„Endgültige Verbannung von Bürgergeld-Beziehenden aus Innenstädten“, wettert Linke gegen Merz
„Es soll Grundsicherung heißen und nicht mehr Bürgergeld bleiben“, forderte Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) im ARD-„Sommerinterview“ am Sonntag. Für Bürgergeld-Bezieher solle es spürbare Kürzungen geben. Dabei seien beispielsweise eine Deckelung bei den vom Staat übernommenen Mietkosten oder eine Überprüfung der zugestandenen Wohnungsgröße denkbar. „Sie haben in den Großstädten heute teilweise bis zu 20 Euro pro Quadratmeter“, die Leistungsempfänger „vom Sozialamt oder von der Bundesagentur bekommen für Miete“, so Merz. Nach der Sommerpause soll die Bundesarbeitsministerin Bärbel Bas (SPD) eine Bürgergeld-Reform vorlegen, die 2026 umgesetzt werden soll.
Merz‘ Vorstoß nennt die stellvertretende Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion, Dagmar Schmidt, „wenig ausgegoren“: „Statt das Problem teuren Wohnraums durch mehr Obdachlosigkeit zu lösen, gilt es, ausufernde Mieten mit der Mietpreisbremse zu begrenzen und in bezahlbaren Wohnraum zu investieren – wie von der Koalition bereits auf Druck der SPD beschlossen“, so Schmidt. Das helfe allen Menschen und entlaste die öffentlichen Haushalte. „Grundsätzliche Fragen zu den Sozialversicherungen stellt Herr Merz nur, wenn es um die Privatisierung von Lebensrisiken geht“, kritisiert Schmidt und verspricht: „Leistungskürzungen wird es mit uns nicht geben.“ Die Unionsfraktion gab auf WELT-Anfrage keine Stellungnahme zu dem Vorschlag des Kanzlers ab.
Die Sprecherin der Linksfraktion für Mieten- und Wohnungspolitik, Caren Lay, kritisiert Merz‘ Äußerungen als „absurd und völlig unrealistisch“. „Regelmäßig erhöhen Wohnungskonzerne wie Vonovia und Co. die Mieten und lassen sich die Mietsteigerungen in Form der Wohnkostenzuschüsse von den Ämtern bezahlen. Um dieses Geschäftsmodell zu beenden, müssen die Mieten gedeckelt werden, aber doch nicht die staatlichen Leistungen“, so Lay. Der Bund solle es den Kommunen erleichtern, gegen Mietwucher vorzugehen. Der Vorschlag des Kanzlers hingegen bedeute in der Praxis die „endgültige Verbannung von Bürgergeld-Beziehenden aus den Innenstädten“. Alternative bezahlbare Wohnungen seien dort nicht mehr zu finden.
Der Sprecher der AfD-Bundestagsfraktion für Arbeit und Soziales, René Springer, nennt die Forderungen von Friedrich Merz ein „durchschaubares Ablenkungsmanöver“. Denn die eigentliche Ursache für ausufernde Sozialausgaben liege tiefer: „Deutschland zahlt millionenfach Bürgergeld an Menschen ohne deutschen Pass – oft ohne verlässlich zu prüfen, ob sie sich überhaupt dauerhaft im Land aufhalten“, sagt Springer WELT. Das ziehe Sozialmigration an und verschärfe die Lage auf dem Wohnungsmarkt zusätzlich. „Die Einwanderung in unsere Sozialsysteme muss gestoppt werden – doch mit der von Merz geführten Regierung ist das nicht zu erwarten.“
BSW-Generalsekretär Christian Leye fordert, Merz‘ Aussagen müssten im Zusammenhang mit anderen Maßnahmen seiner Regierung gesehen werden: „Gerade erst wurden Unternehmensteuern um 50 Milliarden Euro gesenkt, der Ukraine fünf Milliarden Euro zusätzlich versprochen und eine schier unbegrenzte Bewaffnung beschlossen. Für die Geschenke an die reichsten ein Prozent der Bevölkerung und die gewünschte Eine-Billion-Euro-Armee sollen nun die Ärmsten zahlen. Diese Grütze der Bevölkerung als Lösung eines Gerechtigkeitsproblems zu verkaufen, ist – vorsichtig formuliert – mutig.“ Zwar sei auch das BSW der Meinung, dass Arbeit sich lohnen müsse; es spreche dabei aber über bessere Löhne und nicht Kürzungen des Bürgergelds.
„Dann werden sozialpolitische Instrumente teurer“
Ralph Henger ist Immobilienökonom beim arbeitgebernahen Institut der deutschen Wirtschaft. Er nennt die Merz-Vorschläge „auf den ersten Blick nachvollziehbar“ – wenngleich sie seiner Einschätzung nach hinsichtlich der Belastung der Sozialkassen wenig verändern. Er erklärt gegenüber WELT, die Kosten einer Unterkunft gälten als angemessen, wenn das Produkt aus angemessener Wohnfläche und angemessenem Mietpreis nicht überschritten werde. Demzufolge sei es möglich, eine nach dem Quadratmeterpreis teurere, aber dafür kleinere Wohnung zu mieten. Leistungsempfänger müssten irgendwo wohnen und an teuren Standorten hohe Unterstützung erhalten.
„Stockt der Wohnungsbau, dann werden sozialpolitische Instrumente entsprechend teurer“, so Henger. Es sei wichtig, dass möglichst viele Haushalte Wohngeld bezögen – bei dem nur ein Teil der Miete bezuschusst werde – und damit für die Haushalte ein Anreiz bestehe, „ihren Wohnkonsum nicht unangemessen auszuweiten“.
Die Bundesvorständin Sozialpolitik der Diakonie Deutschland, Elke Ronneberger, kritisiert, beliebige Kürzungen der Regelsätze seien durch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nicht gedeckt. „Die Bundesregierung wird konkret darlegen müssen, wie sie hier rechtskonform vorgehen will“, fordert sie. Der Bestand an Sozialwohnungen sei seit Jahren im Sinkflug.
Da Wohnen immer teurer werde, stiegen auch die Wohnkosten in der Grundsicherung. „Wenn die Bundesregierung nicht Wohnungslosigkeit im Großmaßstab befördern will, muss sie hier gegensteuern. Wenn Wohnen günstiger und verlässlicher wird, werden auch die Kosten der Unterkunft in der Grundsicherung wieder sinken“, so Ronneberger.
Der Staat solle Vermietern wirksame Grenzen setzen und für ausreichend bezahlbaren Wohnraum und angemessene Mieten sorgen, so die Präsidentin des Deutschen Mieterbundes, Melanie Weber-Moritz. „Stattdessen denjenigen die Gelder zu kürzen, die auf dem aus dem Ruder geratenen Mietwohnungsmarkt ohne staatliche Hilfe keine Bleibe finden, ist keine Lösung.“ Es brauche mehr Investitionen, einen Mietenstopp im Bestand, eine „scharfe“ Mietpreisbremse, Geldbußen bei Verstößen gegen ebenjene und eine Ahndung von Mietwucher.
Uma Sostmann ist Volontärin bei WELT. Ihr Stammressort ist die Innenpolitik.
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