So hart ist die neue Grundsicherung wirklich
Bei so vielen Umbenennungen kann einem schon mal schwindlig werden: Erst war da das, was viele "Hartz IV" nannten, das änderte die vorherige Ampel-Regierung zum "Bürgergeld", jetzt wollen Union und SPD daraus schon wieder etwas Anderes machen: die "Grundsicherung für Arbeitssuchende". Immer ist damit die Leistung gemeint, die Menschen erhalten, die ihren Lebensunterhalt nicht aus eigenem Einkommen bestreiten können.
Die Union hatte beträchtliche Teile ihres Wahlkampfs damit verbracht, das von SPD, Grünen und FDP in der vergangenen Legislatur eingeführte Bürgergeld als zu lasch zu kritisieren. Es verführe eigentlich arbeitsfähige Leute dazu, sich in der sozialen Hängematte auszuruhen, auf Kosten all jener, die fleißig arbeiten gehen. Bei vielen Menschen hat das schnell verfangen, schließlich berührt es grundsätzliche Fragen von Gerechtigkeit, danach also, wie viel Hilfe in einer Notsituation angebracht ist. Aber auch, was man von denen erwarten muss, die diese Hilfe in Anspruch nehmen.
Umso wichtiger ist es für die Union, nun sagen zu können: "Das Bürgergeld ist jetzt Geschichte" (O-Ton Markus Söder). Ist das aber vornehmlich eine Änderung des unglücklichen "Bürgergeld"-Begriffs, der für viele nach einer Art bedingungslosem Grundeinkommen klang? Oder kommt mit der Grundsicherung tatsächlich ein anderes System mit härteren Anforderungen an die Arbeitslosen?

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Im politischen Raum gehen die Deutungen weit auseinander. "Am Bürgergeld ändert sich praktisch nichts", sagt Alice Weidel, Vorsitzende der AfD. Grüne und Linke hingegen beklagen Änderungen, die viel zu weit gingen. Als "menschlich hart und kalt" bezeichnet die grüne Fraktionschefin Britta Haßelmann die Koalitionspläne. Zeit, mal genauer hinzuschauen.
Schneller härtere Sanktionen als im Bürgergeld
Grundsätzlich gilt: Die Menschen, die sich gegenüber den Arbeitsvermittlern unkooperativ zeigen, etwa indem sie nicht zu Terminen im Jobcenter auftauchen, sollen künftig schneller und umfassender bestraft werden. Wird ein erster Termin versäumt, soll "unverzüglich" zu einem zweiten Termin geladen werden, heißt es in dem Einigungspapier von Union und SPD.
Wird auch dieser Termin nicht wahrgenommen, soll die Leistung statt wie bislang um 10 Prozent direkt um 30 Prozent gekürzt werden. Beim dritten Terminversäumnis sollen die Geldleistungen komplett eingestellt werden, anschließend, wenn der Leistungsberechtigte auch im darauffolgenden Monat nicht erscheint, würden "alle Leistungen einschließlich der Kosten der Unterkunft komplett eingestellt". Härtefälle sollen dabei berücksichtigt werden, heißt es im Papier, etwa wenn es gesundheitliche oder andere schwerwiegende Gründe für das Nichterscheinen gibt.
Insbesondere die Tatsache, dass künftig komplett "auf Null" sanktioniert werden könnte, stellt eine deutliche Verschärfung im Vergleich zu den bisherigen Regeln im Bürgergeld dar. All jenen, die härtere Sanktionen forderten, bot der Bundesrechnungshof kürzlich Argumentationshilfe. Der hatte sich Fälle von Langzeitarbeitslosen angeschaut, die aus Sicht der Jobcenter nicht ausreichend mitwirkten. Das Fazit: Die bisherigen Sanktionen seien zu niedrig und "nicht wirksam". Beispielhaft sei in dem Bericht aus einer Akte aus einem Jobcenter zitiert worden, berichtet die "Süddeutsche Zeitung": "Kunde kommt grundsätzlich zu keinem Termin. Leider keine Möglichkeit, Leistungen komplett einzustellen. Sanktionen bis 30 Prozent bringen keinen Erfolg – sind dem Kunden egal."

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Die neuen Regeln dürften dieser zitierten Person so egal dann nicht mehr sein. Offen ist aber noch, ob das am Ende mit dem Grundgesetz vereinbar ist. Die Grünen etwa glauben das nicht. Denn ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 2019 stellt fest, dass der Gesetzgeber ein menschenwürdiges Existenzminimum gewährleisten muss. Allerdings argumentierten die höchsten Richterinnen und Richter damals auch, dass – wenn es keine Bereitschaft gebe, selbst zur Sicherung des Lebensunterhalts beizutragen – im Extremfall auch ein kompletter Leistungsentzug zu rechtfertigen sei. Darauf berufen sich die Spitzen von Union und SPD nun offenbar.
Doch auch bei der SPD gehen manchen diese Verschärfungen zu weit. "Das Einstellen aller Leistungen, einschließlich Miete und Heizung, kann im Ergebnis zu Obdachlosigkeit führen", mahnt Jan Dieren, Vorsitzender der SPD-Parteilinken "DL21" im stern. "Das halte ich für falsch." Der Bundestagsabgeordnete, Mitglied im Ausschuss für Arbeit und Soziales, sieht hier offenkundig noch Klärungsbedarf.
Fokus auf Qualifizierung wird nicht ganz rückabgewickelt
Klar ist aber auch: All diese Verschärfungen werden nur einen Bruchteil der bisherigen Bürgergeldempfänger betreffen. Denn eigentlich nehmen fast alle ihre Verpflichtungen ernst und wirken dabei mit, eine Arbeit zu finden. Zu den sogenannten Totalverweigerern gibt es keine genaue Zahl. Experten gehen aber davon aus, dass es weniger als ein Prozent der rund 3,9 Millionen arbeitsfähigen Bürgergeldbezieher sind.
Deshalb wird es mit den neuen Regelungen nicht zu nennenswerten Einsparungen der Kosten kommen, die die Union noch im Wahlkampf in Aussicht gestellt hatte. Doch die verschärften Regeln können im Idealfall dazu beitragen, die Akzeptanz in der Gesellschaft für die Grundsicherungsleistung wieder zu erhöhen. Denn durch die wenigen, die das System in der Vergangenheit ausnutzten, hat sich eine Diskussion entwickelt, die auch die Vorurteile gegen alle anderen Bürgergeldempfänger wachsen ließ.
Für diese wird einer der wichtigsten Punkte sein, dass ein Ansatz aus dem Bürgergeld zumindest nicht wieder ganz rückabgewickelt wird: auf Qualifizierung zu setzen. Trotz des nun festgeschriebenen sogenannten "Vermittlungsvorrangs in Arbeit" sollen nicht alle Arbeitssuchenden direkt gezwungen sein, eine x-beliebige Stelle anzutreten.
Dort, wo eine Weiterbildung erfolgversprechender erscheine, insbesondere bei den unter 30-Jährigen, soll auch künftig die Qualifizierung Vorrang haben, heißt es in dem Papier. Von dieser Logik aus dem nun fast schon wieder alten Bürgergeld haben sich Experten langfristig das meiste versprochen – um einem "Drehtüreffekt" entgegenzuwirken, bei welchem Menschen zwar erst in einen Job vermittelt werden, aber kurz darauf schon wieder arbeitslos werden.
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