Mütter mit Babys waren im Bundestag lange nicht vorgesehen. Heute sind sie sogar im Plenum dabei. Eine CDU-Ministerin hat daran besondere Verdienste.

Heute mal eine Kolumne aus der Kategorie "Wussten Sie eigentlich?". Vor der Sommerpause habe ich eine Bundestagsdebatte verfolgt. Die Abgeordnete Hanna Steinmüller von den Grünen stellte einem Redner eine zugelassene Zwischenfrage – und zwar mit ihrem Baby vor den Bauch geschnallt. Es war wohl die erste Zwischenfrage im Deutschen Bundestag unter – allerdings sehr stiller – Teilnahme eines Babys. Das Kind, ein halbes Jahr alt, schlief.

Das war auch deshalb ein bemerkenswertes Ereignis, weil Bundestagspräsidentin Julia Klöckner keine zwei Stunden vorher verkündet hatte: "Wir sind hier nicht im Kindergarten; das will ich jetzt mal sehr deutlich sagen." Diese Erläuterung war im übertragenen Sinne gemeint und ging an die Adresse der Links-Fraktion, die sich ungezogen verhalten hatte.

Aber weil Frau Klöckner bislang in ihrem Amt wenig natürliche Autorität ausstrahlt, macht sie oft sehr strenge Ansagen und dazu ein finsteres Gesicht, weshalb es angeraten erscheint, sie erst einmal beim Wort zu nehmen. Als Frau Steinmüller zwischenfragte, leitete indes schon Vizepräsident Bodo Ramelow die Sitzung.

Das wiederum war auch ein bemerkenswerter Zufall, denn der Thüringer Landtag, viele Jahre Wirkungsstätte Ramelows, geriet 2018 ausnahmsweise nicht wegen seltsamer politischer Konstellationen in die Schlagzeilen, sondern weil einer der Abgeordneten mit Kind der Zutritt in den Plenarsaal untersagt worden war. Das Landesverfassungsgericht wurde eingeschaltet und schlug salomonisch vor, Kinder bis zu einem Jahr in den Saal zu lassen, solange sie die Sitzung nicht stören. Manchmal ist das Leben so einfach.

Früher mussten Mütter mit Mandat für versäumte Sitzungen Strafgelder zahlen

Jetzt aber: Wussten Sie eigentlich, wer sich um Abgeordnete mit Kind verdient gemacht hat? Das war eine Frau, die heute in der Regierung sitzt und auch oft ein bisschen finster dreinschaut: Wirtschaftsministerin Katherina Reiche gehörte einst zu den Müttern, die im Bundestag nicht vorgesehen waren. So nahm zum Beispiel die Parlaments-Kita nur Nachwuchs von Mitarbeitern auf, nicht aber Kinder von Abgeordneten. Das änderte der Bundestag im Jahr 2000 auf Initiative einiger Mütter, angeführt von Reiche. Doch die Sache blieb schwierig.

Im Reichstagsgebäude wurde in einer Abstellkammer ein Stillraum eingerichtet, über den Reiche sagte: "Auf jeder Raststätte findet man hygienischere Bedingungen." Sie zog es vor, ihre Tochter auf der Toilette zu stillen.

Das erste Baby im Plenum war das Kind der FDP-Abgeordneten Judith Skudelny. Als sie ihre Tochter 2009 mit in die Sitzung brachte, wies sie ein Saaldiener zurück. FDP-Chef Guido Westerwelle intervenierte, Mutter und Kind wurden eingelassen. Zur Ehrenrettung des Saaldieners sei gesagt, dass er korrekt handelte, denn den Plenarbereich dürfen nur gewählte Abgeordnete betreten. Das Mädchen betrat den Saal freilich nicht, sie wurde getragen.

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Einen Mutterschutz von mehreren Wochen führte der Bundestag erst vor einigen Jahren ein. Bis dahin mussten Mütter mit Mandat, die Kinder zur Welt brachten, für versäumte Sitzungen rund um die Geburt Strafgelder bezahlen.

Andere Länder sind – wenig überraschend – weiter bei der Vereinbarkeit von Familie und Beruf in der Politik. In Australien und Spanien sowie im Europäischen Parlament wurden Babys bereits im Plenarsaal gestillt, in Island sogar, während die Mutter eine Rede hielt. Ich vermute mal, dass Julia Klöckner das auch zuließe. Oder? 

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