Polen ruft Artikel 4 aus: Wann gilt der Nato-Bündnisfall?
Polen hat erstmals als Reaktion auf eine schwere Verletzung des Nato-Luftraums russische Drohnen abgeschossen. Die unbemannten Systeme waren während massiver russischer Angriffe auf die Ukraine in den polnischen Luftraum eingedrungen. Ministerpräsident Donald Tusk beantragte nach dem Vorfall Nato-Konsultationen nach Artikel 4.
Was ist Artikel 4 der Nato?
Artikel 4 der Nato sieht Beratungen mit den Verbündeten vor, wenn sich ein Nato-Staat von außen in seiner Unabhängigkeit, territorialen Integrität oder Sicherheit bedroht sieht. Die Nato-Partner beraten nach Artikel 4 zunächst über ein weiteres Vorgehen. Grundsätzlich ist Artikel 4 Ausgangspunkt für den sogenannten "Nato-Bündnisfall" – also Artikel 5.

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Nach EU-Angaben gibt es Anzeichen dafür, dass Moskau vorsätzlich vorgegangen ist. Der Vorfall markiert im Zusammenhang mit dem Ukraine-Krieg eine Eskalation zwischen der Nato und Russland. "Dies ist der erste Fall, in dem russische Drohnen über dem Gebiet eines Nato-Staates abgeschossen wurden, weshalb alle unsere Verbündeten die Situation sehr ernst nehmen", sagte Tusk nach einer Krisensitzung der Regierung. Verteidigungsminister Wladyslaw Kosiniak-Kamysz sprach von einer sehr schweren Provokation. Nach Tusks Angaben wurde der Luftraum im Laufe der Nacht mindestens 19 Mal verletzt.
Was ist Artikel 5 der Nato?
Kommen die Beratungen nach Artikel 4 zu dem Ergebnis, dass tatsächlich ein Mitgliedsland militärisch angegriffen wurde, muss das wichtigste Gremium der Nato, der Nordatlantikrat, dies ebenfalls feststellen.
Ist dies der Fall, tritt Artikel 5 in der Kraft. Dieser beschreibt den sogenannten Bündnisfall. Einfach ausgedrückt verpflichten sich alle Mitgliedsländer der Nato zum Beistand. Das bedeutet: Wird ein Nato-Land militärisch angegriffen, wird diese Attacke als Angriff auf das gesamte Bündnis gewertet. Die Folge wäre eine kollektive Verteidigung.
Allerdings schreibt der Artikel nicht genau vor, was eine solche Situation für die einzelnen Nationen bedeutet. Welche Art von Beistand ein jeweiliges Land leistet, bleibt ihm überlassen. Diese Leistungen können etwa militärisch, finanziell oder politisch sein. Die Entscheidung darüber, ob der Bündnisfall ausgerufen wird, und welche Reaktionen daraus resultieren, entscheidet ebenfalls der Nordatlantikrat.

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Wichtig dabei: Artikel 5 ist nicht gleichbedeutend mit einer Kriegserklärung. Ob die Nato-Staaten einem Land den Krieg erklären, müssen sie individuell entscheiden, dazu hat die Nato kein Recht.
Wurde der Bündnisfall schon einmal ausgerufen?
Ja, allerdings erst ein einziges Mal. Nach den Anschlägen vom 11. September erbat die USA um Beratungen nach Artikel 4. Daraufhin lösten die Nato-Staaten aus Solidarität den Bündnisfall aus. Resultat waren zwei grundlegende Reaktionen: Zum einen starteten die USA die Operation "Eagle Assist", die den amerikanischen Luftraum schützen sollte.
Zum anderen rief man Operation "Active Endeavour" aus – aktive Bekämpfung von terroristischen Zielen im Mittelmeerraum. Es folgten weitere Militäroperationen vor allem in Afghanistan, bei den sich Großbritannien, Kanada, Frankreich und auch Deutschland beteiligten.
Bedeuten die Drohnen-Abschüsse über Polen, dass nun der Bündnisfall ausgerufen wird?
Das galt von vornherein als sehr unwahrscheinlich, derzeit gibt es dafür keine Anhaltspunkte – auch, weil dies ein Vorgehen der Nato gegen Russland und damit großes Eskalationspotenzial bergen würde.
Die Beratungen nach Artikel 4 sind zwar Voraussetzung für den Bündnisfall, allerdings ist er nicht automatisch das Resultat der Gespräche. In der Geschichte des Bündnisses kam der Nato-Rat bislang siebenmal auf der Grundlage dieses Artikels zusammen. Besonders häufig beantragte dies die Türkei wegen Konflikten im Grenzgebiet mit Syrien.
Zuletzt hatten Bulgarien, Tschechien, Estland, Lettland, Litauen, Polen, Rumänien und die Slowakei eine Artikel-4-Konsultation am 24. Februar 2022 nach der russischen Invasion der Ukraine beantragt.
Mit Material der Nachrichtenagenturen DPA und AFP.
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