• Bundespräsident Steinmeier hat die Regierung nach dem Richterwahl-Streit kritisiert zur Einigung gemahnt.
  • Kanzler Merz spielte den Richterwahl-Streit herunter, räumte aber ein, den Unmut in der Union unterschätzt zu haben.
  • CSU-Chef Markus Söder und der CDU-Politiker Bareiß fordern, dass die SPD eine neue Kandidatin vorschlägt.
  • Brosius-Gersdorf steht in der Union vor allem wegen ihrer liberalen Haltung zu Abtreibung, Impfpflicht und AfD-Verbot in der Kritik – lange vor den umstrittenen Plagiatsvorwürfen.

Nach dem geplatzten Wahltermin für drei neue Richterposten am Bundesverfassungsgericht am Freitag hat Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier die Regierungskoalition scharf kritisiert und eindringlich zur Einigung aufgerufen. "Die Koalition hat sich jedenfalls selbst beschädigt", sagte Steinmeier am Sonntag im ZDF-Sommerinterview. Die Parteien der demokratischen Mitte müssten den Streit zügig beilegen, "denn es geht hier um Autorität und Funktionsfähigkeit des Verfassungsgerichtes, die müssen wir erhalten."

Die kurzfristige Absage der Richterwahl rühre auch an der Autorität des Parlaments, erklärte Steinmeier weiter. Er warnte davor, das Verfahren zu parteipolitisch aufzuladen.

Merz: Gescheiterte Wahl ist kein Beinbruch

Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) hingegen hat nach der gescheiterten Wahl den entstandenen Streit heruntergespielt. Im ARD-Sommerinterview sagte Merz: "Das war am Freitag nicht schön. Aber das ist nun auch keine Krise, keine Krise der Demokratie, keine Krise der Regierung". Die Verschiebung sei "nun wirklich kein Beinbruch".

Merz betonte, es gebe aktuell keinen Zeitdruck. Man werde "mit der SPD in Ruhe besprechen", wie es weitergehe. Ziel sei, "für die nächste Runde gute Mehrheiten zu bekommen". Eine kurzfristige Entscheidung sei aber nicht nötig.

Zugleich räumte Merz ein, die Vorbehalte innerhalb der Unionsfraktion gegen die SPD-Kandidatin Frauke Brosius-Gersdorf unterschätzt zu haben: "Wir hätten natürlich früher erkennen können, dass da großer Unmut besteht."

Lage scheint festgefahren

Regierungssprecher Stefan Kornelius bekräftigte die Äußerungen des Kanzlers vom Sonntag, dass es mit einer Lösung nicht eile. Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) und Finanzminister Lars Klingbeil (SPD) hätten jedoch "sehr ausführlich" zu einer Reihe von Themen telefoniert, wie der Regierungssprecher am Montag mitteilte. Ergebnisse wurde aber nicht kommuniziert. Kornelius zeigte sich aber zuversichtlich, "dass die zuständigen Ebenen, in diesem Fall die Fraktionen, sich dieser Sache nun annehmen werden".

Bareiß und Söder fordern neue Kandidatin

Der CDU-Abgeordnete Thomas Bareiß hatte dem "Tagesspiegel" bereits am Wochenende gesagt, der Koalitionspartner SPD solle eine neue Kandidatin vorschlagen. Kritik übte Bareiß auch an Unions-Fraktionschef Jens Spahn. Die plötzlich aufgetauchten Plagiatsvorwürfe gegen Brosius-Gersdorf hätten bei ihm "ein ganz ungutes Störgefühl" ausgelöst. Obwohl er die Kritik an den Positionen von Brosius-Gersdorf teile, hätte er sich in der Frage der Plagiatsvorwürfe etwas mehr Zurückhaltung gewünscht.

Forderung nach mehr ostdeutschen Verfassungsrichtern (zum Ausklappen)

Sachsen-Anhalts Landesbeauftragter für die Aufarbeitung der SED-Diktatur, Johannes Beleites, fordert eine stärkere ostdeutsche Repräsentation am Bundesverfassungsgericht. Er kritisierte, dass seit der Wiedervereinigung 48 Richter berufen worden seien, aber nur zwei davon aus Ostdeutschland stammten. "Demokratie hat immer auch etwas mit Repräsentation zu tun", so Beleites. Er zeigte sich besorgt, dass dieser Aspekt in der aktuellen Debatte über die Richterwahl kaum beachtet werde. Besonders mit Blick auf ein mögliches AfD-Verbotsverfahren sei es "fatal", wenn in Karlsruhe nur eine ostdeutsche Stimme vertreten sei – die spezifischen Erfahrungen und Perspektiven aus dem Osten dürften dabei nicht fehlen.

Auch CSU-Chef Markus Söder hat der SPD nahegelegt, Frauke Brosius-Gersdorf durch eine andere Kandidatin zu ersetzen. Auf deren Nominierung habe "kein Segen" gelegen, sagte Söder am Montag im Anschluss an eine CSU-Vorstandssitzung in München. Die SPD solle im Herbst einen neuen Vorschlag machen, "der vielleicht besser geeignet ist". Die Entscheidung darüber liege jedoch bei der SPD selbst.

Zugleich plädierte Söder für eine Reform des Wahlverfahrens. Künftig solle eine einfache Mehrheit im Bundestag ausreichen, um Verfassungsrichter zu wählen. Die aktuell notwendige Zwei-Drittel-Mehrheit führe zu "zu kaum vertretbaren politischen Kompromiss- und Konsensverrenkungen", kritisierte der CSU-Vorsitzende. Es könne nicht sein, dass etwa die Linkspartei faktisch mitentscheide, wen die Union wähle. Bundesinnenminister Alexander Dobrindt (CSU) hatte sich zuletzt offen für Gespräche mit der Linken gezeigt.

Keine "Menschenwürdegarantie" für Ungeborene

Ungeachtet der Plagiatsvorwürfe hatte sich bereits vor der geplanten Richterwahl im Bundestag abgezeichnet, dass Brosius-Gersdorf in der Unionsfraktion keine Mehrheit bekommen würde.

Bei "Markus Lanz" zeigte sich Brosius-Gersdorf 2024 auch für ein AfD-Verbot offen. Bildrechte: picture alliance / teutopress | -

Einer der Hauptgründe ist ihre Haltung beim Thema Abtreibung. Die Potsdamer Professorin hatte sich als Mitglied einer Experten-Kommission dafür ausgesprochen, Abtreibungen in den ersten drei Schwangerschaftsmonaten generell straffrei zu stellen. Außerdem soll sie geschrieben haben: "Meines Erachtens gibt es gute Gründe dafür, dass die Menschenwürdegarantie erst ab Geburt gilt."

Umstritten ist zudem Brosius-Gersdorfs Haltung zu einer Corona-Impfpflicht. In einem während der Corona-Zeit verfassten Papier erklärte sie: "Man kann sogar darüber nachdenken, ob mittlerweile eine verfassungsrechtliche Pflicht zur Einführung einer Impfpflicht besteht." Auch hatte sich Brosius-Gersdorf in der Vergangenheit für ein AfD-Verbot, das Gendern des Grundgesetzes und das Tragen muslimischer Kopftücher bei Richterinnen offen gezeigt.

Abgesetzt wurde Brosius-Gersdorfs geplante Wahl aber erst, nachdem der österreichische Plagiatsprüfer Stefan Weber kurzfristig einen Post mit Zweifeln an der wissenschaftlichen Qualität von Brosius-Gersdorfs Doktorarbeit veröffentlicht hatte. Aus der Union hatte es daraufhin geheißen, die Vorwürfe müssten geprüft werden. Die Universität Hamburg – wo die Juristin promovierte – sieht dagegen keinen Anlass für eine Überprüfung, wie sie mitteilte.

SPD hält an Brosius-Gersdorf fest

Die stellvertretende SPD-Fraktionsvorsitzende Sonja Eichwede bekräftigte unterdessen, dass ihre Partei an Brosius-Gersdorf festhalten werde. Gegenüber Welt TV bestätigte sie den Plan der SPD-Fraktionsspitze, dass sich Brosius-Gersdorf in der Bundestagsfraktion von CDU/CSU vorstellen solle.

KNA/dpa/AFP/Reuters/epd (dni, jst)

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