Vance hat Europa wieder lieb, die Ukraine und Russland aber weniger
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Ein "Feuersturm", eine "beispiellose Abrechnung" – so beschrieben europäische Zeitungen im Februar die Rede von US-Vizepräsident JD Vance' auf der Münchner Sicherheitskonferenz. Man hatte sie mit Spannung erwartet – aber das? Vance stach ins transatlantische Herz: Er warf Europa vor, Meinungsfreiheit zu beschneiden, die Demokratie auszuhöhlen, er machte Wahlkampf für die AfD. Vizekanzler Habeck spricht von der "Aufkündigung der westlichen Wertegemeinschaft".
Nun, wenige Monate später, trifft Vance in Washington den Gründer der Münchner Sicherheitskonferenz, Wolfgang Ischinger. Und plötzlich hat Vance Europa wieder lieb: Natürlich spielten die USA und die EU im selben Team. Das werde auch so bleiben, zu eng verknüpft seien die Kulturen. "Das bedeutet aber nicht, dass wir uns nicht kritisieren", so Vance. Man müsse die großen Fragen stellen, eben, um befreundet bleiben. Die großen Fragen sind an diesem Vormittag vor allem Handel und Verteidigung, auch der Ukraine-Krieg ist Thema.
Dass diese Themen weniger konfrontativ besprochen werden als noch im Februar, liegt nicht daran, dass Ischinger Vance' Auftritt unter den Teppich kehrt: Nach nur wenigen einleitenden Sätzen wedelt Ischinger bereits mit einer Broschüre herum, die man eigens gedruckt hat: Vance' Rede und die Reaktionen auf sie. So etwas habe es auf der Sicherheitskonferenz noch nicht gegeben, sagt Ischinger. Vance lacht.
"Die beiden hassen sich so sehr"
Ischinger und Vance sind schrecklich nett zueinander. Der fast 80-jährige Ischinger erzählt, wie er 1995 einen Monat im US-Bundesstaat Ohio verbrachte, Vance' Heimat. Damals war er deutscher Diplomat und verhandelte das Dayton-Abkommen mit, das den Bosnienkrieg beendete. Vance war damals zehn Jahre alt. Jetzt setzt er sein bestes Schwiegersohn-Lächeln auf und gibt sich angemessen beeindruckt. Ischinger revanchiert sich mit der Erkenntnis, die Einmischung der USA habe schon damals Frieden nach Europa gebracht.
30 Jahre später haben die Europäer in den Friedensgesprächen zwischen Russland und der Ukraine keinen Platz. Selbst die USA würden sich am liebsten heraushalten, deutet Vance an: "Wir sind ehrlich gesagt frustriert", gibt der US-Vize zu: "Die beiden hassen sich so sehr, dass die erste halbe Stunde eines einstündigen Gesprächs für ihren historischen Groll draufgeht."

Ischinger zu Ukraine-Verhandlungen "Ich habe Respekt vor der Fachkompetenz der russischen Kollegen"
Es sei "absurd, dass beide Seiten nicht miteinander sprechen". Das mache es unmöglich, zu vermitteln. In Vance' Augen verlangen die Russen zu viel; aber auch die Ukraine hat unrealistische Vorstellungen. Vance verlangt "kühle Köpfe" und verweist auf wirtschaftliche Vorteile für beide Seiten, die den Hass überwinden könnten.
Stichwort Wirtschaft: Was Vance denn von den Gesprächen zu einem Handels-Deal mit der EU erwarte, fragt Ischinger. Eine faire Behandlung, antwortet der. US-Software-Firmen würden bestraft, europäische nicht. Die Europäer sollten sich selbst verteidigen und dafür auch US-Waffen kaufen, sagt Vance.
An diesem Punkt will Ischinger die Fragerunde schon auf die Ziellinie führen, verweist auf den eng getakteten Terminplan des prominenten Gesprächspartners. Der aber unterbricht, winkt ab: "Ich habe Spaß." Sein Team werde schon nervös, sagt er grinsend und zeigt hinter die Kulissen.
Neue Einstellung von JD Vance sei "Hoffnungsschimmer" in Deutschland
Ischinger verweist auf den anstehenden Nato-Gipfel: Welches Signal erwartet Vance aus Europa? Fünf Prozent des Bruttoinlandsprodukts für Verteidigung – angesichts der europäischen Ängste sei das ein vernünftiges Ziel, sagt Vance. Es ginge aber nicht um bloße Summen: Vor 10, 15 Jahren, erinnert sich Vance, "waren die Deutschen sehr gut darin, ihre industrielle Stärke in Einklang mit ihren Lebensstandards zu halten". Jetzt aber deindustrialisiere Europa sich – genau in dem Moment, in dem offensichtlich werde, dass es eine starke Industrie benötige, um militärische Macht ökonomisch zu untermauern.

US-Zölle Wie deutsche Unternehmen in den Handelskrieg geraten
Er glaube, die USA lägen beim Thema Verteidigung richtig, sagt Vance: "Und ich bin dankbar, dass viele unserer europäischen Freunde das erkennen." Ischinger spricht von einem "Hoffnungsschimmer" - Deutschland habe die Schuldenbremse für Rüstungsausgaben ausgesetzt. Vance kneift die Augen zusammen, nickt.
Zum Schluss bittet Ischinger den US-Vize Vance, kommendes Jahr wieder die Münchner Sicherheitskonferenz zu besuchen. Vance bedankt sich und sagt, er sei nicht sicher gewesen, ob er nach seinem Auftritt im Februar wieder eingeladen würde. "Nun, wir haben darüber nachgedacht", sagt Ischinger. Vance lacht laut auf.
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