„Zum Scheitern verurteilt“ – Ex-Premier Blair stellt Klimaneutralität bis 2050 infrage
Wie die EU will auch Großbritannien bis 2050 klimaneutral werden. Doch im Vereinigten Königreich wächst der Widerstand gegen die Dekarbonisierung und auch Deindustrialisierung der Wirtschaft.
Mit Tony Blair spricht sich ein einflussreicher ehemaliger Premierminister und Sozialdemokrat für eine Abkehr vom Weg zur CO₂-Neutralität aus. Die Begrenzung des Energieverbrauchs und der Produktion fossiler Brennstoffe sei „zum Scheitern verurteilt“, schreibt Blair in einem neuen Bericht seiner Denkfabrik „Tony Blair Institute“. Blair war von 1997 bis 2007 Premierminister.
Globale Institutionen wie die UN und die Weltklimakonferenz hätten es versäumt, ausreichend Fortschritte zu erzielen, um den Klimawandel aufzuhalten. Gleichzeitig habe die Öffentlichkeit das Vertrauen in die Klimapolitik verloren, weil die versprochenen grünen Arbeitsplätze und das Wirtschaftswachstum ausblieben, was zum Teil auf die globale Instabilität und die Corona-Pandemie zurückzuführen sei.
„In Industrieländern haben Wähler das Gefühl, dass von ihnen finanzielle Opfer und Änderungen des Lebensstils verlangt werden, obwohl sie wissen, dass ihr Einfluss auf die globalen Emissionen minimal ist“, schreibt Blair. Die Hauptquelle der CO₂-Verschmutzung sei zudem nicht die historische Verantwortung der Industrieländer, sondern der zukünftige Ausstoß der Entwicklungsländer. Und diesen könne eine Entwicklung nicht verwehrt werden.
In den vergangenen 15 Jahren seien erneuerbare Energien und die E-Mobilität massiv ausgebaut worden. Trotzdem sei die Nachfrage nach fossilen Brennstoffen weiter gewachsen und nicht gefallen, argumentiert Blair. Im Jahr 2024 habe China mit dem Bau von 95 Gigawatt neuer Kohlekraftwerke begonnen – so viel ist wie die gesamte derzeitige Energieerzeugung aus Kohle in ganz Europa zusammengenommen.
Blair spricht sich für Atomkraft und CCS aus
Blair führt aus, dass sich die Bevölkerung in Afrika – bisher verantwortlich für vier Prozent der globalen Emissionen – in den nächsten 30 Jahren verdoppeln werde. „Dieses Wachstum wird Energie, Infrastruktur und Ressourcen erfordern.“ Und die Urbanisierung werde auch die Nachfrage nach Stahl und Zement erhöhen. „Wir müssen erkennen, dass die Welt sich für die billigste Option entscheiden wird, wenn wir nicht dafür sorgen, dass einige der aufkommenden Technologien zu finanzierbaren Alternativen werden“, schreibt Blair.
Der 71-Jährige spricht sich dafür aus, stärker auf Atomkraft, insbesondere kleine modulare Reaktoren, und die CCS-Technologie (Carbon Capture and Storage) zu setzen, um CO₂ abzuscheiden und im Meeresboden oder tieferen Gesteinsschichten zu speichern. Künstliche Intelligenz könnte die Effizient des Energienetzes erhöhen. Bei der Finanzierung sollte auf den Emissionshandel gesetzt werden.
Zudem fordert Blair auch eine Anpassung an die Folgen des Klimawandels. Das sei bisher unpopulär, weil dadurch ein Teil des Klimawandels akzeptiert werde. „Die politisch Verantwortlichen wissen im Großen und Ganzen, dass die Debatte irrational geworden ist. Aber sie trauen sich nicht, das zuzugeben, weil sie fürchten, als ‚Klimaleugner‘ beschimpft zu werden“, schreibt Blair.
Mit seinem Papier wolle er nicht die Dringlichkeit des Klimaschutzes leugnen, schreibt Blair, sondern eine Debatte über eine neue Strategie anstoßen. „Wir brauchen Lösungen, die dem Ausmaß der Herausforderung entsprechen, und eine neue Politik, um sie zu verwirklichen.“ Beides sei längst überfällig.
Blair erhält Zuspruch von Konservativen und Nigel Farage
In Großbritannien befeuert der ehemalige Premier mit seinem Bericht die Debatte, ob das Ziel, Netto-Null-Emissionen zu erreichen, noch zeitgemäß ist. Die Konservativen Tories, die das Klimaziel 2050 vor vier Jahren unter Premierminister Boris Johnson ausgegeben hatten, haben inzwischen einen Kurswechsel vollzogen und forderten auch die Labour-Regierung dazu auf.
„Mr. Brexit“ Nigel Farage, Vorsitzender der Partei Reform UK, lobte Blair auf X. „Sogar Tony Blair sagt jetzt, dass der Vorstoß für Net Zero ‚irrational‘ und ‚hysterisch‘ geworden ist“, schreib Farage auf X. „Wir sind dabei, die Diskussion zu gewinnen!“
Labour-Premierminister Keir Starmer erklärte, weiterhin an der CO₂-Neutralität bis 2050 festzuhalten. „Wir werden Netto-Null auf eine Weise erreichen, die das Leben der Menschen schont und ihnen nicht vorschreibt, wie sie zu leben oder sich zu verhalten haben“, sagte ein Sprecher des Premierministers der BBC.
Blairs Intervention dürfte auch in Deutschland noch für eine Debatte sorgen: Die damalige schwarz-rote Bundesregierung hatte 2021 festgelegt, dass das Land schon 2045 CO₂-neutral werden sollte – fünf Jahre früher als die EU und Großbritannien.
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