Offensive gegen Schwarzarbeit? „Unsäglich und als Behördenwillkür zu verstehen“
Auf einer Baustelle in Berlin-Tempelhof werden am Mittwochmittag zwei Bauarbeiter von bewaffneten Zollbeamten aus einem Gerüst geführt. Sie halten sich die Hände vors Gesicht, um sich vor den Pressekameras zu verbergen. Der Anlass: eine unangekündigte Prüfung der Finanzkontrolle Schwarzarbeit (FKS).
Mit den knapp 100 Einsatzkräften sind auch die SPD-Vorsitzenden Lars Klingbeil und Bärbel Bas hierhergekommen, heute in ihren Funktionen als Finanzminister und Arbeitsministerin. Mit Bauhelmen und Stichschutz-Zollwesten kontrollieren die Zollbeamten die Arbeiter auf der Baustelle nach ihren Arbeitserlaubnissen, ob der Mindestlohn eingehalten wird und ob alle Sozialbeiträge zahlen. „Die wenigen, die sich auf Kosten der Allgemeinheit bereichern, die sollen dingfest gemacht werden“, sagt Vizekanzler Klingbeil.
Schwarzarbeit verursacht jedes Jahr hohe finanzielle Schäden für den Staat. Im vergangenen Jahr stellte der Zoll in Deutschland einen Gesamtschaden von rund 766 Millionen Euro fest – allein 369 Millionen Euro davon entfielen auf das Baugewerbe. Dem gegenüber stehen vergleichsweise geringe Einnahmen aus verhängten Geldbußen, 2024 waren es lediglich 30 Millionen Euro.
Der Einsatz auf der Baustelle des Projekts „Neue Bock-Brauerei“ hinter dem Berliner Hauptzollamt ist eine verdachtsunabhängige Prüfung, kommt also überraschend für die Arbeiter. Auf Nachfrage Klingbeils erklärt ein Zollbeamter, dass die FKS auch immer wieder Hinweise bekomme – von den Arbeitnehmern selbst, deren Familien und von Bürgern.
Anlass der medienwirksamen Kontrolle ist das vom Kabinett am Mittwoch beschlossene Gesetz zur Bekämpfung von Schwarzarbeit. Damit soll der Zoll mehr Befugnisse und bessere digitale Werkzeuge erhalten – dafür sind Investitionen von knapp 500 Millionen Euro vorgesehen. Künftig sollen Prüfdaten auch an Jobcenter übermittelt werden, um Sozialleistungsbetrug schneller aufzudecken und Rückforderungen zu erleichtern.
Im Gegenzug erwartet Klingbeil durch die Reform zusätzliche Einnahmen von rund 1,8 Milliarden Euro bis 2029 — durch höhere Steuereinnahmen und Beiträge zur Sozialversicherung. Das käme dem Finanzminister gelegen, denn ab 2027 klaffen in der Haushaltsplanung Milliarden-Lücken.
Außerdem sollen mit dem neuen Gesetz Branchen, in denen die Regierung illegale Beschäftigung vermutet, genauer überwacht werden. Dazu zählen laut Klingbeil etwa Friseursalons, Barbershops sowie Kosmetik- und Nagelstudios. Das heißt, dass Arbeitnehmer ihre Ausweise dort immer mit sich führen und neue Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen sofort bei der Rentenversicherung gemeldet werden müssen.
„Ich mache nur noch Bürokratie“
Terri Malon, Geschäftsführerin des Verbandes Nagel Designer Deutschlands, bezeichnet das neue Gesetz als „bodenlos“: „Wir in Deutschland haben schon genug Bürokratie, die gerade Kleinstunternehmer wie Nagelstudios extrem belastet. Dass die Bundesregierung hier noch weiter aufbaut und eine gesamte Branche unter Generalverdacht stellt, ist unsäglich und vor allen Dingen als Behördenwillkür zu verstehen.“
Malon selbst hat bereits sieben Nagelstudios geführt: „Wenn man heute ein Studio mit drei bis vier Teilzeitangestellten führt, dann brauche ich als Studiobesitzerin nicht mehr am Kunden zu arbeiten, ich mache nur noch Bürokratie.“ Ein Vollzeitjob, mit dem aber kein Geld verdient werde.
Im vergangenen Jahr wurde sie von einem Verbandsmitglied zu einer Kontrolle des Zolls dazugerufen: „Da kamen schwerstbewaffnete Beamte in kugelsicheren Westen und mit Pistolen.“ Auf ihre Nachfrage zur Verhältnismäßigkeit habe der Einsatzleiter geantwortet, man wisse schließlich nie, was einen erwartet. Obwohl sie im Anschluss sämtliche Belege und Verträge korrekt eingereicht habe, sei nie ein Abschlussbericht erfolgt: „Das ist unglaublich.“
Ihr Vorschlag zur Bekämpfung von Schwarzarbeit in Nagelstudios: den Beruf der Nageldesignerin zu einem anerkannten Ausbildungsberuf machen. Denn bislang ist dafür in Deutschland lediglich ein Gewerbeschein nötig – eine fachliche Qualifikation ist nicht vorgeschrieben. „Jeder Depp darf heute ein Nagelstudio aufmachen“, kritisiert sie. Weil es sich nicht um einen regulierten Beruf handele, könnten rund 6000 offene Stellen in der Branche nicht mit Fachkräften besetzt werden.
Anders als in der Kosmetikbranche wird das Gesetz in der Bauwirtschaft deutlich positiver bewertet. Christian Beck vom Bundesvorstand der Industriegewerkschaft Bauen-Agrar-Umwelt (IG BAU) nennt etwa die Pflicht, den Ausweis ständig mitzuführen, „leider notwendig“. Kontrollen wie die am Mittwoch und die Sofortmeldepflicht seien effektive Instrumente: „Denn es geht darum, den Betrieben, die mit Schwarzarbeit und illegaler Beschäftigung reguläre Jobs kaputtmachen, das Handwerk zu legen. Die schwarzen Schafe unter den Betrieben sind dafür verantwortlich, dass die sauber arbeitenden Betriebe und deren Beschäftigte zusätzliche Bürokratie aufgebrummt bekommen.“
Auch im Friseurhandwerk trifft das Gesetz grundsätzlich auf Zustimmung. Der Zentralverband des deutschen Friseurhandwerks begrüßt die Aufnahme der Branche in den Katalog der besonders kontrollierten Sektoren. Mit Blick auf Barbershops heißt es in der Stellungnahme: „Eine konsequente Prüfung des Friseurgewerbes ist aufgrund der Strukturveränderungen innerhalb der Branche dringend erforderlich.“ Gleichzeitig warnen sie aber davor, das Problem allein mit Kontrollen lösen zu wollen.
Der Volkswirt Friedrich Schneider bezeichnete die Bekämpfung als äußerst schwieriges Unterfangen: „Entscheidend wäre es, die Anreize für Schwarzarbeit zu bekämpfen, dass es sich weniger lohnt.“ Strengere Gesetze und Kontrollen könnten zwar bei organisiertem, kriminellem Vorgehen Wirkung zeigen – bei kleineren Tätigkeiten wie Nachhilfe oder gelegentlichen Reparaturen werde der Effekt jedoch gering bleiben.
Stattdessen schlägt er vor, kleinere Handwerksleistungen steuerlich besser absetzbar zu machen – etwa wenn eine tropfende Dichtung offiziell repariert wird. So wäre der Preisunterschied zur Schwarzarbeit weniger relevant. Und der Staat bekäme zumindest einen Teil der Steuern zurück, statt leer auszugehen.
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