Wahlkampf mit Kölsch – „Wir werden Streit mit der CDU ohne Ende haben“
Es ist schon sehr spät am Montagabend, da gerät Lars Klingbeil noch in die Verlegenheit, die CDU etwas in Schutz nehmen zu müssen. Nach einem langen Arbeitstag und vielen Terminen in Nordrhein-Westfalen betritt der SPD-Parteichef durch einen gekachelten Nebeneingang die Kneipe „Eigenheim“ in Köln-Nippes. Die Gäste klatschen, jubeln, pfeifen, als hätte der 1. FC Köln gerade sein nächstes Bundesligaspiel gewonnen, und „der Lars“ muss sich in die Mitte stellen, vor eine gewagte Konstruktion aus vier Getränkekisten und einer aufliegenden kleinen Tischplatte.
Klingbeil zieht sein Sakko aus, krempelt die weißen Hemdärmel auf. „Kreuzi“, der Wirt, solle „ein paar Kölsch rüberschmeißen“, ruft einer. Der Bundesfinanzminister und Co-SPD-Parteichef nimmt eines der schlanken Gläser aus dem vollen Plastikkranz, prostet allen zu, nimmt den ersten Schluck, und dann ist er angekommen. Draußen drängeln sich Schaulustige vor den geöffneten Fenstern der Gaststätte.
Klingbeil will Torsten Burmester, den örtlichen Spitzenkandidaten für das Amt des Oberbürgermeisters, unterstützen und seine Partei motivieren. Am 14. September sind Kommunalwahlen in Nordrhein-Westfalen, und für die SPD sieht es wieder einmal miserabel aus. Der negative Bundestrend erschwert den Wahlkampf. „Ich weiß, wir machen euch das manchmal aus Berlin nicht einfach“, sagt Klingbeil. In Köln hofft die SPD immerhin auf die Stichwahl zwei Wochen später und einen Sieg, denn Burmester liegt nach einer aktuellen Umfrage überraschend knapp vorn.
Klingbeil will bei seiner Stippvisite deutlich machen, was die SPD in der schwarz-roten Bundesregierung machen will – und was sie nicht mit sich machen lässt. Da meldet sich irgendwann nach etwa einer Stunde ein Sozialdemokrat zu Wort und sagt: „Du hast es nicht leicht in Berlin, Lars. Das stimmt schon. Gerade mit dieser CDU. Und wir haben als Sozialdemokraten in den letzten Monaten ganz schön viel auch einstecken müssen“, sagt der Mann. Er frage sich, wo die rote Linie sei. „Denn das, was ich gerade manchmal wahrnehme, ist Selbstmord aus Angst vor dem Tod.“ Die CDU lasse sich „immer weiter nach rechts treiben“, sagt er und kommt dann zum Punkt: „Die Frage ist doch wirklich, wann zeigen wir Zähne?“
Klingbeil entgegnet freundlich, dass Politik komplexer sei. Er wolle auch „in einer Koalition nicht immer nach dem Motto denken, wie kann ich dem anderen möglichst maximal wehtun“. Das sei nicht sein Stil. Er habe als Kommunalpolitiker Folgendes gelernt: „Du kannst mit der CDU streiten wie die Kesselflicker, aber am Ende sind das auch Demokraten. Und dann gehst du ein Bier mit denen trinken.“
Klingbeil spricht darüber, dass man in einer Koalition Kompromisse eingehen müsse und dass die SPD-Seite vieles durchgesetzt habe, Stabilisierung des Rentenniveaus, Tariftreuegesetz und das 500-Milliarden-Euro-Investitionspaket, das alles habe Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) und die Union geschmerzt. Der SPD-Parteichef sagt auch, es sei „vieles passiert, was ich öffentlich gar nicht kommentieren will, aber was mir gegen den Strich geht. Aber was wäre die Konsequenz? Dass wir da jeden Tag aufeinander losgehen? Meinst du, die AfD wird dann schwächer, wenn wir als Sozialdemokraten jeden Tag nur den Streit mit der Union haben?“
Allerdings will Klingbeil auch nicht um des Koalitionsfriedens Willens stillhalten, wenn Merz öffentlich harte Sozialreformen ankündigt und immer wieder betont, man müsse „ran an die Sozialsysteme“, vor allem beim Bürgergeld, Deutschland lebe über seine Verhältnisse. Co-SPD-Parteichefin Bärbel Bas sprach kürzlich genervt von „Bullshit“, so weit will Klingbeil nicht gehen.
Der Vizekanzler nennt im „Eigenheim“ nicht nur Bürgergeldbetrüger, sondern auch Steuerbetrüger. Man dürfe weder Missbrauch ganz unten noch ganz oben zulassen. Der Grundsatz der SPD müsse deshalb lauten: „Wer sich auf Kosten der Allgemeinheit bereichert, dem wird auf die Finger gekloppt. Das muss die Marschrichtung der Sozialdemokratie sein.“ Mit der SPD gebe „es keine Zerschlagung des Sozialstaats, aber wir werden genau gucken, an welchen Stellen können wir ihn besser machen. Wir sind keine Status-quo-Bewahrer.“
Klingbeil bleibt konstant freundlich, doch wirkt er manches Mal hin- und hergerissen, auch weil die Erwartungshaltungen so unterschiedlich sind. Zwar hält er regelmäßigen Streit für kontraproduktiv, allerdings sagt er an anderer Stelle einmal auch ziemlich nüchtern: „Wir werden Streit mit der CDU ohne Ende haben.“ Es klingt wie der Versuch, sich nicht von der Union ständig provozieren zu lassen, aber auch nicht einfach alles hinzunehmen.
Ein Punkt ist ihm besonders wichtig. Das beschlossene 500-Milliarden-Euro-Sanierungspaket, das maßgebliche Sozialdemokraten aus NRW geschafft hätten. Man müsse nun dafür sorgen, dass das Geld schnell ankomme bei Schulen, Kitas, Straßen und Brücken, „das müssen die Bürgerinnen und Bürger spüren“, sagt Klingbeil. Das sei „das beste Programm gegen die Hetzer und Spalter und Populisten und Rechtsextremen von der AfD“.
Vor dem Termin in der „Eigenheim“-Kneipe ist Klingbeil ins „Consilium“ gekommen, einem Restaurant am Kölner Rathaus. Dort warten einige Dutzend Bürger und SPD-Anhänger auf ihn. Er muss zu unterschiedlichsten Themen Stellung beziehen, ja, die E-Mobilität sei die Zukunft, bei der Datenschutzgrundverordnung gebe es Nachholbedarf, die globale Mindestbesteuerung sei fest vereinbart. Auch hier verspricht Klingbeil Verbesserungen durch das 500-Milliarden-Investitionspaket. Ausgiebig widmet er sich auch hier den anstehenden Sozialreformen. „Ich will keine Abbaudebatten über den Sozialstaat führen. Das ist das, was die Menschen verunsichert.“ Ihn hat die öffentliche Kontroverse der vergangenen Wochen gestört. „Ich glaube, wir müssen uns jetzt einmal vernünftig an den Tisch setzen. Notfalls schließt man sich mal ein Wochenende ein und redet darüber, wie wir das jetzt machen. Und dann muss es ein Ergebnis der Koalition geben.“ Klingbeil fordert, dass man sich beim Koalitionsausschuss am kommenden Mittwoch darüber berät, wie man bis zum Jahresende zu einer Lösung kommen wolle – „und das sollten wir hinter verschlossenen Türen tun und nicht auf offener Bühne“.
Auch im „Consilium“ gibt es einen Moment, wo der Vizekanzler Klingbeil dem Kanzler Merz gewissermaßen beispringt. Ein Gast will wissen, ob SPD und Union in der Frage des Umgangs von Israels Einsatz im Gaza-Streifen „synchron“ seien. Da holt Klingbeil etwas aus, weil es ein „wahnsinnig komplexes, hochsensibles und emotionales Thema“ sei. Er stehe als deutscher Sozialdemokrat „in tiefer Solidarität mit dem Staat Israel“, und er halte es für „absolut gerechtfertigt“, dass Israel nach dem Hamas-Terrorangriff vom 7. Oktober 2023 gegen die Hamas vorgehe, sagt Klingbeil. Allerdings zeige die israelische Regierung inzwischen ein „eindeutig völkerrechtswidriges Verhalten“. Deshalb sei es an der Zeit gewesen, „das klare öffentliche Signal an Israel zu senden, wir werden keine Waffen mehr liefern, die im Gaza-Streifen eingesetzt werden“. Klingbeil macht deutlich, dass er sich mit Merz einig sei: „Das war mit mir abgesprochen, und ich habe für die SPD-Seite vorher auch sehr deutlich gemacht, dass wir diesen Weg absolut mittragen.“
Kristian Frigelj berichtet für WELT über bundes- und landespolitische Themen, insbesondere aus Nordrhein-Westfalen.
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