Als Jette Nietzard zu sprechen beginnt, verlässt Jakob Blasel den Raum, dann zieht die scheidende Co-Chefin der Grünen Jugend eine Bilanz ihrer Amtszeit. Auf die Mobbing-Vorwürfe gegen sie geht sie nicht ein, die Liste der von ihr verursachten Kontroversen ist ohnehin lang.

Nach ihrem Auftritt im „All Cops are Bastard“-Pullover wollten prominente Grüne ihren Rücktritt, Altvordere wie Winfried Kretschmann kommunizierten das öffentlich.

Was sollte das alles? Nietzard sagt: „Mir war wichtig, dass der Verband links bleibt“, dass er „wieder schlagfertig“ wird nach den Massenaustritten noch linkerer Mitglieder unter Robert Habecks Mitte-Kurs – egal, wie das außerhalb der Grünen Jugend ankommt.

„Beliebt gemacht hat mich das jetzt nicht, aber mein Versprechen habe ich gehalten: niemanden in den Arsch zu kriechen!“, ruft Nietzard aus. Und sagt: „Ich habe letztes Jahr vielleicht nicht verkörpert, wo die Grünen hin wollen, aber wir verkörpern, wo sie hin sollten“, der Saal spendet lautstark Beifall.

Nietzard selbst scheint, wo sie nun zurückblickt – und das trotz allen Selbstlobs – Distanz zwischen sich und ihr Image des letzten Jahres bringen zu wollen. Sie insinuiert, sie habe schlicht die Rolle gespielt, die notwendig war angesichts dessen, was innerhalb der Grünen Jugend als „Rechtsruck“ der Grünen gilt, gegen den sich aufzulehnen galt.

„War eben eine Version von mir“

So sei sie „Identifikationsfigur und Gesicht von 19.000 Mitgliedern“ gewesen. Was man dort zu Gesicht bekam – „das war eben eine Version von mir. Und ich freue mich darauf, außerhalb dieser Mauern“, sie meint in einer anderen, zukünftigen Rolle, „zeigen zu können, welche Version von mir es eben noch da draußen gibt.“

Die junge Grüne, so will es dem Publikum mitgeben zum Abschied mitgeben, hat Opfer gebracht beim Spielen dieser „einen Version“. Zwar sei sie das „ganze Jahr als starke Frau wahrgenommen“ worden – das sei aber häufig nur eine Fassade gewesen. Denn die Gegner, sagt Nietzard, „wollen, dass du schwach bist. Sie wollen sehen, dass ich verzweifelt bin“.

Ihr schärfster Vorwurf geht dabei an die eigene Partei. Vergewaltigungsandrohungen halte sie aus, sagt Nietzard. „Es gab ein Wochenende im Juni“, die Zeit nach dem ACAB-Pullover, „und das war das Allerschlimmste meiner Amtszeit.“ Wenn „gleichzeitig. Teile des eigenen Verbandes, Winfried Kretschmann und das halbe Internet deinen Rücktritt fordern, dann ist man schon sehr nah am Wasser gebaut.“

Tränen „fast immer im Griff“

Besagtes Wochenende habe sie auf einem Workshop in Schleswig-Holstein verbracht, „undd es ging mir wirklich selten so scheiße“, sagt sie. „Ich hatte die Tränen vor den Mitgliedern fast immer im Griff. Aber als ein junger MdB mich anrief und meinen Rücktritt gefordert hat, bin ich wieder im Tränen ausgebrochen.“ „Krass“, entfährt es einem Zuhörer, er klingt schockiert.

Was bleibt von Nietzard? Sie gibt ihrem Verband Rat in Stilfragen. Der Satz, der von ihr bleibe, laute: „Seid nicht cringe“. Bedeutet: Verhaltet euch nicht peinlich. Nietzard meint damit: „Tragt bitte wirklich nie Stirnlampen im Winterwahlkampf.“

Und außerdem: eine Radikalisierung in der Sprache, wie man sie auch rechtsaußen erleben kann, und die Säulen der liberalen Gesellschaft verächtlich macht. „Früher haben wir in der Frauenförderungen immer gesagt: bildet Banden“, ruft sie zum Ende ihrer Rede in den Saal. „Heute sage ich euch bitte: Bildet Ketten. Ketten, die die Partei, die die Medienhäuser, aber auch die Polizei nicht durchbrechen können.“

„Schweigend kann man nichts erkämpfen“, rät sie der Grünen Jugend auch. „Revolutionen wurden nicht gewonnen, weil Menschen geschwiegen haben, sondern weil Sie sich verdammt nochmal organisiert haben!“

Nietzards letzte Worte: „Ihr wisst, wir ihr mich erreicht. Alerta.“ Tosender Applaus, aber nicht alle tragen das mit. Demonstraitv bleiben mindestens ein Dutzend Zuhörer sitzen; bei Jakob Blasels Rede geschieht das nicht.

Jan Alexander Casper berichtet für WELT über die Grünen und gesellschaftspolitische Themen.

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