Wenn der Landkreis Fakten schafft – und Migranten einfach einquartiert
Die Zahlen gehen deutlich zurück“, sagte Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) erst vor wenigen Tagen beim Treffen des bayerischen Kabinetts mit Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) auf der Zugspitze. Im Landkreis Rosenheim allerdings ist davon nichts zu spüren.
Dort, am südöstlichen Ende des Freistaats, herrschen eher massiver Druck und gewisses Chaos. Am Freitag nahm der Landkreis dann doch die umstrittene Asylbewerber-Unterkunft im Gewerbegebiet der Gemeinde Rott am Inn in Betrieb. Zwei Tage vorher scheiterte das noch. Da waren knapp 30 Migranten mit einem Reisebus erst hin- und dann wieder weggebracht worden.
Offenbar gab es Unstimmigkeiten innerhalb der Landkreisverwaltung. Am Freitag brachten drei Kleinbusse dieselben Ankömmlinge wieder nach Rott – diesmal blieben sie. Und das, obwohl noch ein Rechtsstreit über die Inbetriebnahme der Einrichtung tobt.
Bis dahin harrten sie in einer umfunktionierten Schulturnhalle in Raubling aus, eine Ortschaft südlich von Rosenheim – und zwar zusammen mit weiteren 200 Migranten, die dort derzeit noch untergebracht sind. Die Neuankömmlinge, die jetzt gewissermaßen als Erstbewohner nach Rott umquartiert wurden, waren nach Angaben der Kreisverwaltung in dieser Woche an den Landkreis Rosenheim geschickt worden. Die Zuteilung liegt in der Hand der Bezirksregierung von Oberbayern und dem bayerischen Innenministerium.
Ein Sprecher des Landkreises sagte WELT, der Landkreis Rosenheim liege mit seinen Unterbringungszahlen unter dem bayerischen Schnitt und habe darum weiteren Zuzug hinzunehmen. Allerdings ist die Lage auch hier schon lange angespannt. Die Turnhalle in Raubling etwa dient seit Herbst 2022 als Unterkunft. Schulsport ist dort seit bald drei Jahren nicht möglich.
Erleichterung soll ein Neubau in Bruckmühl schaffen. Dort stehen bereits zwei Containerblöcke, die von Migranten bewohnt werden. Daneben entsteht derzeit ein massives Gebäude, das zusätzlich Platz für 200 Menschen schaffen soll. Die Gemeinde Bruckmühl stimmte dem zu, weil auch sie gern eine Turnhalle für den Schulsport zurückwollte, nämlich die des Gymnasiums. Das hat auch geklappt. Deren Bewohner wurden in die Container im Gewerbegebiet umquartiert.
Für den Neubau hat die Gemeinde dem Landkreis das Grundstück verpachtet. Errichtet wird der Bau von einem privaten Investor, der dann seinerseits für die Nutzung von der öffentlichen Hand bezahlt wird. Bemerkenswert sind die Laufzeiten: Die Einrichtung ist für eine Dauer von 15 Jahren geplant mit der Möglichkeit, zweimal um je fünf Jahre zu verlängern. Danach soll die Gemeinde das Grundstück zurückbekommen, und zwar im ursprünglichen Zustand.
Gewerbetreibende in großer Sorge
Teils wütenden Protest gegen immer neue Asylunterkünfte gab es in den vergangenen Jahren immer wieder in bayerischen Gemeinden. Rott zog allerdings besonders viel Aufmerksamkeit auf sich. Die Bürgerinitiative dort lebt im Wesentlichen vom Engagement von Gewerbetreibenden, die in der Nachbarschaft der neuen Unterkunft eigene Fertigungs- oder Lagerhallen betreiben. Sie argumentieren auch nicht mit fremdenfeindlichen Klischees, sondern mit Problemen bei der Infrastruktur und zu beengten Platzverhältnissen.
Die Gemeinde klagt vor dem Verwaltungsgericht gegen die Baugenehmigung für die Unterkunft. Dazu steht die Entscheidung ebenso aus wie darüber, ob der Landkreis vorab vollendete Tatsachen schaffen dürfe.
An ihrer Seite weiß die Bürgerinitiative den Bürgermeister der Gemeinde, der parteilos ist und von SPD und einer freien Wählergruppe nominiert wurde. Bei der letzten Kommunalwahl vor vier Jahren schlug Daniel Wendrock den CSU-Bewerber mit einer satten Zwei-Drittel-Mehrheit. Seitdem residiert er im selben Gebäudekomplex, in dem einst CSU-Übervater Franz Josef Strauß wohnte und mit seiner Frau auch im familieneigenen Mausoleum beigesetzt ist. Die AfD, sonst oft präsent, wenn es um Migration geht, existiert in Rott praktisch nicht.
Dass die Belegung der Unterkunft in Rott im ersten Anlauf scheiterte, dürfte an mangelhafter Kommunikation zwischen dem Landrat und der ihm unterstellten Ausländerbehörde liegen. Landkreis und Bezirksregierung hatten der Gemeinde zugesagt, das neue Quartier erst dann zu belegen, wenn die Bezirksregierung ein Gutachten zur Quecksilberbelastung mit der Gemeinde erörtert habe. Das war am Mittwoch noch nicht passiert – inzwischen aber schon, teilte das Landratsamt mit.
Die Behörde gab auch bekannt, dass Landrat Otto Lederer (CSU) sich bereiterklärt habe, an einer Bürgerversammlung in Rott teilzunehmen. Die soll kurzfristig noch im Juli stattfinden. Fragen von WELT nach den Zuzugszahlen im Landkreis und danach, ob von der von Ministerpräsident Söder geschilderten Entspannung etwas spürbar sei, ließ die Landkreisverwaltung am Freitagnachmittag unbeantwortet. Die Begründung: Wegen einer internen Besprechung sei niemand für eine Auskunft erreichbar.
Christoph Lemmer berichtet für WELT als freier Mitarbeiter vor allem über die Politik in Bayern.
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