„Müssen dafür sorgen, dass Rente mit 63 faktisch abgeschafft wird“
Pascal Reddig, 30, ist CDU-Abgeordneter und Vorsitzender der Jungen Gruppe der Unionsfraktion im Bundestag. Dieser Gruppe gehören alle Abgeordneten an, die zu Beginn einer Legislaturperiode jünger als 35 Jahre sind. Aktuell sind das 18 Abgeordnete.
WELT: Herr Reddig, die Abgeordneten des Bundestags sind im Durchschnitt 47 Jahre alt, nur fünf Prozent sind jünger als 30. Merkt man das an der Arbeit des Parlaments – stehen bei den Entscheidungen des Bundestags bisweilen auffallend die Interessen der älteren Jahrgänge im Vordergrund?
Pascal Reddig: Es war immer so, dass die Mitglieder des Bundestags im Durchschnitt älter waren als die Gesamtbevölkerung. Aber es würde der Politik und diesem Land insgesamt schon guttun, wenn jüngere Menschen politisch noch stärker gehört würden. Denn die Bundesregierungen der vergangenen Legislaturperioden haben immer wieder Entscheidungen zulasten der jüngeren und nachkommenden Generationen gefällt. Zum Beispiel in der Rentenpolitik. Das muss diese Bundesregierung besser machen.
WELT: Und Sie finden, das tut die Bundesregierung unter Kanzler Friedrich Merz (CDU)?
Reddig: Zum Start der schwarz-roten Koalition lag der Fokus stark auf der Außen- und Migrationspolitik und darauf, die Wirtschaft wieder anzukurbeln, was angesichts der aktuellen Herausforderungen richtig war. Bei den Themen, die vor allem für die jüngere Generation relevant sind, haben wir noch nicht genügend geliefert. Damit muss es nach der Sommerpause losgehen.
WELT: Das Bundeskabinett will das Rentenniveau stabilisieren. Wie das gelingen soll, ist in der Koalition umstritten. Was ist Ihr Vorschlag?
Reddig: Zunächst sollten wir realisieren, dass der Generationenvertrag, die Grundlage einer im Umlageverfahren finanzierten Rente, tiefe Risse bekommen hat. Immer weniger Beschäftigte müssen immer mehr Rentner finanzieren, das funktioniert nicht mehr lange. Wir brauchen mehr als Flickwerk und Diskussionen über die Haltelinie von 48 Prozent, die das Verhältnis von Löhnen und Rentenniveau definiert.
Eine grundsätzliche Reform ist nötig, die die Lasten fairer auf alle Schultern verteilt, statt die jüngere Generation einseitig zu benachteiligen, wie es derzeit der Fall ist. Eine Rentenkommission dieser Bundesregierung sollte nicht nur schnell Vorschläge vorlegen, sie sollten diesmal auch umgesetzt werden. Und dazu gehört auch, dass wir uns darauf einstellen müssen, länger zu arbeiten und uns von einigen nicht unbedingt erforderlichen, aber teuren Vorzügen unseres Rentensystems zu verabschieden.
WELT: Sind Sie für die Rente ab 70 – wie Wirtschaftsministerin Katherina Reiche (CDU) jüngst vorgeschlagen hat?
Reddig: Die Rente mit 70 ist eine mögliche Lösung, das sagen viele Ökonomen und Rentenexperten. Ich weiß aber auch, dass man dafür eine gesellschaftliche Mehrheit braucht und eine Einigung zwischen den Koalitionspartnern. Ein Kompromiss wäre daher, das Renteneintrittsalter an die steigende Lebenserwartung zu knüpfen.
WELT: Was die CDU zwar in ihrem Grundsatzprogramm beschlossen hat, aber aus taktischen Gründen nicht im Wahlprogramm steht, weil das für großen Unmut im Land sorgen würde.
Reddig: Um die Haltelinie von 48 Prozent allein bis 2031 auf diesem Niveau belassen zu können, brauchen wir bis zum Jahr 2040 zusätzliche 200 Milliarden Euro. Das ist nicht finanzierbar. Wir müssen umsteuern. Wir werden immer älter. Die Dauer des Rentenbezugs ist im Durchschnitt stark gestiegen. Das ist für die Rentenversicherung sehr teuer. Dem kann man nur begegnen, wenn man die steigende Lebenserwartung beim Renteneintrittsalter mitberücksichtigt. Wir würden dann zu einer sukzessiven Erhöhung des Renteneintrittsalters kommen.
WELT: Würden dann nicht noch mehr trotzdem früher in den Ruhestand gehen, trotz finanzieller Einbußen?
Reddig: Schon jetzt macht das die Hälfte der Beschäftigten, das sind zu viele. Wir müssen die Welle der Frühverrentungen stoppen. Ich meine das ganz ausdrücklich nicht mit Blick auf die Dachdecker und Krankenpfleger, die gerne genannt werden, wenn es darum geht, dass ein späteres Renteneintrittsalter nicht möglich ist. Es geht um jene, die länger arbeiten könnten. In diesen Fällen muss es deutlich höhere Rentenabschläge bei Frührenten geben. Wir müssen dafür sorgen, dass die Rente mit 63 in ihrer heutigen Form faktisch abgeschafft wird.
WELT: Und das würde – falls politisch durchsetzbar – reichen, um das Rentensystem zu stabilisieren?
Reddig: Das wäre ein Beitrag. Wir müssen zum Beispiel auch über das Rentenniveau sprechen.
WELT: Sie wollen die Renten kürzen?
Reddig: Nein! Aber wir müssen das System der Rentenanpassungen reformieren. Mit dem sogenannten Nachhaltigkeitsfaktor wurde eine Dämpfung der jährlichen Rentenerhöhungen eingeführt, wenn die Zahl der Rentner im Verhältnis zu den Beitragszahlern steigt. Das war sinnvoll, um die Finanzierung der Rentenversicherung zu sichern. Aber der Faktor wurde durch die Haltelinie faktisch ausgesetzt. Das müssen wir so schnell es geht rückgängig machen und nach 2032 wieder zur vollen Wirksamkeit des Nachhaltigkeitsfaktors zurückkehren. Er sollte sogar verdoppelt werden, damit die Lasten der demografischen Alterung gerecht auf die Generationen verteilt werden.
Wir sollten die Steigerungen der Bestandsrenten außerdem in Zukunft nicht mehr an die Lohnentwicklung koppeln, sondern an die Inflation. Das wäre fairer und würde Kosten sparen. Massive Rentensteigerungen, wie wir sie zum Teil in der Vergangenheit erlebt haben, werden in den kommenden Jahren nicht mehr möglich sein, wenn wir nicht wollen, dass das Rentensystem insgesamt kollabiert.
WELT: Ist eine einheitliche Rentenversicherung, in die auch Beamte, Selbstständige und Abgeordnete einzahlen sollen – nach dem Modell in Österreich und wie es Sozialministerin Bärbel Bas (SPD) vorschlägt – eine sinnvolle Lösung?
Reddig: Nein, sondern es würde im Gegenteil die gesetzliche Rente langfristig stärker belasten. Kurz- und mittelfristig würde es außerdem die öffentlichen Haushalte stark beanspruchen: Das liegt daran, dass hier gleichzeitig die Finanzierung von neuen Beiträgen in die gesetzliche Rente – Arbeitnehmer- und Arbeitgeberanteil – Ausgaben für die betriebliche Altersvorsorge und die laufenden Versorgungsleistungen erbracht werden müssten. Das wäre sehr teuer. Die Rentenkommission sollte auch diesen Vorschlag prüfen und durchrechnen. Ich gehe aber davon, aus, dass der Vorschlag im Ergebnis nur Augenwischerei wäre und gesellschaftlich einzelne Gruppen gegeneinander ausspielen würde.
WELT: An einer Rentenreform haben sich viele Regierungen versucht, herausgekommen ist dabei wenig. Warum sollte es unter Kanzler Merz den Durchbruch geben?
Reddig: Friedrich Merz ist mit der klaren Ansage angetreten, dass er die sozialen Sicherungssysteme reformieren will: die Rente, die Kranken- und Pflegeversicherung. Inzwischen sind die Finanzierungsnöte so groß, dass wir schon bald gegen die Wand laufen, wenn wir nichts ändern.
WELT: Junge Menschen vertrauen auf die Reformkraft der Union offenbar nicht besonders: Bei der Bundestagswahl im Februar haben 45 Prozent der 18- bis 24-Jährigen die Linke oder die AfD gewählt. Was macht die CDU falsch?
Reddig: Wir waren in den vergangenen Jahren, auch in der Regierungszeit der Union, sehr gut darin, den Status quo zu verwalten, das Land zu stabilisieren. Aber für eine Reform des Sozialstaats, eine Eindämmung der Bürokratie, fehlte die Kraft. Das sehen junge Menschen natürlich. Viele haben das Gefühl, dass das Versprechen seit Gründung der Bundesrepublik, dass es jeder kommenden Generation besser gehen wird, nicht mehr gilt. Und getrieben durch diesen Frust, wählen dann eben viele populistische oder radikale Parteien. Um das zu verhindern, müssen wir jetzt gerade bei den Sozialstaatsreformen liefern.
WELT: Der Kanzler hat bereits im Fall der versprochenen Bewahrung der Schuldenbremse und einer Entlastung aller bei der Stromsteuer nicht geliefert. Und dann kam jüngst der Schwenk in der Israelpolitik mit dem verkündeten Teilembargo auf Waffen für Israel. Hat er damit nicht die letzte Glaubwürdigkeit und den Kern der CDU beschädigt?
Reddig: Tatsächlich ändert sich durch diese Entscheidung nicht viel, weil wir ohnehin kaum Waffen für den Bodeneinsatz der israelischen Armee liefern. Aber was der Kanzler angekündigt hat, ist natürlich ein außenpolitisches Signal. Deutschland stand und steht immer fester und unverbrüchlicher an der Seite Israels als die anderen Staaten in Europa. Das ist und bleibt unser Alleinstellungsmerkmal in der EU. Ich habe jetzt die Erwartung, dass die deutsche Bundesregierung zur Bestärkung unserer Positionierung für Israel zeitnah ein klares Signal sendet, dass sich die Juden und der Staat Israel immer voll auf uns verlassen können.
WELT: Wie sollte das Signal aussehen?
Reddig: Was in Gaza derzeit geschieht, verursacht unglaubliches Leid unter der Zivilbevölkerung. Wenn die israelische Regierung wirksame Schritte unternimmt, dieses Leid zu lindern, zu begrenzen, wenn Hilfslieferungen in deutlich größerem Umfang als bislang möglich sind – dann sollte man die Lieferung deutscher Waffen wieder uneingeschränkt aufnehmen. Schließlich kämpft Israel um seine Existenz.
WELT: Es gibt viele in der CDU, die sich darüber beschweren, der Kanzler treffe einsame Entscheidungen, die Partei nicht mitnehmen. Beispiele Stromsteuer oder Israel. Gibt es angesichts dessen keine Unruhe in der Partei?
Reddig: Die gab es natürlich. Inzwischen hat sich das beruhigt. Dass der Bundeskanzler eine Entscheidung wie die zu Waffenlieferungen nach Israel nicht immer demokratisch in der Partei abstimmen lassen kann, ist klar. Solche Aktionen sollten aber die Ausnahme sein. Es ist wichtig, dass die Partei und die Fraktion mitgenommen werden.
WELT: Das klingt fast nach einer Warnung.
Reddig: Ich denke, das entspricht schlicht der Erwartungshaltung vieler Christdemokraten.
Nikolaus Doll berichtet über die Unionsparteien und die Bundesländer im Osten.
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