„Bin hier für ehrliche Worte: Wir haben vor der Wahl was anderes versprochen“
Als Unions-Kanzlerkandidat Friedrich Merz (CDU) am vergangenen Montag in Berlin sein Team für das künftige Bundeskabinett vorstellte, verließ ein Mann vorzeitig den Saal. Niedersachsens CDU-Chef Sebastian Lechner, dessen Landesverband bei der Verteilung der Ministerposten leer ausgegangen war.
Lechner, 44, ist seit Januar 2023 Landesvorsitzender und führt auch die Fraktion seiner Partei im Landtag von Hannover an. 2027 will er die niedersächsische Staatskanzlei für seine Partei zurückerobern und Ministerpräsident seines Bundeslandes werden.
WELT: Herr Lechner, wie ärgerlich ist es für Sie, dass Friedrich Merz Ihren CDU-Landesverband bei der Verteilung der Ressorts für sein neues Bundeskabinett nicht berücksichtigt hat?
Sebastian Lechner: Die wirtschaftliche Entwicklung, ländliche Räume und Landwirtschaft sowie Bildung und Familien sind für uns in Niedersachsen zentrale Themen. Hier stellen wir drei parlamentarische Staatssekretärinnen, und zudem haben wir mit Ursula von der Leyen die mächtigste europäische Politikerin in unseren Reihen. Das ist echte Frauenpower für Deutschland und Europa.
WELT: Also sind Sie einverstanden mit der Personalauswahl des künftigen Bundeskanzlers?
Lechner: Friedrich Merz hat sich entschieden, dieses Team zusammenzustellen, von dem er der Auffassung ist, dass es die beste Aufstellung für eine erfolgreiche Bundesregierung ist. Klar ist aber, dass aus dem drittgrößten Landesverband, der CDU in Niedersachsen, auch noch weitere starke Persönlichkeiten einen Beitrag in dieser Bundesregierung leisten könnten. Auf diese vielen guten Köpfe bin ich stolz.
WELT: Hat Merz im Vorfeld mit Ihnen und den anderen CDU-Landesvorsitzenden gesprochen?
Lechner: Es ist das verfassungsrechtlich definierte Recht des kommenden Bundeskanzlers, diese Entscheidung zu treffen. Davon hat Friedrich Merz Gebrauch gemacht. Unabhängig davon bin ich sicher, dass auch in Zukunft dem neuen Bundeskanzler ein gutes Verhältnis mit den Landesverbänden wichtig ist.
WELT: Ist es richtig, dass der frühere niedersächsische Ministerpräsident David McAllister Merz bei der Suche nach einem neuen Außenminister einen Korb gegeben hat?
Lechner: David McAllister ist einer der wichtigsten deutschen Politiker in Europa. Er hat ein hervorragendes Renommee, und ich kann gut nachvollziehen, dass er seine Arbeit auf der europäischen Ebene fortsetzen möchte.
WELT: Vor allem der Arbeitnehmerflügel der Union, die CDA, hat sich öffentlich über die Personalpläne des künftigen Kanzlers beschwert. Wie schwer wiegt die Hypothek, die Merz da aufgenommen hat?
Lechner: Die CDU war Volkspartei unter Helmut Kohl und Angela Merkel, die immer unterschiedlichste Bevölkerungsgruppen und Einstellungen repräsentiert hat. Das soll und wird auch unter Friedrich Merz so bleiben. Jedem Bundeskanzler, jedem Parteivorsitzenden ist daran gelegen, einen guten Austausch mit den Ländern und den jeweiligen Landesvorsitzenden zu pflegen. Es ist auch Voraussetzung dafür, dass Bund und Länder in den kommenden vier Jahren gemeinsam etwas bewegen können.
WELT: Gibt es eine Personalie in dem Merz-Tableau, die Sie besonders gefreut hat?
Lechner: Es gibt jetzt einen Minister für Digitalisierung und Staatsmodernisierung. Das digitale Staatswesen ist eines der wichtigsten Themen, die wir in Deutschland angehen müssen, wenn wir neues und nachhaltiges Wirtschaftswachstum erzeugen wollen, nicht zuletzt auch in Niedersachsen. Dass mit Karsten Wildberger ein Fachmann aus der Wirtschaft berufen wurde, der die digitale Transformation beherrscht, halte ich für eine ausgesprochen gute Entscheidung.
WELT: Jenseits der Unzufriedenheiten mit dem Personal gab es im CDU-Bundesausschuss keinerlei inhaltliche Debatte über den Koalitionsvertrag mit der SPD. Welche Passagen gefallen Ihnen – und welche eher nicht?
Lechner: Der Koalitionsvertrag enthält viele wichtige Punkte. Die Wende in der Migrationspolitik kann jetzt gelingen. Auch bei den Themen Energie und steuerliche Investitionsanreize birgt der Vertrag gute Ansätze, die das Land nach vorne bringen können. Das jetzt die IP-Vorratsdatenspeicherung kommt, um unsere Kinder vor Missbrauch zu schützen, war mir in den Koalitionsverhandlungen ein persönliches Anliegen.
Darüber hinaus gibt es sicher auch noch Punkte, die erst noch mit Inhalten gefüllt werden müssen. Wir brauchen eine Reform unserer Sozialsysteme, der Krankenkassen, der Rentenversicherung. Da darf es in dieser Legislaturperiode nicht bei Arbeitskreisen bleiben.
WELT: Wie sehr hat das Umkippen von Merz beim Thema Schuldenbremse die Union in Niedersachsen aufgewühlt, vielleicht sogar verunsichert?
Lechner: Stabile Finanzen und der ordentliche Umgang mit Geld gehören zur DNA der CDU. Ich bin hier für ehrliche Worte: Wir haben vor der Wahl was anderes versprochen. Aber die dringend notwendige Stärkung der Verteidigungsfähigkeit Deutschlands gerade in diesen Zeiten ist von großer Bedeutung. Dass es Friedrich Merz hier zuerst um das Land ging und er diese Entscheidung getroffen und umgesetzt hat, entspricht dem, was ein Kanzler tun muss.
WELT: Macht es Ihnen als Oppositionspolitiker in einem rot-grün regierten Bundesland die Arbeit nicht deutlich schwerer, wenn die neue Bundesregierung den Ländern per Kreditaufnahme 100 Milliarden Euro zusätzlich verschafft? Das zusätzliche Geld, die zusätzlichen finanziellen Gestaltungsmöglichkeiten nutzen doch im Zweifel den jeweiligen Landesregierungen.
Lechner: Zunächst einmal werden wir in der Lage sein, notwendige Investitionen vorzunehmen, und das ist eine wichtige Botschaft für unser Land. Und ansonsten wird die Tatsache, dass die SPD künftig im Bund mit der Union regiert, eher dazu führen, dass Spannungen und Konflikte bei Rot-Grün in Niedersachsen deutlich zunehmen. Wir erwarten, dass die Landesregierung zum Beispiel der Migrationswende im Bundesrat ihre Zustimmung gibt.
WELT: Heiligt der Zweck in der Politik eigentlich das Mittel?
Lechner: Als verantwortungsvoller Politiker muss man Entscheidungen treffen, die richtig und wichtig sind für unser Land. Die aber vielleicht nicht immer der reinen Lehre entsprechen, die sich eine Partei ins Programm geschrieben hat. Am Ende muss gelten: erst das Land, dann die Partei, dann die Person.
WELT: Was erwarten Sie in den ersten 100 Tagen vom neuen Kabinett?
Lechner: Friedrich Merz wird sich umgehend an die Arbeit machen und die wichtigen Themen, die die Menschen umtreiben, so angehen, dass sich spürbar etwas zum Positiven verändert werden kann. Bei der Begrenzung der illegalen Migration, bei der Aktivierung der wirtschaftlichen Entwicklung, bei der eindeutigen außenpolitischen Positionierung Deutschlands und Europas. Wir brauchen eine wahrnehmbar andere Politik.
Ulrich Exner ist politischer WELT-Korrespondent in Norddeutschland.
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