Asylleistungen als Kredit? – „Leistungen zum Leben und Überleben sind ein Menschenrecht“
Volljährige Asylbewerber, anerkannte Flüchtlinge und Ausländer aus Nicht-EU-Ländern sollten künftig Sozialleistungen nur noch als Darlehen erhalten – das ist die Forderung zweier SPD-Landräte aus Thüringen. „Wer in unser Land kommt und hier bisher nichts eingezahlt hat, darf Sozialleistungen nur noch als zinsloses Darlehen bekommen“, hatte der Nordhäuser Landrat Matthias Jendricke dem Magazin „Stern“ gesagt. Der Landrat des Kreises Saalfeld-Rudolstadt, Marko Wolfram (SPD), unterstützte die Idee.
Welche Chancen hat der Vorschlag auf Umsetzung?
Philipp Amthor, der im Bundesvorstand der CDU sitzt, sagt WELT TV, die Idee habe einen „gewissen Charme“. Er führt aus: „Sie zahlt ein auf ein gerechteres Verständnis. Wir müssen zur Kenntnis nehmen – es betrifft Asylbewerberleistungen, aber auch andere Sozialleistungen, die steuerfinanziert sind –, dass es hier um Zahlungen der Gemeinschaft geht, ohne dass vorab etwas eingezahlt wurde. Dass man da die Gerechtigkeitsfrage stellt, finde ich richtig, und insoweit sollte man sich diesen Vorschlag ansehen.“
Kritik kommt allen voran aus der Partei der beiden Landräte. Die migrationspolitische Sprecherin der SPD, Rasha Nasr, teilt mit: „Wer aus Kriegs- und Notlagen zu uns kommt, muss Sicherheit finden. Das Grundrecht auf ein würdiges Existenzminimum darf und wird nicht durch ein Darlehen ersetzt werden. Das Bundesverfassungsgericht hat bereits 2022 klargestellt, dass es sich bei Sozialleistungen um einen Anspruch handelt, der dauerhaft und realitätsgerecht gewährleistet sein muss.“
Der Sozialstaat sei eine Errungenschaft, die nicht durch eine Art Schuldsystem ausgehöhlt werden dürfe. Stattdessen müssten Anreize geschaffen werden, etwa der Abbau von Arbeitsverboten im Asylbewerberleistungsgesetz, so die SPD-Politikerin.
Die AfD betont, dass der Vorstoß der SPD-Landräte zwar den richtigen politischen Willen zeige, doch nicht weit genug gehe. René Springer, sozialpolitischer Sprecher seiner Fraktion, argumentiert: „Bürgergeld muss für Ausländer grundsätzlich erst nach zehn Jahren existenzsichernder Beschäftigung gezahlt werden – und dann nur befristet auf ein Jahr. Darlehensmodelle gibt es schon heute. Die Erfahrung zeigt aber, dass viele dieser Darlehen nie zurückgezahlt werden. So entsteht dem Steuerzahler ein Schaden in Milliardenhöhe.“ Wer seinen Lebensunterhalt nicht durch Arbeit sichern könne, werde auch kein Darlehen zurückzahlen können.
Die Linkspartei greift die SPD-Landräte für ihren Vorstoß unmittelbar an. Clara Bünger, fluchtpolitische Sprecherin, sagt: „Die SPD ist juristisch inkompetent. Ihr Vorschlag zeigt deutlich: Sie wissen offenbar nicht, was in unserem Grundgesetz steht. Das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums abgeleitet aus Artikel 1 Absatz 1 in Verbindung mit Artikel 20 Absatz 1 des Grundgesetzes garantiert das Existenzminimum bedingungslos. Wer eine Existenzsicherung als Darlehen vergibt, verwandelt ein Grundrecht in einen Schuldschein.“ In Artikel 1 Absatz 1 des Grundgesetzes wird die Unantastbarkeit der Würde des Menschen hervorgehoben. Artikel 20 Absatz 1 legt die soziale Staatsordnung fest.
Die Grünen äußerten sich auf WELT-Anfrage nicht.
„Unsozial und absurd“, sagt Pro Asyl
Der Deutsche Paritätische Wohlfahrtsverband um seinen Hauptgeschäftsführer Joachim Rock hebt hervor: „Leistungen zum Leben und Überleben sind ein Menschenrecht. Das muss ohne Einschränkung gelten, nicht auf Raten.“ Wer das infrage stelle, grenze Menschen aus und provoziere Not und Verelendung.
Rock argumentiert: „Die Grundsicherungsleistungen im Bürgergeld und für Geflüchtete sind schon jetzt viel zu gering. Sie helfen nicht aus Armut, sondern verfestigen sie.“ Sprachförderung, soziale Teilhabe und Arbeitsmarktintegration müssten aktiv gefördert werden. „So und nur so werden wir den Menschen gerecht und sorgen dafür, dass die Gesellschaft nicht auseinanderfliegt.“
Auch bei Pro Asyl trifft der Vorschlag auf Gegenwehr. In einer Pressemitteilung wird der flüchtlingspolitische Sprecher des Verbandes, Tareq Alaows, zitiert: „Sozialleistungen für Geflüchtete als Darlehen wären unsozial und absurd und zudem aller Voraussicht nach verfassungswidrig. Dieser Vorschlag verkennt die Realität und missachtet grundlegende Rechte.“ Mit dem Vorstoß werde suggeriert, dass Menschen nur wegen der Sozialleistungen nach Deutschland flüchteten. „Damit werden jedoch Krisen und Kriege sowie politische und religiöse Verfolgung in den Herkunftsländern verharmlost“, sagt er.
Auch Migrationsforscherin Yuliya Kosyakova von der Universität Bamberg hält das Modell für verfassungswidrig: „Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz und Bürgergeld sind keine Versicherungsleistungen, sondern sichern im Bedarfsfall das Existenzminimum ab. Es handelt sich auch nicht um einen Zuschuss zum Lebensunterhalt während der Ausbildung wie beim BAföG. Die Umstellung der Sicherung des Existenzminimums auf ein Darlehen dürfte darum verfassungsrechtlich ausscheiden.“
Gleiches gelte für die Ungleichbehandlung von ausländischen Staatsangehörigen bei der Absicherung des Existenzminimums. Außerdem hätten sich die Beschäftigungsquoten der 2015 zugezogenen Schutzsuchenden mittlerweile sehr stark dem Bevölkerungsdurchschnitt angeglichen.
Der Thüringer SPD-Landrat Jendricke hatte erklärt, er stelle sich das Modell ähnlich wie beim BAföG für Studierende vor: Wer zügig eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung aufnehme, solle lediglich einen Teil der erhaltenen Leistungen zurückzahlen. Erfolge die Rückzahlung schnell oder wechselten Flüchtlinge innerhalb eines Jahres in Arbeit, sollten zudem Abschläge gewährt werden.
Nicolas Walter ist Redakteur bei WELT. Er berichtet unter anderem über Außenpolitik, Migration und politischen Extremismus.
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