Warum Rechtsextremist Marla-Svenja Liebich als Mann bezeichnet werden darf
Der Rechtsextremist Sven Liebich, der seinen Geschlechtseintrag in weiblich geändert und sich in Marla-Svenja umbenannt hat, hat vor dem Landgericht Berlin gegen den Journalisten Julian Reichelt verloren.
„Nius“-Chefredakteur Reichelt hatte im Juli auf X gepostet: „Jeder, der die Berichterstattung über den Neonazi Sven Lieblich verfolgt, kann nur zu einem Schluss kommen: Die Ampel-Regierung hat es per Gesetz geschafft, nahezu die gesamte deutsche Medienlandschaft zu zwingen, die Unwahrheit zu sagen und grotesk falsche Dinge zu behaupten. Sven Liebich ist keine Frau.“
Die zweite Zivilkammer des Gerichts hat nun am Montag beschlossen, Liebichs Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung als unbegründet zurückzuweisen. Der siebenseitige Beschluss liegt WELT vor. Darin heißt es, mit der streitgegenständlichen Äußerung werde „in das allgemeine Persönlichkeitsrecht der Antragstellerin eingegriffen“. Eine Äußerung, die einer Person die empfundene geschlechtliche Identität abspreche, sei geeignet, „diese Person bloßzustellen und sie auch in ihrer Lebensrealität zu verunsichern“.
Dieser Eingriff sei im vorliegenden Fall jedoch nicht rechtswidrig, da er durch ein „überwiegendes Recht des Antragsgegners auf Meinungsfreiheit gedeckt“ sei. Das Posting von Reichelt sei eine Meinungsäußerung und „nach dem Verständnis des Durchschnittsempfängers als Kritik an der ‚Ampel-Regierung‘ zu verstehen bzw. als Kritik an dem von dieser 2024 verabschiedeten Selbstbestimmungsgesetz, aufgrund dessen die Hürden einer Änderung des Geschlechtseintrags geändert wurden“.
Das Landgericht geht auch auf das bei der Abwägung anzusetzende Gewicht der Meinungsfreiheit ein. Diese wiege umso höher, „je mehr die Äußerung darauf zielt, einen Beitrag zur öffentlichen Meinungsbildung zu leisten, und umso weniger, je mehr es hiervon unabhängig lediglich um die emotionalisierende Verbreitung von Stimmungen gegen einzelne Personen geht“. Reichelt behandle „eine die Öffentlichkeit wesentlich berührende Frage, die kontrovers und scharf diskutiert wird, nämlich unter welchen Voraussetzungen ein Wechsel des Geschlechts möglich ist“, schreiben die Richter.
Seit dem Inkrafttreten des Selbstbestimmungsgesetzes der Ampel-Koalition im November 2024 ist für die Änderung des Geschlechtseintrags eine einfache Erklärung vor dem Standesamt ausreichend. Zuvor waren zwei psychiatrische Gutachten und ein familiengerichtliches Verfahren notwendig, was von vielen Betroffenen als entwürdigend kritisiert worden war. Nun gibt es weder eine Plausibilitätsprüfung noch eine Beratungspflicht.
Sven Liebich änderte seinen Geschlechtseintrag und Vornamen im Dezember 2024. Er ist seit Jahrzehnten im organisierten Rechtsextremismus aktiv. Bereits in den 1990er-Jahren war er führender Aktivist der sachsen-anhaltischen Sektion des Neonazi-Netzwerks Blood & Honour. In der rechtsextremen Ideologie gibt es keinen Platz für Transpersonen.
Liebich hatte sich mehrfach schwulen- und transfeindlich geäußert. Etwa im September 2022 störte er den Christopher Street Day in Halle, beschimpfte Teilnehmer als „Parasiten der Gesellschaft“. Ein Jahr später beleidigte er die CSD-Demonstranten als „Schwuletten“ und ließ sich über einen vermeintlichen „Transfaschismus“ aus. Liebich ließ sich im aktuellen Verfahren von der Anwaltskanzlei Wölfel in Tröstau vertreten. Dort arbeiten zwei in der Neonazi-Szene beliebte Rechtsanwälte, die selbst mehrfach an neonazistischen Aufmärschen teilnahmen. Reichelt ließ sich von dem auf Medienrecht spezialisierten Rechtsanwalt Joachim Steinhöfel vertreten.
„Queer- und transfeindliche Äußerungen“ berücksichtigt
Das Landgericht Berlin stellt in dem aktuellen Beschluss fest, dass das Absprechen der Geschlechtsidentität einer Transperson unter Nennung des Namens im Allgemeinen einen „besonders intensiven Eingriff in das Persönlichkeitsrecht“ darstellen kann. Der Zuordnung zu einem Geschlecht komme „für die individuelle Identität eine herausragende Bedeutung zu“. Und: „Diese Zugehörigkeit kann nicht allein nach den äußerlichen Geschlechtsmerkmalen im Zeitpunkt seiner Geburt bestimmt werden, sondern sie wesentlich auch von seiner psychischen Konstitution und selbstempfundenen Geschlechtlichkeit abhängen.“
Die Menschenwürde und das Grundrecht auf Schutz der Persönlichkeit gebieten es, schreiben die Richter weiter, „dem Selbstbestimmungsrecht der betroffenen Person Rechnung zu tragen und ihre selbstempfundene geschlechtliche Identität rechtlich anzuerkennen, um ihr damit zu ermöglichen, entsprechend dem empfundenen Geschlecht leben zu können, ohne in ihrer Intimsphäre (...) bloßgestellt zu werden“.
In diesem konkreten Fall überwiege dennoch das Recht des Antragsgegners, also des Journalisten Reichelt, auf Meinungsfreiheit. „Denn die Antragstellerin hat nichts zu den Gründen des Geschlechtswechsels vorgetragen.“
Daher sei der Fall anders zu bewerten als eine Entscheidung des Oberlandesgerichts Frankfurt. Dieses hatte Reichelt im Februar dieses Jahres untersagt, eine Transfrau in einem Tweet als Mann zu bezeichnen. Reichelt habe „der dortigen Antragstellerin die seit 40 Jahren nach außen gelebte geschlechtliche Identität abgesprochen“, heißt es dazu nun im Beschluss des Landgerichts Berlin.
Im Fall Liebich sei auch zu berücksichtigen, „dass die Antragstellerin vor ihrem Geschlechtswechsel durch Teilnahme an öffentlichkeitswirksamen Demonstrationen, durch Aktivitäten in der rechtsextremen Szene, durch queer- und transfeindliche Äußerungen, durch eine Verurteilung u.a. wegen Volksverhetzung und durch die Änderung ihres Geschlechtseintrags öffentlich bekannt wurde“.
Die Änderung des Geschlechtseintrags habe Liebich selbst auf X gepostet. „Vor diesem Hintergrund betreffen die beiden durch den Antragsgegner in Bezug genommenen Umstände, nämlich die Änderung des Geschlechtseintrages sowie die Zugehörigkeit zu der rechten Szene, die Sozialsphäre der Antragstellerin und nicht wie die Antragstellerin meint die Intimsphäre. Zugleich stellt der Verweis auf das Vorleben der Antragstellerin als ‚Neonazi‘ eine hinreichende Anknüpfungstatsache für die von dem Antragsgegner verbreitete Meinung dar, bei der Antragstellerin handele es sich nicht um eine Frau. Die Antragstellerin muss die streitgegenständliche Äußerung angesichts dessen hinnehmen.“
Der zuvor bereits mehrfach verurteilte Rechtsextremist Liebich war im Juli 2023 wegen Volksverhetzung, Billigung eines Angriffskriegs, Verstoß gegen das Kunsturhebergesetz, übler Nachrede und Beleidigung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von eineinhalb Jahren ohne Bewährung verurteilt worden. Am Montag hatte Liebich auf X ein Dokument mit dem Titel „Ladung zum Strafantritt“ der Staatsanwaltschaft Halle gepostet, aus dem hervorgeht, dass Liebich die Haft in der Justizvollzugsanstalt Chemnitz antreten soll – einem Frauengefängnis.
Ein Sprecher der Staatsanwaltschaft bestätigte WELT die Echtheit des Dokuments. „Wir prüfen das eingetragene Geschlecht und den Wohnsitz. Liebich ist formalrechtlich eine Frau und wohnt in Sachsen, sodass der sächsische Vollstreckungsplan heranzuziehen ist“, sagte Staatsanwalt Benedikt Bernzen WELT. Dieser sehe vor, dass Frauen grundsätzlich in der JVA Chemnitz unterzubringen seien. „Die JVA wird prüfen, ob Sicherheitsinteressen anderer inhaftierter Frauen sowie von Liebich selbst gewahrt werden und ob sich die Besonderheiten des konkreten Falls mit der Anstaltsordnung vereinbaren lassen.“
Im Zuge eines Aufnahmegesprächs werde die Anstaltsleitung prüfen, ob die Inhaftierung eine „Gefahr für Sicherheit und Ordnung innerhalb des Gefängnisses“ berge. Daraus könne sich eine Verlegung ergeben.
Politikredakteur Frederik Schindler berichtet für WELT über die AfD, Islamismus, Antisemitismus und Justiz-Themen. Im September erscheint im Herder-Verlag sein Buch über den AfD-Politiker Björn Höcke. Zweiwöchentlich erscheint seine Kolumne „Gegenrede“.
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