Übersieht Deutschland sein eigenes Raumfahrt-Wunder?
Mittwochmorgen, vierter Tag der Delegationsreise: Ein riesiger ovaler Tisch dominiert den Konferenzraum der Qatar Chamber. Links die Vertreter aus Katar, rechts Wirtschaftsministerin Katherina Reiche und rund 20 deutsche Delegationsmitglieder: Spitzenvertreter aus führenden Technologie- und Energieunternehmen, aus dem Finanzsektor. Auch der TÜV Nord ist dabei.
Drei Unternehmen dürfen sich an diesem Tag vorstellen, darunter Isar Aerospace mit seinem Gründer Daniel Metzler. Er wirkt routiniert, ganz so, als habe er seinen Vortrag schon viele Male gehalten. Der Vorsitzende des Verbands der Handels- und Industriekammern des Golf-Kooperationsrats und Mitglied der katarischen Königsfamilie, Khalifa bin Jassim Al Thani, macht fleißig Notizen.
Ein guter Termin für Metzler, so wirkt es. Aber scheinbar gute Termine, die hatte er in den vergangenen Jahren viele. Und wurde doch immer wieder enttäuscht. Der 32-Jährige sagt später über diese Reise: "Es fühlt sich manchmal paradox an. Deutschland sucht Investoren im Ausland – und wir stehen da mit einer Technologie, die das Land dringend braucht, aber kaum jemand nutzt."
Metzler baut Raketen. Nicht als Science Fiction Vision, sondern als Industriegut. "Wir sind eigentlich die Logistiker des Weltalls", sagt er. Seine Rakete Spectrum soll Satelliten in die Umlaufbahn bringen: Erdbeobachtung, Kommunikation, Navigation, militärische Aufklärung. Weltweit ist der Markt für Startplätze leergefegt. Aber die Bundeswehr ist bis heute keiner von Metzlers Kunden.
Metzler hat im Kanzleramt gesessen, in Ministerien, in Staatssekretärsrunden. Viermal hat er Olaf Scholz getroffen. "Die politische Spitze versteht das", sagt er. "Aber zwischen Verstehen und Entscheiden liegen in Deutschland manchmal Jahre."
Deutschland: Nationale Sicherheit auf amerikanischen Trägern
Metzler hat wirtschaftliche Interessen, klar. Er ist Unternehmer, will sein Produkt an den Markt bringen. Aber eigentlich müsste die Politik ihm die Türen einrennen. Deutschland lässt derzeit fast alle Satelliten von SpaceX in die Höhe schießen, dem Unternehmen des umstrittenen Amerikaners Elon Musk. Jeder Start bedeutet: deutsche Steuergelder in die USA, militärische Informationen an amerikanische Kontrollzentren, Abhängigkeit in einer Technologie, die heute so wichtig ist wie Energie oder Halbleiter. So kann es kaum weitergehen.

Raumfahrt Bald deutlich mehr Starts der Trägerrakete Ariane 6
Metzler beschreibt es nüchtern: "Wenn wir einen militärischen Satelliten aus den USA starten wollen, müssen wir vorher offenlegen, was er kann. Das ist nicht ideal für ein souveränes Land."
Er sagt es ohne Furor, eher wie jemand, der jahrelang erklärt hat, was auf dem Spiel steht, und inzwischen gelernt hat, seine Sätze genau abzuwägen. Um politische Unterstützung zu bekommen, braucht es hierzulande diplomatische Höchstleistungen, das weiß Metzler mittlerweile.
Das Wichtigste aus der Bundespolitik auf einen Blick
Abonnieren Sie unseren kostenlosen Hauptstadt-Newsletter – und lesen Sie die wichtigsten Infos der Woche, von unseren Berliner Politik-Expertinnen und -Experten für Sie ausgewählt!
Dabei ist eine 40.000 Quadratmeter große Produktionshalle im bayerischen Oberpfaffenhofen Parsdorf bei München schon gebaut, mit Platz für Europas modernste Raketenproduktion. Es fehlt nur eines: Geld. "Wir könnten die Produktion um drei Jahre vorziehen, wenn wir 300 Millionen Euro investieren könnten", sagt der Isar-Aerospace-Gründer.
Bei dem von der Regierung geplanten Weltraumsicherheitsbudget von 35 Milliarden Euro kaum mehr als ein Rundungsfehler. Doch die 300 Millionen kommen nicht. Nicht vom Verteidigungsministerium, nicht aus Sondertöpfen, nicht aus beschleunigten Verfahren. Währenddessen sichern sich US-Konzerne wie Amazon die freien Kapazitäten der neuen Ariane-6. Europas Raumfahrtressourcen werden knapp – und amerikanische Kunden greifen zuerst zu.

Pistorius: Regierung will 35 Milliarden Euro für Weltraumsicherheit ausgeben
Problem eins ist struktureller Natur: Raumfahrt wird in Deutschland überall gebraucht und nirgendwo richtig. Wirtschaft, Verteidigung, Digitales, Verkehr. Jeder braucht Satelliten. Niemand fühlt sich verantwortlich, Kapazitäten aufzubauen. Hinzukommt, dass die jetzige Regierung Luft- und Raumfahrt getrennt hat. Wer hat wirklich den Hut auf? Wirtschaftsministerin Katherina Reiche? Oder Raumfahrtministerin Dorothee Bär von der CSU?
International ist das Interesse an der deutschen Technologie groß. Katar, Südkorea, sogar Nato-Partner: 25 Staaten haben sich bei Isar Aerospace bereits erkundigt. Und Deutschland kämpft intern um Zuständigkeiten. Reichlich absurd.
Was auf dem Spiel steht
Problem zwei ist vielleicht noch größer: Sicherheitspolitisch ist der Handlungsdruck sehr hoch. Deutschland hat keine eigenen Frühwarnsatelliten. Wenn Nordkorea heute eine Rakete testet, erfahren die USA dies nach Sekunden – und teilen die Information mit Verbündeten. Deutschland wäre ohne die Amerikaner nahezu blind. Die Abhängigkeit ist fundamental.
"Wir reden über Verteidigungsfähigkeit 2029", sagt Metzler. "Aber dafür brauchen wir erst einmal die Augen und Ohren im All." Das All, heute: die wichtigste militärische Infrastruktur, entscheidend für Navigation, Aufklärung, Cyberabwehr, sogar für die Landwirtschaft und den Katastrophenschutz.
"Es ist komisch", sagt Metzler, "eigentlich haben wir Souveränität aufgebaut. Wir nutzen sie nur nicht."
Ein Land sucht Geld – und ignoriert die eigene Chance
Während Reiche im Golf um Investoren wirbt, könnte sie auf jemanden wie Metzler zeigen und sagen: Hier ist ein Beispiel dafür, was in Deutschland möglich ist, wenn wir uns trauen.
Ein Unternehmen, das global gefragt ist, in einer strategischen Schlüsselindustrie. Ein Unternehmen, das Deutschland unabhängiger machen könnte. Ein Unternehmen, das längst exportiert – aber kaum einen deutschen Kunden hat.
Und gleichzeitig ein Unternehmer, der nicht droht, nicht jammert. Sondern erklärt. "Steter Tropfen höhlt den Stein", sagt er. Es klingt wie ein Mantra, um die Absurdität auszuhalten.
Immerhin: Bei Reiche scheint das Problem inzwischen angekommen, man wolle da in der Zukunft anders hinschauen, heißt es. Auch der Investitionsbeauftragte des Bundeskanzlers, Martin Blessing, begleitet Katherina Reiche auf der Auslandreise. Der Ex-Commerzbank-Chef betont, er habe bereits Kontakte hergestellt zwischen Isar Aerospace und Geldgebern. Konkreter geht es bislang nicht. Womöglich wird Metzler noch einige Gespräche führen müssen. Er kennt das schon.
Kapitulieren will er nicht. Aber die Erschöpfung ist ihm am Mittwochabend, nach den Terminen der Delegation, schon anzumerken. Die Technologie ist fast marktreif. Die Nachfrage global riesig. Deutschland müsste nur wollen. "Wir würden gerne zuerst für unser eigenes Land fliegen", sagt Metzler. "Das wäre eigentlich das Natürlichste."
- Deutschland
- Daniel Metzler
- SpaceX
- Elon Musk
- Katherina Reiche
- Katar
- Raumfahrt
- Isar Aerospace
- DE
- USA
- TÜV Nord
- Isar
- Europa
- Königsfamilie
- Al Thani
- Bundeswehr
- Olaf Scholz
- Nationale Sicherheit
Haftungsausschluss: Das Urheberrecht dieses Artikels liegt bei seinem ursprünglichen Autor. Der Zweck dieses Artikels besteht in der erneuten Veröffentlichung zu ausschließlich Informationszwecken und stellt keine Anlageberatung dar. Sollten dennoch Verstöße vorliegen, nehmen Sie bitte umgehend Kontakt mit uns auf. Korrektur Oder wir werden Maßnahmen zur Löschung ergreifen. Danke