Bis zum Horizont stehen Sonnenblumen. Gagausien ist voll davon, die autonome und russischsprachige Region im Süden Moldaus ist sehr ländlich geprägt. Der Parkplatz aus grobem Schotter ist leer, ein Hirte treibt eine Ziegenherde vorbei. Dahinter ragt ein Tor in Form eines Regenbogens aus dem Staub, der Eingang zum „GagauziyaLand“. Es ist der wohl umstrittenste Freizeitpark Moldaus, erst vor ein paar Monaten wurde er fertiggestellt. Eintritt und Attraktionen sind gratis, der Park ist ein Geschenk an die mehrheitlich prorussischen Gagausen, erbaut mit russischen Geldern unter mysteriösen Umständen – eine Baugenehmigung wurde nie erteilt.

Im Hintergrund ein Schwimmbad, im Bau befindlich, Trümmer liegen im wasserlosen Becken. „Sie verhindern, dass wir das Schwimmbad weiterbauen“, erklärt ein schnauzbärtiger Wachmann und schüttelt verächtlich den Kopf. „Die Regierung in der Hauptstadt erlaubt es nicht. Sie wollen nicht, dass gagausische Kinder hier Spaß haben.“

Mit der Regierung meint er die amtierende sozialliberale PAS-Partei und Moldaus Präsidentin Maia Sandu. 2020 wurde sie zum Oberhaupt des kleinen Landes gewählt, das eingeklemmt zwischen der Ukraine und Rumänien liegt, vom Westen bislang weitgehend unbeachtet. Sandu will das ändern und Moldau in die EU führen – und das möglichst bald. Ihr zufolge baut Russland, spätestens seit dem Überfall auf die Ukraine, seinen Einfluss in der ehemaligen Sowjetrepublik massiv aus.

Auch die EU hat die Bedrohungslage inzwischen erkannt. Das zeigt der Besuch europäischer Staats- und Regierungschefs am heutigen Mittwoch: Kanzler Friedrich Merz, der französische Präsident Emmanuel Macron und der polnische Premierminister Donald Tusk reisen nach Moldau, um ihre Unterstützung für Sandu zu signalisieren. Sie wollen demonstrieren, dass die EU geschlossen hinter Moldau steht und verhindern, dass ihre proeuropäische PAS-Partei bei den Ende September anstehenden Wahlen den mächtigen prorussischen Kräften im Land unterliegt.

Doch viele Moldauer sind mit dem proeuropäischen Kurs ihres Landes nicht einverstanden. Im Oktober 2024 hielt Sandu ein Referendum ab, ob der EU-Beitritt in der Verfassung verankert werden solle. Das Ergebnis: Lediglich eine hauchzarte Mehrheit von 50,35 Prozent stimmte für einen Beitritt. Und in Gagausien, wo die Europaskepsis am stärksten ist, waren es lediglich fünf Prozent.

Gagausien ist eine autonome Region im Süden Moldaus. Sie ist kleiner als das Saarland, die meisten der 160.000 Einwohner sind Gagausen, eine turksprachige Volksgruppe, die während der Sowjetzeit fast vollständig russifiziert wurde. Als Moldau sich von der Sowjetunion lossagte, wollten auch die um ihre Rechte bangenden Gagausen die Unabhängigkeit.

Ein Kompromiss wurde gefunden, 1994 entstand die „Autonome territoriale Einheit Gagausien“, der weitgehende Sonderrechte zugestanden wurden. So hat Gagausien eine eigene Armee, ein eigenes Parlament sowie ein eigenes Bildungssystem.

Verkehrssprache ist Russisch. Viele Bewohner haben Kontakte nach Russland, arbeiten dort, sehen russisches Fernsehen. Und Putin, der nicht möchte, dass die einstige Sowjetrepublik an Europa heranrückt, missbraucht Gagausien, um einen Keil in die demokratische Landschaft Moldaus zu treiben. Moskaus Kampagnen säen Zwietracht und sind auch für den Westen ein Lehrstück: Denn sie demonstrieren, wie leicht es Putin fällt, die Schwachstellen liberaler Demokratien auszunutzen.

Sowjetrelikte und russische Einflussnahme

Comrat, die kleine Hauptstadt Gagausiens, ist von Feldern umgeben, die größer sind als die Stadt selbst. Kaum ein Haus hat mehr als zwei Stockwerke, die Straßen verschlafen, im Ortskern eine orthodoxe Kirche unter goldener Kuppel. Relikte der Sowjetunion finden sich im Gegensatz zum restlichen Moldau überall: Die Straßen heißen nach Gagarin und Puschkin, im Stadtzentrum thront ein Lenin aus angelaufener Bronze.

Das Parlament ist ein klassisches Verwaltungsgebäude sowjetischer Bauart, die gagauische Fahne weht davor. Von außen wirkt alles ruhig, doch drinnen herrscht Chaos: Seit Monaten ist Evghenia Gutul nicht mehr da, die gewählte Gouverneurin Gagausiens. Anfang August wurde sie zu sieben Jahren Haft verurteilt. Der Vorwurf: Sie soll Gelder aus Russland nach Gagausien gebracht und damit illegale Wahlfälschung betrieben haben.

Gutul regiert Gagausien seit zwei Jahren. Sie erschien aus dem Nichts, gemeinhin gilt sie als Statthalterin des moldauischen Oligarchen Ilan Shor, der die zwischenzeitlich verbotene und offen prorussische Shor-Partei gegründet hatte und im Verdacht steht, eine Milliarde Euro aus den Reserven moldauischer Banken gestohlen zu haben. Mittlerweile lebt er in Moskau und wurde in Abwesenheit zu sechs Jahren Gefängnis verurteilt.

Inzwischen liegen die Geschicke seiner Partei in den Händen von Evghenia Gutul. Angeblich, so der Vorwurf, habe sie in den letzten Jahren zahlreiche Russlandreisen unternommen und Gelder von Shor nach Gagausien geschleust. Wovon unter anderem „GagauziyaLand“ gebaut und Wählerstimmen gekauft wurden. Die Regierung in Moskau benutzt die instabile Region, um das politische Klima in Moldau zu vergiften, die EU-Annäherung zu boykottieren und seinen Einfluss auszubauen.

„Chisinau will uns verbieten, Russisch zu sprechen“, wettert ein beleibter Geschäftsmann. „Und sie diktieren uns, Russland zu hassen. Aber wer mit Zwang arbeitet, erreicht nur das Gegenteil.“ „Sie schicken Polizei hierher, drangsalieren uns“, sagt sein Kollege. „Wir Gagausen sind doch auch nicht erst gestern vom Baum herabgestiegen. Trotzdem will man uns für dumm verkaufen.“ Egal, wen man fragt, die Leute stehen der Regierung in Chisinau mit Skepsis und Ablehnung gegenüber.

„Ich habe meiner Oma einen Chip an den Fernseher geklemmt, damit sie wieder russisches Fernsehen schauen kann. Das haben sie hier verboten“, erzählt der 22-jährige Witja. „Russland hätte diesen Krieg gegen die Ukraine nicht anfangen sollen. Aber der Krieg ist nicht unser Problem. Wir sind ein kleines Land und haben unsere eigenen Sorgen. Und die Regierung in Chisinau geht ständig auf Russland los.“ Er nimmt einen Schluck deutsches Importbier. „Wenn Sandu so weitermacht, kommen die Russen irgendwann auch hierher.“

Ein Mann vor einem Möbelgeschäft verzieht ärgerlich sein Gesicht. „Maia Sandu? Sie unterdrückt uns. Warum, das wissen wir auch nicht. Wir Gagausen haben nie Blut vergossen. Wir haben unsere Autonomie immer nur friedlich eingefordert, nicht mit Gewalt, wie die Basken oder in Nordirland. Und trotzdem sind wir Feinde für sie.“ Sandu, die suche die Nähe zu Europa. Die Leute dort lebten womöglich besser als hier, aber diese europäischen Werte wolle man hier nicht. „Gleichgeschlechtliche Eltern, Transmenschen … wir könnten auch ohne diese europäischen Werte gut leben, wenn unsere Politiker nur nicht so korrupt wären.“

Demonstrationen für und gegen die EU

Ständig gibt es Demonstrationen in Moldau, landesweit: für die EU, gegen die EU, für Sandu, gegen Sandu. Doch mittlerweile glauben viele Menschen nicht mehr, was sie sehen: Das viele Geld, dass Gutul aus Russland nach Moldau schmuggelte, wurde unter anderem für den Kauf von Demonstranten verwendet. Das untergräbt das Vertrauen vieler Menschen in die Demokratie.

Viele glauben nicht mehr, dass Menschen aus freien Stücken auf die Straße gehen. Vermutlich ohnehin gekauft, so denken hier viele. Ähnlich lief es auch vor Sandus EU-Referendum ab. „Kurz vor dem Referendum klopften Leute bei mir und meinen Eltern“, erinnert sich Witja. „Sie drückten uns fünfzig Euro in die Hand und sagten: Stimmt mal gegen die EU.“ Und am Ende stimmten 95 Prozent der Gagausen gegen einen Beitritt.

Evghenia Gutul bestreitet, die Wahlen mit russischen Geldern manipuliert zu haben. Sie sieht ihre Verurteilung und die siebenjährige Haft als abgekartetes Spiel der Zentralregierung. Doch schon jetzt hat das Vertrauen in die moldauische Demokratie unwiderruflichen Schaden genommen: Dafür reicht es bereits, dass sich die verfeindeten Lager gegenseitig der Lüge bezichtigen.

Viktor Gara, der in Wirklichkeit anders heißt, spricht fließend Deutsch, noch aus Sowjetzeiten, als er zum Wehrdienst in die DDR musste, nach Oranienburg. Mittlerweile arbeitet er für eine Hilfsorganisation, die gagausischen Kindern hilft. Die Lage in der Region sei miserabel, sehr arm, Arbeit gäbe es kaum. „Das macht die Leute anfälliger für Propaganda und Geldzahlungen. Viele Menschen halten den Staat ohnehin für korrupt, weswegen sie sich bereitwillig kaufen lassen. Sie glauben nicht, dass ihre Stimme einen Unterschied macht.“

Ein weiteres Problem sei die Sprache: Viele Gagausen sprechen kein Rumänisch. Für eine höhere Bildung und bessere Arbeit ist das aber essenziell. Also wenden sich die Menschen von der prowestlichen Zentralregierung ab und blicken Richtung Russland. Oder sie fahren hin: Von Comrat verkehren Fernbusse nach Moskau, 49 Stunden dauert die Reise. Am städtischen Busbahnhof wird die prekäre Lage Gagausiens deutlich. Überall hängen Angebote für Arbeit im Ausland. Fernbusse verkehren nicht nur nach Russland, sondern auch nach Berlin (31 Stunden), Istanbul (20 Stunden) und Bukarest (neun Stunden). Die Menschen verlassen Gagausien in Scharen, weil ihnen so ziemlich überall mehr Geld gezahlt wird als in der Heimat.

Ende September finden in Moldau Parlamentswahlen statt. Dann wird sich zeigen, ob der EU-Kurs unter der massiven russischen Einflussnahme Bestand haben kann. Zumindest im GagauziyaLand scheint das Wahlergebnis entschieden. Eine kleine Familie steuert auf ein Schwanenkarussell zu, ein verschlafener Wachmann schaltet das Fahrgeschäft ein. „Wenn Sie am Hebel ziehen, fährt der Schwanenkopf nach oben. Aber bitte nicht zu weit hochfahren! Sonst verhakt sich der Kopf und Sie bleiben stecken!“, warnt einer der Männer die kleine Familie.

„Das alles haben wir Ilan Sor zu verdanken“, kommentiert der Wachmann, während hinter ihm die Schwäne kreisen. Immerhin einer, der sich kümmere. „Er meint es gut mit uns, will Freude für die Kinder.“

Im Hintergrund Skelette nie fertig gebauter Häuser, ein Lada rostet in der Sonne. Nur die Straße in die Hauptstadt ist frisch asphaltiert. Ein unscheinbares Schild verkündet, dass die Fahrbahnsanierung mit EU-Mitteln erfolgte.

Julius Fitzke ist seit Juli 2025 Volontär bei der WELT im Ressort Außenpolitik.

Haftungsausschluss: Das Urheberrecht dieses Artikels liegt bei seinem ursprünglichen Autor. Der Zweck dieses Artikels besteht in der erneuten Veröffentlichung zu ausschließlich Informationszwecken und stellt keine Anlageberatung dar. Sollten dennoch Verstöße vorliegen, nehmen Sie bitte umgehend Kontakt mit uns auf. Korrektur Oder wir werden Maßnahmen zur Löschung ergreifen. Danke