Eine Festnahme mit politischer Brisanz
In Karlsruhe wird man zufrieden sein. Für die Bundesanwaltschaft ist die Festnahme eines ukrainischen Verdächtigen im Zusammenhang mit dem Anschlag auf die Nord-Stream-Pipeline ein Erfolg. In Berlin sieht es da schon anders aus: Für die Bundesregierung könnte die Sache Fallstricke bereithalten.
Einerseits kann Berlin nun darauf verweisen, dass sich die deutschen Behörden seit den Anschlägen im September 2022 ernsthaft hinter die Ermittlungen geklemmt haben, was von manchen Skeptikern bezweifelt wurde. In anderen Ostsee-Anrainerstaaten wie Schweden und Dänemark sind die Untersuchungen bereits eingestellt worden.
Andererseits sind schwierige politische Debatten zu erwarten, wenn sich verfestigen sollte, dass ein Ukrainer für den Anschlag verantwortlich war. Der größte anzunehmende Schaden entstünde, wenn sich doch noch eine Verwicklung der Regierung in Kiew oder gar des Präsidenten Wolodymyr Selenskyi herausstellen sollte. Mindestens das ukrainische Militär soll die Aktion einst gebilligt haben. Die bevorstehenden Vernehmungen des Verdächtigen sind also brisant. Und das ausgerechnet zu einem Zeitpunkt, da es möglicherweise zu Friedensgesprächen zwischen der Ukraine und Russland kommen könnte.

Festnahme in Italien Mutmaßlicher Nord-Stream-Angreifer gefasst
Stets stand der Verdacht im Raum, Deutschland könne aus Sorge vor politischen Verwicklungen die Ermittlungen verschleppen. Im August 2023 versprach dann der damalige Bundeskanzler Olaf Scholz: "Wir werden herausfinden, wer es war, soweit wir das können." Er fügte hinzu: "Und wir werden nicht, weil uns das Ergebnis nicht gefällt, das nicht zur Anklage bringen." Ein Jahr lagen zu diesem Zeitpunkt die Anschläge auf die Gas-Pipelines Nord Stream 1 und 2 in der Ostsee da zurück – und schon damals gab es Spekulationen über Spuren in die Ukraine. "Wir wollen das unbedingt aufklären", so Scholz. "Da kann keiner auf Rücksicht hoffen."

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Im Sommer 2024 wurde dann bekannt, dass der Generalbundesanwalt einen ersten Haftbefehl beim Bundesgerichtshof erwirkt hat. Er richtete sich gegen einen ukrainischen Staatsbürger, einen professionellen Taucher, der in 80 Meter Tiefe den Sprengstoff an die Röhren auf dem Meeresgrund geheftet haben soll. Es ist offenkundig nicht der Mann, der nun festgenommen wurde. Der jetzige Verdächtige soll nicht zu den Tauchern gehört haben, sondern eine koordinierende Funktion an Bord des Bootes übernommen haben, berichtet der "Spiegel".
Die Bundesregierung wertete den Haftbefehl damals als Zeichen, dass Scholz Wort gehalten habe. Die Ermittlungen hätten "höchste Priorität", verlautbarte der damalige Vize-Regierungssprecher Wolfgang Büchner. Zur Sache konkret wolle man sich zwar nicht äußern, aber man könne sagen, "dass die Ermittlungen nach Recht und Gesetz und ohne Ansehen der Personen geführt werden".
Und auch jetzt ist die Zufriedenheit groß: Bundesjustizministerin Stefanie Hubig (SPD) nannte die Festnahme einen "sehr beeindruckenden Ermittlungserfolg". Es handele sich um einen "mutmaßlichen Drahtzieher" der Sabotage. "Die Sprengung der Pipelines muss aufgeklärt werden, auch strafrechtlich", erklärte die SPD-Politikerin. "Deshalb ist es gut, dass wir dabei vorankommen."
Delikat sind sie trotzdem. Denn sie bergen Konfliktpotenzial gleich an mehreren Stellen – vor allem im Verhältnis zur Ukraine.
Nord-Stream-Anschlag: misstrauische Opposition
Deshalb war es naheliegend, dass die Opposition die Ermittlungen stets unter den Verdacht stellte, die Bundesregierung setze doch das eine oder andere Stoppschild, um politische Verwicklungen zu vermeiden. "Es wäre ein Skandal, wenn Staatsräson dazu führt, dass Spuren in die Ukraine ignoriert und Ermittlungsergebnisse zurückgehalten wurden", sagte damals zum Beispiel Klaus Ernst, Abgeordneter des Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW), das damals noch im Bundestag vertreten war.
Präsident Selenskyi bestritt zwar, dass seine Regierung etwas mit dem Anschlag zu tun habe. Doch die Tatsache, dass nun mindestens zwei Verdächtige – der Taucher und der jetzt Festgenommene – aus der Ukraine kommen und mindestens einer von ihnen sich offenbar auch dorthin abgesetzt hatte, lenkt die Aufmerksamkeit wieder auf Kiew.
Bislang war man in Berlin bemüht, Vermutungen über eine Einflussnahme im Keim zu ersticken. Die Ermittlungen einerseits und die deutsche Unterstützung für die Ukraine andererseits hätten faktisch nichts miteinander zu tun. Völlig unabhängig davon, zu welchem Ergebnis solche Ermittlungen führten, ändere sich nichts an der Tatsache, dass Russland einen völkerrechtswidrigen Angriffskrieg gegen die Ukraine führe, hieß es 2024 in Berlin. An dieser Position dürfte sich unter der Regierung von Friedrich Merz nichts geändert haben. Aber was, wenn sich eine Verwicklung der Regierung in Kiew herausstellen sollte?

Nordstream und Co. Eine Chronik verdächtiger Sabotagefälle in der Ostsee
Dass der Verdächtige jetzt in Italien festgenommen wurde, verhindert zumindest, dass es zwischen Berlin und Kiew zu einem womöglich zähen Ringen um die Auslieferung des Mannes kommt. Ein solches Verfahren läuft zwar unter der Federführung der Bundesanwaltschaft, aber natürlich sind solche Fragen auch schon Gegenstand politischer Gespräche geworden.
Half Polen dem Verdächtigen?
Auch für das deutsch-polnische Verhältnis waren die Ermittlungen heikel. Neben der Ukraine gehörte Polen immer zu den schärfsten Kritikern der Ostseepipeline Nord Stream 2. Eine Verbindung Polens zu den Anschlägen ist zwar bislang nicht nachweisbar, ein gewisses Wohlwollen für die Zerstörung der Röhren aber zumindest vorstellbar. Und es fiel 2024 schon auf, dass der Hauptverdächtige sich offenkundig nach Erlass des deutschen Haftbefehls noch rechtzeitig aus Polen in die Ukraine absetzen konnte. Die polnische Seite erklärte das mit einem Versäumnis der deutschen Ermittler, weil man den Verdächtigen nicht im Schengen-Register eingetragen habe. Daher habe es keine rechtliche Grundlage gegeben, ihn an der Grenze aufzuhalten.
Nun ist ein anderer Mann in der Region Rimini festgenommen worden. Womöglich umgeben von deutschen Touristen, für die Italiens Adriaküste ein bevorzugtes Reiseziel ist.
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