Eines vorneweg: Friedrich Merz kann es mit dem teilweisen Waffenstopp an Israel keinem recht machen. Viele Menschen im Land fordern schon lange eine härtere Gangart gegenüber der israelischen Regierung. Ihnen wird die nun verkündete Entscheidung kaum ausreichen. Anderen gilt jede Kritik an der israelischen Regierung als verpönt und potenziell antisemitisch. 

Vor allem diese Menschen bringt Merz jetzt massiv gegen sich auf. Sie hatten auf ihn gesetzt.

Das große Problem dieses Bundeskanzlers ist nun, dass sich ein Großteil der unbedingten Israelfreunde aus CDU und CSU rekrutiert. Merz hat mit der Einschränkung der Waffenexporte nicht nur eine Zeitenwende in der bundesdeutschen Israelpolitik beschlossen. Er rüttelt auch am Fundament der Union, an der tiefen, unverbrüchlichen Verbundenheit mit dem Staat Israel. An der "Staatsräson", die einst Angela Merkel verkündete.

Friedrich Merz verprellt die eigene Partei

Der Kanzler mag bei seiner Entscheidung die Mehrheit der Deutschen hinter sich haben, auch den Koalitionspartner SPD. In Teilen der Union aber sorgt der Lieferungsstopp für Entsetzen, gerade unter den Jüngeren. "Staatsräson abgehakt? Ein Bruch mit den Grundsätzen der Unionspolitik", postete die Junge Union auf Instagram. 

Deren Vorsitzender, der Bundestagsabgeordnete Johannes Winkel, erklärte: "Israel macht ab heute die Drecksarbeit für uns, nur ohne deutsche Waffen." Der Obmann für Außenpolitik der Unionsfraktion, Roderich Kiesewetter, erklärte: "Die Aussetzung von Waffenlieferungen an Israel halte ich persönlich für einen schweren politischen und strategischen Fehler Deutschlands." Er sei enttäuscht.

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Es sind massive Angriffe auf den eigenen Kanzler, die das Zeug haben, tiefe Verwerfungen innerhalb der CDU und der gesamten Koalition auszulösen.

Viele andere wollen sich am Freitag erst mal nicht namentlich äußern, mit Rücksicht auf den Kanzler. Die Diskussion soll erst mal intern geführt werden. Doch die Wut bei vielen ist groß, die Worte, die hinter vorgehaltener Hand fallen, sind deutlich: "Wie kann man sich in so kurzer Zeit vom Hoffnungsträger zum Hampelmann schrumpfen?", fragt einer. "Katastrophe", sagt ein anderer. "Das Entsetzen ist riesig", schreibt ein Abgeordneter. 

Besonders harsch wird in der CDU kritisiert, dass die Entscheidung offenbar zum wiederholten Mal überhaupt nicht in den Parteigremien besprochen war. Nach Informationen des stern wurde auch die CSU an der Entscheidung nicht beteiligt und erfuhr erst nachträglich davon.

Die Union wurde also von dieser Zeitenwende ihres Kanzlers offenbar komplett überrascht. Vielfach im Urlaub.

In der Partei wird daher auch gemutmaßt, der eigene Parteichef habe sich von der SPD zu dieser Entscheidung treiben lassen. Für diese Lesart spricht allerdings wenig. Die Entscheidung hat vielmehr eine längere Vorgeschichte.

Der Ton gegenüber der israelischen Regierung wurde seit Monaten immer schärfer. Seinen Anfang hatte die Entfremdung Ende Mai genommen mit einem Auftritt von Merz auf der Digitalmesse Republica. "Das ist eine menschliche Tragödie und eine politische Katastrophe", sagte der Kanzler dort über die Lage in Gaza. Er verstehe "offen gestanden nicht mehr, mit welchem Ziel" die israelische Regierung vorgehe. Merz sprach damals auch erstmals von Völkerrechtsverletzungen.

Trotzdem blieb Merz bisher bei Sanktionen gegenüber Israel hart. Stattdessen setzte Deutschland auf seine guten Drähte in die Regierung. Woche für Woche telefonierten Merz und sein Außenminister Johann Wadephul mit ihren israelischen Gegenübern. Merz' Telefonate mit Regierungschef Benjamin Netanjahu sollen dabei von mal zu mal frostiger geworden sein. Einmal soll es auch laut zwischen den beiden geworden sein. 

Anfang vergangener Woche berief Merz dann das Sicherheitskabinett zur Lage in Gaza ein. Grund waren die Berichte von verhungernden Menschen, Warnungen vor einem Massensterben. Auch die immer offenkundigeren Annexionspläne für das Westjordanland sorgten die Bundesregierung. Schon in dieser Runde wurden erstmals Sanktionen gegenüber der israelischen Regierung diskutiert. Es wurde aber noch nichts beschlossen. Stattdessen schickte Merz seinen Außenminister nach Israel auf Erkundungsmission. Wadephul sollte in Erfahrung bringen, ob man mit den Israelis noch reden kann, sie zur Einsicht zu bewegen sind. 

Spätestens jetzt hätte Merz vermutlich seine Partei einbeziehen müssen. Doch das unterließ er offenbar.

Am vergangenen Wochenende informierte Wadephul dann telefonisch das Sicherheitskabinett. Danach soll Merz in internen Runden die Fortschritte bei der humanitären Hilfe betont haben. Die Signale wurden in der Union von vielen so interpretiert, als sei die Bundesregierung durch die Versprechen der Israelis, wieder mehr Hilfe in die Kampfzone zu lassen, erst mal zufriedengestellt. Auch noch in der Kabinettssitzung am Mittwoch soll Merz nach stern-Informationen sehr viel über die von der Hamas geklauten Hilfen geredet haben, weniger über mögliche Sanktionen.

Die Grenze war für Merz offenbar mit der Entscheidung des israelischen Kabinetts in der Nacht zum Freitag überschritten, nun auch in Gaza-Stadt einzumarschieren. Um kurz nach 12 Uhr teilte er am Freitag persönlich mit, dass das das Vorgehen Israels aus Sicht der Bundesregierung immer weniger erkennen ließe, wie die Kriegsziele erreicht werden sollen: "Unter diesen Umständen genehmigt die Bundesregierung bis auf Weiteres keine Ausfuhren von Rüstungsgütern, die im Gazastreifen zum Einsatz kommen können."

Hinter der Zäsur dürfte auch die zunehmende internationale Isolation Deutschlands in dieser Frage stehen. So war es in Diplomatenkreisen zu hören. Die engsten Partner Frankreich und Großbritannien verfolgen schon seit Langem einen viel restriktiveren Kurs. Die Haltung der Bundesregierung, Israels Vorgehen immer schärfer zu kritisieren, aber dennoch nicht politisch zu handeln, wirkte immer weniger erklärlich. Das gilt auch für die deutsche Bevölkerung: Eine überwältigende Mehrheit forderte zuletzt in Umfragen einen verstärkten diplomatischen Druck zur Beendigung der Kampfhandlungen im Gazastreifen. Auch bei den Anhängern der Union waren es 77 Prozent.

Der Außenminister in Israel Wie ein falscher Halbsatz Wadephuls Mission gefährdet

Nein, Friedrich Merz steht auch in seiner Partei nicht allein da. Er weiß etwa erfahrene Außenpolitiker wie Norbert Röttgen an seiner Seite. Doch sein Standing in Gesamt-Partei wird jetzt auch davon abhängen, wie er seine Entscheidung den eigenen Leuten verständlich macht. Es ist schließlich die zweite Säule christdemokratischer Politik, die der Parteichef binnen weniger Monate umstürzt. Schon kurz nach der Wahl, als er im Bundestag die Schuldenbremse schleifen ließ, erklärte er, ihm sei schon klar, dass er damit einen "sehr hohen Kredit" in Anspruch genommen habe. "Auch was meine persönliche Glaubwürdigkeit betrifft." 

Der Kredit, den er mit seinem Politikwechsel in der Israelpolitik in Anspruch nimmt, dürfte ähnlich hoch einzuschätzen sein. Bei vielen in der Partei sogar höher. Er betrifft nicht nur die DNA der Parteien CDU und CSU, sondern auch das moralische Selbstverständnis vieler Abgeordneten, bei manchem das ganze Selbstbild als politischer Mensch. 

Wenn er sich da mal nicht verzockt, dieser Kanzler. Seine Fraktion hat ihm bei der Richterwahl schon einmal gezeigt, wie eine Revolte geht.

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