Die Marla-Svenja-Show zeigt, warum das Selbstbestimmungsgesetz abgeschafft gehört
Es ist eine Show auf Kosten sexueller und geschlechtlicher Minderheiten: Der Neonazi Sven Liebich, der immer wieder mit Schwulen- und Transfeindlichkeit auffällt, inszeniert sich nach seiner offiziellen Umbenennung in Marla-Svenja als vermeintliche Frau. Nun muss er wegen Volksverhetzung, Billigung des russischen Angriffskriegs, übler Nachrede und weiterer Straftaten eine Haftstrafe antreten – und hat von der Staatsanwaltschaft eine Ladung ins Chemnitzer Frauengefängnis erhalten.
Die Staatsanwaltschaft handelt damit nach dem Gesetz. Bei der Frage, in welche Justizvollzugsanstalt ein Strafgefangener geladen wird, hat sie lediglich das eingetragene Geschlecht sowie den Wohnort zu prüfen. Aufgrund des im vergangenen Jahr in Kraft getretenen Selbstbestimmungsgesetzes der Ampel-Koalition hat für Liebich eine einfache Erklärung vor dem Standesamt gereicht, um seinen Geschlechtseintrag zu ändern. Es brauchte keine ärztliche Diagnostik, nicht einmal eine Beratung. Die Plausibilität wurde nicht geprüft. Liebich gilt formalrechtlich als Frau und musste dafür keinerlei Nachweis über eine tatsächliche Transidentität nachweisen.
Damit könnte nun genau der Fall eintreten, vor dem Kritiker des Gesetzes gewarnt hatten. In der jahrelangen Debatte vor dem Beschluss im Bundestag durch SPD, Grüne und FDP waren es beispielsweise Frauenrechtlerinnen, die auf Schutzräumen für biologische Frauen beharrten, etwa in Krankenhauszimmern, Umkleidekabinen und auch Gefängnissen. Die Ampel-Koalition überging alle Warnungen. Sie konnte es sich dabei leicht machen, da es neben seriösen Einwänden auch eine kulturkämpferische Kampagne von rechts gab, die das Anliegen sexueller und geschlechtlicher Vielfalt und Diskriminierungsfreiheit grundsätzlich skandalisierte und einen Generalverdacht gegen Transpersonen befeuerte.
Doch bei Weitem sind nicht alle vorgetragenen Bedenken auf Feindlichkeit gegenüber Transpersonen zurückzuführen. Die Koalition machte es sich daher viel zu einfach. Unvergessen ist der Satz, mit dem die damalige Bundesfamilienministerin und Grünen-Politikerin Lisa Paus in der Bundespressekonferenz eine Frage nach dem „Sicherheitsgefühl“ von Frauen in Umkleiden abräumte. „Transfrauen sind Frauen, und deswegen sehe ich da jetzt keinen weiteren Erörterungsbedarf“, sagte sie im Juni 2022 – als gäbe es zwischen beiden Personengruppen keinerlei Unterschied.
Mit der Zustimmung von Erziehungsberechtigten reicht die Selbsterklärung vor dem Standesamt nun sogar bereits für 14-Jährige, um den Personenstand zu ändern. Dabei könnte eine Geschlechtsdysphorie in diesem Alter auch an einer Pubertätskrise liegen und muss nicht eine tatsächliche Transgeschlechtlichkeit begründen. Mit dem neuen Geschlechtseintrag wird dann allerdings erleichtert, sich bei Ärzten um Pubertätsblocker und Hormone zu bemühen, die signifikante und teils irreversible negative Folgen haben können.
Mit dieser Übernahme der Sichtweisen von Aktivisten, die auf der postmodernen und poststrukturalistischen Queer-Theorie beruhen, kann man die wichtigsten Anliegen der Zweiten Frauenbewegung gleich mit über Bord werfen. Sie haben alle mit dem weiblichen Körper zu tun und wären keine spezifische Analyse und Kritik mehr wert, wenn das biologische Geschlecht keinerlei Rolle mehr spielen würde: Gewalt gegen Frauen, die Tabuisierung weiblicher Sexualität und Lust sowie der Menstruation, die Möglichkeit des Schwangerwerdens und das Recht auf Schwangerschaftsabbruch, die Objektifizierung und Sexualisierung von Frauenkörpern, die Kritik an Prostitution und Pornografie.
„Man kann das biologische Geschlecht nicht vollständig überwinden“, sagt der Geschlechterforscher und Publizist Till Randolf Amelung im Podcast „based.“. „Es gibt immer eine Vergangenheit, das Vorher wird man immer mitnehmen, auch im eigenen Empfinden.“ Amelung stellt Transgeschlechtlichkeit nicht grundsätzlich infrage, er ist selbst Transmann – und er kritisiert völlig zu Recht, dass eine Kategorie wie Geschlecht in rechtlicher und jeglicher Hinsicht mit dem neuen Gesetz gänzlich der Selbstdefinition überlassen wird.
Genug andere Fälle von Missbrauch der „Self-ID“
Selbstverständlich ist der Sonderfall eines Neonazis, der absichtlich die Rechtslage missbraucht, kein repräsentativer Maßstab für den Alltag von Transpersonen. Doch der in Marla-Svenja umbenannte Sven Liebich nutzt die Lücken, die die Ampel geschaffen hat. Er ist offensichtlich keine transgeschlechtliche Person, sondern will sich über die Belange von tatsächlichen Transpersonen lustig machen.
Bereits seine jahrzehntelange Verankerung in der rechtsextremen Szene ist für diesen Befund ausreichend. In der neonazistischen Ideologie gelten Transpersonen schließlich als krank, ebenso wie Schwule, Lesben und Bisexuelle. Insbesondere seit dem vergangenen Jahr versuchen Neonazis vor allem in Ostdeutschland immer wieder, CSD-Paraden zu stören und brüllen dabei schwulenfeindliche Parolen.
Liebich, in den 1990er-Jahren führender Aktivist der sachsen-anhaltischen Sektion des Neonazi-Netzwerks Blood & Honour, störte bereits 2022 den CSD in Halle, beschimpfte Teilnehmer als „Parasiten der Gesellschaft“. Ein Jahr später schimpfte er über „Schwuletten“ und ließ sich über einen vermeintlichen „Transfaschismus“ aus. Die meisten Medien machen Liebichs Spiel trotzdem mit und bezeichnen ihn etwa als „Rechtsextremistin“. Auch hierfür liegt der Grund im Selbstbestimmungsgesetz, das ein sogenanntes Offenbarungsverbot des früheren Geschlechtseintrags und Vornamen enthält. Verstöße können mit hohen Bußgeldern geahndet werden.
Dass er seine Strafhaft tatsächlich in einem Frauengefängnis absitzen muss, ist zum Glück noch keine ausgemachte Sache. Die Chemnitzer JVA könnte in einem Aufnahmegespräch feststellen, dass Liebichs Inhaftierung die Sicherheit anderer Gefangener beeinträchtigt und eine Verlegung anstreben. Gegenüber dem Juristen-Fachportal „Legal Tribune Online“ erklärte die JVA, man habe „jahrelange Erfahrung“ im Umgang mit Transpersonen und damit verbundenen Einzelfallentscheidungen. Ein Sprecher des sächsischen Justizministeriums erläuterte, bei „möglichem Vorschieben einer Geschlechtsidentitätsfrage zur Beeinflussung von vollzuglichen Entscheidungen“ könne eine ärztliche oder psychologische Stellungnahme eingeholt werden.
Liebich hat seine Schlagzeilen unabhängig von der Entscheidung sicher. Und noch mal: Verantwortlich dafür sind die Ampel-Politiker, die das Gesetz trotz aller Bedenken durchwinkten. Dabei gab es schon damals Fälle aus anderen Ländern mit sogenannter Self-ID, bei dem sich biologisch männliche Straftäter als angebliche Transfrauen in Frauengefängnisse verlegen ließen und dort sexuelle Übergriffe begingen. Die Ampel schaffte jegliche Voraussetzungen für den Wechsel des Geschlechtseintrags ab und eröffnete damit Missbrauchsmöglichkeiten, die nicht im Sinne von Transpersonen sind. Tatsächliche Transpersonen gehören selbst zu einer vulnerablen und häufig von Gewalt betroffenen Gruppe.
Zuvor waren etwa Fragen im Begutachtungsprozess nach dem Sexualverhalten als entwürdigend und gar menschenverachtend kritisiert worden. Diese dienten allerdings etwa dazu, fetischistisch motivierte Personen auszuschließen. Auch diese Gruppe, sogenannte Autogynophile – also Männer, die durch die Vorstellung von sich selbst als Frau sexuell erregt werden können – könnte das Selbstbestimmungsgesetz nun neben tatsächlichen Transpersonen nutzen.
Selbstverständlich ist es dennoch berechtigt, einzelne Fragen in der psychiatrischen Begutachtung infrage zu stellen. Es stellt für viele eine große Herausforderung dar, sein Intimstes in einem Gespräch offenzulegen, bevor eine therapeutische Beziehung aufgebaut werden kann. Nun gibt es allerdings gar keine Fragen mehr. Die Kritik an einzelnen möglicherweise in einigen Fällen übergriffigen Fragen ist ins Extreme gekippt.
Die neue Bundesregierung hat sich laut Koalitionsvertrag eine Evaluation des Selbstbestimmungsgesetzes bis Juli 2026 vorgenommen – mit besonderem Fokus auf die Auswirkungen auf Kinder und Jugendliche sowie den wirksamen Schutz von Frauen. Es wäre zu hoffen, dass daraufhin eine Abschaffung des Gesetzes bei gleichzeitiger Reformierung des veralteten Transsexuellen-Gesetzes folgt.
Politikredakteur Frederik Schindler berichtet für WELT über die AfD, Islamismus, Antisemitismus und Justiz-Themen. Im September erscheint im Herder-Verlag sein Buch über den AfD-Politiker Björn Höcke. Zweiwöchentlich erscheint seine Kolumne „Gegenrede“.
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