir verabschieden. Denn wir hier in Europa wissen vielleicht besser als andere, dass Putin leider nur Stärke versteht. Es war auch zu erwarten, dass Putin sich auf solche Ultimaten vielleicht nicht einlässt. Wir müssen daher an unserer glaubwürdigen Abschreckung arbeiten und auf wirtschaftliche Weise Druck auf Russland ausüben. Dieser Druck muss jetzt größer werden. Und wir hoffen, dass die Amerikaner dabei sind.
WELT: Eigentlich dachte man ja, dass die Amerikaner und die EU sich einig sind, bis Donald Trump diesen Waffenstillstand doch irgendwie ein wenig weggewischt und Selenskyj gesagt hat, er solle jetzt sofort zu den Verhandlungen fahren. Wie sehr schadet das denn den Bemühungen um einen Frieden?
Valtonen: Ich finde, das schadet den Bemühungen gar nicht. Erstens schätzen wir natürlich, dass der amerikanische Präsident sich bereiterklärt hat, einen Frieden zu finden für diesen Krieg, den Russland gegen die Ukraine übrigens schon seit über zehn Jahren führt. Die Strategie, die wir als westliches Bündnis in den letzten drei Jahren hatten, ist genau die richtige: An unserer Abschreckung zu arbeiten, die Ukraine zu unterstützen und Russland durch Sanktionen zu schwächen. Damit müssen wir einfach weitermachen. Was die aktuellen Gespräche angeht: Ich finde, dass jetzt so klar und deutlich ist, wie es nur sein kann, dass Selenskyj bereit ist, zu verhandeln. Sogar jetzt, obwohl er natürlich auch wollte, dass es erst zu einem Waffenstillstand kommt.
WELT: Lassen Sie uns noch mal auf die Sanktionen schauen: Man hat den Eindruck, dass diese bislang nicht wirklich effektiv waren, weil es Putin immer wieder gelungen ist, sie irgendwie zu umschiffen, auch durch seine Verbindungen zu China und Indien. Wie will man denn dieses Mal sicherstellen, dass die Sanktionen auch den gewünschten Effekt haben?
Valtonen: Wissen Sie, Sanktionen wirken ja nicht so, dass sie von heute auf morgen entweder den Import oder Export komplett ausschließen. Obwohl es Russland gelungen ist, Sanktionen teilweise oder sogar ganz zu umgehen, wirken Sanktionen auf diese Weise, dass sie (Russland, Anm. d. Red.) einen sehr hohen Preis dafür zahlen. Und das spiegelt sich jetzt in der sehr hohen Inflation wider, die die Menschen auf der Straße leider miterleben. Alles ist sehr viel teurer geworden. Und wir beobachten auch, dass die nationalen Vermögensfonds, die Russland anscheinend dafür aufgebaut hatte, dass das Land länger Krieg führen kann, auch langsam auslaufen. Jetzt wäre wirklich der Punkt erreicht, an dem der wirtschaftliche Druck auf Russland so stark ausgeübt werden sollte, dass Russland es wirklich bemerken würde, sodass sie lieber verhandeln und die Waffen ruhen sollten. Dass der Ölpreis in den letzten Wochen gesunken ist, trägt natürlich auch hervorragend dazu bei, dass Russland weniger Einfuhren hat.
WELT: Druck ausüben möchte man auch, indem man die Ukraine mit mehr Waffen beliefert, damit sie selbst in einer besseren Verhandlungsposition ist. In Deutschland wird sehr viel über mögliche Taurus-Lieferungen diskutiert. Sollten die Ukrainer die Marschflugkörper bekommen, wenn Putin sich nicht bewegen sollte?
Valtonen: Ich bin als finnische Außenministerin für die finnische Sicherheits- und Außenpolitik verantwortlich. Wir liefern schon seit über drei Jahren so viel, wie wir nur können. Wir müssen natürlich mit in Betracht ziehen, dass wir ein Nachbarland Russlands sind und unseren Nato-Aufgaben gerecht werden müssen. In dem Sinne arbeiten wir als Bündnis dafür, das ist ganz wichtig, dass wir unsere eigene Abschreckung und die des Bündnisses in Europa aufpeppen, dabei aber auch so viel an die Ukraine liefern, wie nur möglich. Alles, was der neue Kanzler Friedrich Merz in dieser Hinsicht gesagt hat, können wir nur begrüßen.
WELT: Russland baut mehrere wichtige Militärstützpunkte entlang der finnischen Grenze auf: Kampfjets, Fahrzeuge, Lager, Gebäude. Das kann man alles auf Satellitenbildern sehen. Sehen Sie das als indirekte Bedrohung auch für Ihr Land?
Valtonen: Unsere Lage auf der Weltkarte ist uns ja nicht neu. Wir sind schon lange ein Nachbar Russlands. Das hat vielleicht auch dazu geführt, dass wir erstens immer sehr stark auf unsere eigene Verteidigung gesetzt haben, und jetzt natürlich auch glücklich in der Nato sind und dazu beitragen, dass das Bündnis auch gemeinsam viel stärker wird. Wir müssen uns für die europäischen Werte einsetzen, für die Demokratie, den Rechtsstaat, auch die Gleichberechtigung ist uns im Norden sehr wichtig. Vielleicht sind wir jetzt zum achten Mal in Folge das glücklichste Land der Welt, weil wir wissen, dass wir eben nicht so leben wollen, wie die Russen auf der anderen Seite. Leider ist die Lage für die russische Zivilbevölkerung ganz schlimm. Das müsste nicht so sein.
WELT: Glauben Sie wirklich, dass Wladimir Putin sich dazu bewegen lässt, von seinem Grundziel, nämlich der Zerstörung der Ukraine als eigenständiger, souveräner, im Westen verankerter Staat, in irgendeiner Form abzurücken?
Valtonen: Unsere Analyse besagt, dass Russland leider eine langfristige und sogar existenzielle Bedrohung ausüben wird, nicht nur, was Europa angeht, sondern auch für den Weltfrieden. Und dementsprechend müssen wir uns jetzt in Europa und als westliches Bündnis so aufstellen, dass wir so schnell wie möglich kriegstüchtig werden, nicht um Krieg zu führen, sondern, um uns zu verteidigen, um Stärke projizieren zu können. Das ist leider die einzige Sprache, die Putin zu verstehen scheint. Und dabei müssen wir natürlich die Ukraine unterstützen, das ist auch menschlich gesehen einfach das Richtige. Die Ukrainer und Ukrainerinnen wollen Frieden. Sie haben sich dafür entschieden, dass sie endlich korruptionsfrei leben möchten, in Frieden, unabhängig und dass sie sich auf die europäische Lebensweise freuen können. Das müssen wir den Menschen gönnen.
Das Interview mit Ministerin Valtonen wurde im Nachrichtensender WELT ausgestrahlt. Die schriftliche Fassung wurde redaktionell bearbeitet von Caroline Turzer.
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