Wie „Migrations-Sheriff“ Dobrindt schon die nächste Verschärfung plant
Wer ist Alexander Dobrindt – und wenn ja, wie viele? Darüber herrschte Uneinigkeit am Donnerstag im Deutschen Bundestag.
Einen „Abschottungs- und Abschiebeminister“, nannte der Linke-Abgeordnete Dietmar Bartsch den CSU-Politiker. „Haben wir es überhaupt noch mit dem Innenministerium zu tun?“, spottete der innenpolitische Sprecher der Grünen, Marcel Emmerich. Er verwies auf einen fehlerhaften Instagram-Post der CDU, in dem vom „Bundesministerium für Migration und Flüchtlinge“ die Rede gewesen sei. „Wenn man sich anschaut, wo Alexander Dobrindt seine Prioritäten setzt, kann man zum Schluss kommen, dass Fragen der inneren Sicherheit keine Rolle mehr spielen.“
Der Bundestag debattierte über den deutlich gestiegenen 15-Milliarden-Euro-Etat von Dobrindts Ressort – und in der Tat hat der Bundesinnenminister, so seine korrekte Berufsbezeichnung, sich in den ersten Wochen seiner Amtszeit darauf konzentriert, vor allem migrationspolitische Pflöcke einzuschlagen. Von Zurückweisungen an der Grenze über die Aussetzung des Familiennachzugs für Menschen mit einem niedrigeren Schutzstatus bis hin zum anvisierten Ende der Schnell-Einbürgerung. Die Zuschreibung der politischen Gegner als schwarzer Migrations-Sheriff dürfte CSU-Mann Alexander Dobrindt ein Stück weit gefallen.
„Wir machen aus der Migrationswelle eine Migrationswende“ – auf diese Formel brachte der Minister dann auch seine Pläne im Bundestag. Der sichtbarste Effekt sind für ihn die Asylerstanträge, deren Zahl im Juni dieses Jahres unter 7000 fiel – ein Rückgang zum Vorjahresmonat um 60 Prozent. Nach Dobrindts Rechnung liegt Deutschland zum ersten Mal nicht mehr auf Platz eins der Zielländer für Migranten, sondern auf Platz drei.
Die Zahlen sinken stark – doch so ganz muss man der Lesart des Ministers nicht folgen. Denn der Vergleich mit den anderen Top-Zielländern Frankreich und Spanien fällt schwer: In den französischen Zahlen sind die ukrainischen Kriegsflüchtlinge einberechnet, sie machen rund zehn Prozent aus. Deutschland geht einen anderen Weg und weist Ukrainer nicht in den Asylerstanträgen aus. In Spanien machen südamerikanische Antragsteller rund 70 Prozent aus – also eine völlig andere Gruppe als die Menschen, die nach Deutschland kommen.
Wahr ist auch: Der Trend der fallenden Migrationszahlen begann schon deutlich vor dem Antritt der neuen Bundesregierung. Dobrindt erntet hier auch, was seine Vorgängerin Nancy Faeser von der SPD auf den Weg gebracht hatte, etwa mit den Kontrollen an sämtlichen deutschen Grenzen seit vergangenem September. Welche Effekte die neuen Zurückweisungen an den Grenzen wirklich haben, ist abseits der politischen Signalwirkung bisher schwer zu greifen.
Die von den Grenzkontrollen schwer beanspruchte Bundespolizei erhält im Etat 1000 neue Stellen, jeder dritte Euro im Innenbudget fließt damit in diesen Bereich. Heiko Teggatz, Chef der DPolG-Bundespolizeigewerkschaft, sagte WELT: „Die Zeiten des ‚Auf-Verschleiß-Fahrens‘ sind für die Bundespolizei glücklicherweise vorbei.“ Er sieht die Beamten für ihre zusätzlichen Aufgaben an der Grenze „gut aufgestellt“ und „nicht überlastet“ – trotz der jüngst errechneten 2,8 Millionen Überstunden bei der Bundespolizei. „Ich würde mir allerdings noch zusätzliche Gelder aus dem Sondervermögen wünschen, damit die Liegenschaften mit ihren großen Kasernen modernisiert werden können.“
Grüner moniert „Grenzkontrollen für gute Fotos“
Die Opposition sieht die Migrationssignale von Dobrindt erwartungsgemäß kritisch. Während Linke und Grüne in der Debatte vor einer Politik der Abschottung warnten, gingen der AfD die Maßnahmen nicht weit genug. Die nur stichprobenartige Kontrolle an den Grenzen sei „unzureichend und reine Symbolpolitik“, kritisierte der innenpolitische Sprecher der AfD, Gottfried Curio. Weitere „Einfallstore“ wie die Einreise von Asylbewerbern per Flugzeug blieben offen.
Linke-Innenexpertin Clara Bünger dagegen sieht im neuen Grenzregime „einen angeordneten Rechtsbruch“, für den die Bundespolizei herhalten müsse.
Die „Grenzkontrollen für gute Fotos“ führten für die Bürger zu stundenlangen Staus und Bahnverspätungen, zu ökonomischen Schäden in der Grenzregion, bemängelte der Grünen-Bundestagsabgeordnete Leon Eckert. Sein Fraktionskollege Emmerich empfahl einen Fokus auf die aus seiner Sicht eigentlich wichtigen Themen des Innen-Ressorts: „Schützen Sie Pride-Paraden, sorgen Sie dafür, dass Femizide aufgeklärt werden und alle in diesem Land vor Spionage, Rechtsextremismus, Organisierter Kriminalität und Islamismus geschützt werden. Auch das ist Ihr Job.“
Zu diesen sicherheitspolitischen Themenfeldern findet sich im Etat einiges: Auch hier hat Dobrindt eine „Zeitenwende“ angekündigt. „Wir rüsten auf beim Bevölkerungsschutz, beim Zivilschutz“, rief er ins Plenum. Das Budget für den Bevölkerungsschutz wird verdreifacht. Investiert wird unter anderem in Fahrzeuge, Technik und Digitalfunk. Das Technische Hilfswerk (THW) erhält 50 Prozent mehr. Und ein Zentrum für deutsch-israelische Cyberforschung soll entstehen. „Deutschland ist Ziel einer hybriden Kriegsführung“, sagte der Minister. „Wir müssen unser Land in den kommenden Jahren auch im Cyberraum verteidigen.“
Der „ganz große Entwurf für zivile Verteidigung“ und die Sanierung maroder Unterkünfte der THW-Ortsverbände sei allerdings noch ausgeblieben, bemängelte der Abgeordnete Martin Gerster vom Koalitionspartner SPD. Man hoffe, hier in den weiteren Verhandlungen noch Verbesserungen zu erzielen.
Am Ende blieb es an diesem Tag aber vor allem bei der Migration interessant. Europapolitisch ist in den vergangenen Wochen einiges Porzellan zerbrochen, Nachbarn wie Polen und Österreich sind weiter verstimmt. Wohl auch deshalb betonte Innenminister Dobrindt, zukünftig weniger auf nationale Alleingänge und stärker auf länderübergreifende Ansätze zu setzen. „Es ist Zeit, dass Deutschland im Platz des Lösungsteams und nicht mehr im Bremserhäuschen sitzt“, sagte Dobrindt. Er wolle „die migrationspolitische Isolierung Deutschlands innerhalb Europas“ aufheben – und dürfte sich damit auch selbst meinen.
Dabei soll ein Gipfeltreffen auf knapp 3000 Meter Höhe helfen, pittoreske Bilder inklusive: Dobrindt versammelt am 18. Juli seine Innenminister-Kollegen aus Frankreich, Polen, Österreich, Dänemark und der Tschechischen Republik auf der Zugspitze. In der Einladung heißt es: Ziel des Treffens sei es, wichtige Impulse für eine „härtere europäische Migrationspolitik“ zu geben. Dobrindt will unter anderem erreichen, dass die geplante Asylreform auf EU-Ebene nachjustiert wird, sodass das sogenannte Verbindungselement wieder gestrichen wird. Dieses besagt, dass Ausländer nicht ohne Weiteres in Drittstaaten abgeschoben werden können, sondern nur in Länder, zu denen sie einen konkreten Bezug haben — familiäre Verbindungen etwa.
Korrespondent Philipp Woldin kümmert sich bei WELT vor allem um Themen der inneren Sicherheit und berichtet aus den Gerichtssälen der Republik.
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