Darum hat Sahra Wagenknecht ausnahmsweise mal recht
Nein, es ist noch kein Gespenst, das im Berliner Regierungsviertel umgeht. Aber eine bange Frage wabert schon seit einer Weile an den Gestaden der Spree: Was passiert, falls die knappe Mehrheit im Bundestag auf Auszählungsfehlern beruht – und das BSW nachträglich in den Bundestag einzieht?
Die Folgen, dies zumindest ist gewiss, würden diese Republik erschüttern. Die Koalition? Futsch. Der Kanzler? Ohne Legitimation. Und die Regierung? Ach, reden wir lieber nicht darüber.
Es wäre eine Staatskrise, die in die nächste Neuwahl des Bundestages münden könnte. Niemand, der an halbwegs stabilen Verhältnissen in Deutschland – und in Europa – interessiert ist, kann das wollen.
Bundestagswahl muss über jeden Zweifel erhaben sein
Und dennoch: Das Ergebnis der Bundestagswahl sollte neu ausgezählt werden. Der Grund ist einfach: Gerade eine Abstimmung, auf der die gesamte legislative und exekutive Macht im Bund beruht, muss über jeden Zweifel erhaben sein.
Und diese Zweifel existieren leider. Da sind erst einmal die nackten Zahlen. Knapp 50 Millionen gültige Zweitstimmen – genau waren es 49.649.512 – wurden am 23. Februar abgegeben. Davon entfielen auf das Bündnis von Sahra Wagenknecht 2.472.947 Stimmen. Der Anteil der Partei betrug damit 4,981 Prozent, womit sie nur äußerst knapp die Fünf-Prozent-Hürde verfehlte.

Exklusiv AfD stützt Wagenknechts Forderung nach neu ausgezählter Bundestagswahl
Es geht also um etwa 9500 Stimmen. Und es spricht einiges dafür, dass diese Zahl so nicht stimmt. So fehlten dem BSW, als das vorläufige Ergebnis bekannt gegeben wurde, noch 13.500 Stimmen. 4000 kamen allein bei der Routineprüfung hinzu.
Gab es Verwechslungen?
Darüber hinaus gab es Stichproben in einigen der 95.000 Wahlbezirke, die ein paar zusätzliche Stimmen für das BSW ergaben. Auch wenn sich eine simple Hochrechnung verbietet, weil die Bezirke viel zu unterschiedlich strukturiert sind, so lieferte doch die kleine Neuauszählung wenigstens ein Indiz dafür, dass sich da so einiges aufsummieren könnte.
Und dann ist da noch die Kleinpartei Bündnis Deutschland, die auf dem Wahlzettel direkt über dem Bündnis Sahra Wagenknecht stand. Das BSW argumentiert, dass einige Wähler bei der Abstimmung die beiden Parteien verwechselt haben könnten.

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Ja, das klingt etwas bemüht. Aber auch hier gibt es Hinweise darauf, dass etwas an dieser Mutmaßung dran ist. Die Politologen Eckhard Jesse und Uwe Wagschal haben nachgezählt, und siehe da: In 145 Wahlbezirken lag das Bündnis Deutschland, das bundesweit gerade mal auf rund 76.000 Zweitstimmen kam, vor dem ansonsten vielfach stärkeren BSW.
Aus all diesen Gründen halten die beiden renommierten Wissenschaftler "eine bundesweite Neuauszählung" für "dringend geboten". Und sie haben recht damit. Es muss eine schnelle Entscheidung her: zuerst des Wahlprüfungsausschusses im Bundestag – und danach des gesamten Parlaments. Ernsthafte Gründe für einen weiteren Aufschub existieren nicht.
Die AfD würde genüsslich im Chaos baden
Natürlich wirkt es angesichts der möglichen Folgen nachvollziehbar, wenn Union und SPD eine Neuauszählung vermeiden wollen. Auch die Zurückhaltung von Grünen und Linken ist verständlich. Schließlich würden ihre Fraktionen, falls das BSW einzöge, zumindest einige Mandate verlieren und bekämen zusätzliche, linkspopulistische Konkurrenz.

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Das gilt im Grundsatz auch für die AfD. Allerdings würde die Partei bei einem möglichen Einzug des BSW politisch profitieren. Nicht nur, dass sie dann gemeinsam mit dem BSW wichtige Minderheitsrechte besäße: Sie könnte genüsslich im Chaos baden und umso begieriger darauf warten, bis das sogenannte System von selbst implodiert. Insbesondere deshalb unterstützt sie jetzt Wagenknecht.
Doch so oder so: Strategische Erwägungen sollten diese Entscheidung nicht beeinflussen. Es darf gar nicht erst der Eindruck aufkommen, dass ein möglicherweise unkorrektes Ergebnis einer freien und geheimen Wahl nur deshalb Bestand hat, weil besonders viel Macht daran hängt. Denn genau dies ist der Eindruck, den Extremisten und Populisten gezielt nähren – und von dem sie sich wiederum ernähren.
Der Weg nach Karlsruhe bleibt Sahra Wagenknecht immer
Selbst wenn eine Mehrheit im Bundestag eine neue Auszählung ablehnt, dann sollte sie dies zumindest schnell tun. Denn erst nach einem Nein steht dem BSW der Rechtsweg zum Bundesverfassungsgericht offen.
Wie Karlsruhe entscheiden würde, weiß niemand. Es gibt selbstverständlich auch Argumente gegen eine Neuauszählung. Die Bundeswahlleiterin und die Wahlleitungen der Länder haben sie in ihren Stellungnahmen an den Bundestag aufgelistet. Aber wie wäre es um das Ansehen des Parlaments bestellt, falls das BSW vor dem Bundesverfassungsgericht recht bekäme? Zumal: Wenn alles korrekt gelaufen ist, warum dann nicht noch einmal nachschauen?
Tatsächlich ist ja gar nicht ausgemacht, dass bei einer Nachzählung das BSW im Bundestag säße. Und was wäre dann? Genau: Die Koalitionsmehrheit stünde, die Regierung dürfte sich bestätigt fühlen, und das BSW bliebe wohl eine Episode.
Vor allem aber: Das Vertrauen in die Parteien, die diese Demokratie wollen, wäre wieder etwas gestärkt.
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