Frankreichs Regierungschef Sébastien Lecornu hat das Zauberwort ausgesprochen, auf das die Sozialisten bei seiner Regierungserklärung am Dienstagnachmittag gewartet haben: die Aussetzung der Rentenreform. Bei seinem überraschend kurzen Auftritt kündigte Lecornu an, die umstrittene Rentenreform im Parlament zur Diskussion zu stellen und bis zu den nächsten Präsidentschaftswahlen auszusetzen. Damit hat er der Forderung der Parti Socialiste (PS) nachgegeben, von der das Überleben seiner Regierung abhängt.

Erst am Donnerstagmorgen wird sich zeigen, ob dieser Schritt der Opposition genügt. Dann wird über die beiden Anträge auf ein Misstrauensvotum abgestimmt, die Rechts- wie Linkspopulisten bereits vor Lecornus Regierungserklärung eingereicht hatten. Ihre Position hat sich weder durch den radikalen Schritt noch durch das Versprechen verändert, dass in Zukunft das Parlament entscheidet, nicht der einsame Mann im Elysée-Palast. Marine Le Pens Rassemblement National (RN) wie auch Jean-Luc Mélenchons Partei „Unbeugsames Frankreich“ (La France Insoumise) wollen die Regierung stürzen und Neuwahlen auslösen.

Weil die Abstimmung sehr knapp ausgehen könnte, verwandelt sich die französische Politik gerade in ein Rechenspiel. Um die Regierung zu stürzen, ist die absolute Mehrheit von 289 Stimmen nötig. Da sich auch Grüne und Kommunisten den Misstrauensvoten anschließen wollen, geht es um knapp zwei Dutzend Stimmen, von denen das Überleben der Regierung Lecornu abhängt. Die Sozialisten wollen sich nach der Regierungserklärung nicht mehr am Sturz der Regierung beteiligen, da ihre beiden Forderungen erfüllt wurden: die Aussetzung der Rentenreform wie auch der Verzicht auf den verhassten Verfassungsartikel 49.3, der es erlaubt, Gesetze ohne Abstimmung, aber mit anschließenden Vertrauensvotum zu verabschieden.

Nur wenn sich unter den 69 Abgeordneten der PS 20 bis 25 Frondeure finden sollten, wird die Regierung am Donnerstagmorgen stürzen. Das ist unwahrscheinlich, aber nicht auszuschließen. Derzeit sieht es so aus, als sei Macrons Regierung noch einmal davongekommen. Das heißt aber nicht, dass sie auch die nächsten Wochen der Haushaltsdebatte überlebt. PS-Fraktionschef Boris Vallaud sagte, seine Partei habe „fraglos einen Sieg“ errungen, bezeichnete den Haushaltsentwurf aber als „unerträglich und unzureichend“. Das deutet darauf hin, dass es sich nur um eine Galgenfrist handelt. Fest steht, beim nächsten Sturz wird es keine neue Regierung geben. Macron wird dann die Nationalversammlung auflösen und Neuwahlen ausrufen. Das Misstrauensvotum sei nun ein „Auflösungsvotum“, wie es aus dem Elysée hieß.

Mehr als um die Frage, ob und wie lange „Lecornu II“ überlebt, wie die zweite Regierungsmannschaft des neuen Regierungschefs genannt wird, geht es darum, ob Frankreich am Ende des Jahres einen Haushalt haben und beginnen wird, den Schuldenberg abzutragen, oder ob es noch tiefer in die wirtschaftliche, politische und am Ende auch institutionelle Krise rutscht. „Frankreich muss ein Budget haben, ein Budget, das seriös und verlässlich ist“, sagte Lecornu, als er den Haushaltsentwurf grob vorstellte und verteidigte. Das Haushaltsgesetz sieht vor, das Defizit um 0,6 Prozent auf 4,7 Prozent des Bruttosozialproduktes (PIB) zu reduzieren. „Wir können unser Land nicht dauerhaft von ausländischen Geldgebern abhängig machen“, warnte Lecornu.

Details hat der Regierungschef vor den Parlamentariern nicht ausgeführt. Es geht aber um einen Sparhaushalt von 30 Milliarden Euro. 17 Milliarden sollen durch Ausgabenkürzungen eingespart werden, 13 Milliarden Euro zusätzlich eingenommen werden durch gezielte Steuererhöhungen. Lecornus Vorgänger François Bayrou hatte sich mit einem Sparhaushalt von knapp 44 Milliarden Euro nicht durchsetzen können und war daraufhin ohne Not zurückgetreten.

Noch während seiner Rede stellte Lecornu klar, was die Aussetzung der Rentenreform bedeutet: Die allmähliche Anhebung der Altersgrenze wird ab sofort und bis Januar 2028 ausgesetzt, wie es die Gewerkschaft CFDT gefordert hatte. Auch die Zahl der Trimester, die nötig sind, um ohne Abschlag in Rente gehen zu können, soll bis zu diesem Datum unverändert bleiben und nicht, wie vereinbart, allmählich angehoben werden.

Lecornu rechnete vor, dass die Aussetzung der Rentenreform Geld kostet. Im kommenden Jahr wird sie mit 400 Millionen Euro zu Buche schlagen, 2027 mit 1,8 Milliarden. „Dies muss finanziert werden, auch mit Ausgabenkürzungen“, stellte Lecornu klar. Der am Tag zuvor mit dem Nobelpreis ausgezeichnet Wirtschaftswissenschaftler Philippe Aghion plädierte in der Morgensendung des Radiosenders France Inter für eine „Unterbrechung der Rentenreform“. Das werde zwar „Geld kosten“, doch das sei ein vergleichsweise „bescheidener Preis, um die wirtschaftliche und politische Stabilität zu gewährleisten“, so Aghion.

Die Aussetzung der Rentenreform ist mehr als eine Geste oder ein Zugeständnis. Lecornu hat die „Mutter aller Reformen“, wie sie in Frankreich gern genannt wird, die große Reform der zweiten Amtszeit Macrons damit beerdigt. Macron war 2022 mit der Ansage in den Wahlkampf gezogen, das Rentenreintrittsalter auf 65 Jahre anheben zu müssen, wenn man den Zusammenbruch des französischen Rentensystems trotz demographischer Entwicklung verhindern wolle. Die unter Schmerzen und nach monatelangen Demonstrationen durchgesetzte Reform hat das Eintrittsalter lediglich von 62 auf 64 Jahre angehoben. Es sei „paradoxerweise eine Chance“, so formulierte es Lecornu, dieses Thema nun vor den Präsidentschaftswahlen im Frühjahr 2027 zu klären. Er kündigte eine große „Sozial- und Arbeitskonferenz“ mit allen Sozialpartnern an.

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