Bei seiner wichtigsten Personalie ist für Nordrhein-Westfalens Justizminister Benjamin Limbach (Grüne) bereits sehr viel schiefgelaufen. Nun scheint überraschend auch noch seine Wunschkandidatin abzuspringen. Es geht um das Präsidentenamt des Oberverwaltungsgerichts Nordrhein-Westfalen, das seit vier Jahren unbesetzt ist.

Limbach hatte eine Favoritin gefunden: die 55-jährige Katharina J., Juristin, frühere Richterin, aktuell Abteilungsleiterin im NRW-Innenministerium, ausgestattet mit Bestnoten und CDU-Parteibuch.

Doch das Bewerbungsverfahren wird juristisch angefochten, weil unterlegene Mitbewerber eine Vorfestlegung und Verstöße gegen die Bestenauslese beklagen. Eine endgültige Klärung steht noch aus. Parallel arbeitet ein Untersuchungsausschuss im Landtag NRW Auffälligkeiten beim Besetzungsverfahren heraus, während Limbach ein ums andere Mal beteuert, dass alles nach dem Prinzip der Bestenauslese gelaufen sei.

In diesem einigermaßen ausweglosen Dilemma ist aus Regierungskreisen in Düsseldorf und Berlin nun überraschend zu hören, dass Favoritin J. eine Stelle als Abteilungsleiterin im Haus der neuen Bundesbildungsministerin Karin Prien (CDU) übernimmt. Ob J. auf ihre Bewerbung für die OVG-Spitze verzichten wird, ist unklar. Die Bewerberlage ist jedenfalls bisher „unverändert“, hieß es Ende vergangener Woche aus dem zuständigen NRW-Justizministerium.

Die Opposition rechnet jedoch damit, dass J. sich künftig ganz auf Berlin konzentrieren werde. SPD und FDP sehen in ihrem Abgang einen weiteren Beleg für das Scheitern von Limbach. Die SPD-Obfrau im Untersuchungsausschuss, Nadja Lüders, erneuerte die Rücktrittsforderung gegenüber dem Minister: „Eine Hauptfigur hat die Bühne bereits verlassen. Die andere weigert sich beharrlich, von ihr abzutreten. Dabei ist die eine eher das Opfer und die andere verantwortlich für einen veritablen Justiz-Skandal, für den der Minister endlich die Konsequenzen ziehen muss.“

Auch nach Ansicht von Werner Pfeil, FDP-Sprecher im Untersuchungsausschuss, ist der Minister nicht mehr zu halten: Limbach habe „das Vertrauen in das rechtsstaatliche Verfahren zur Bestenauslese zerstört“. Der Umgang mit dem Besetzungsverfahren und die Widersprüche des Ministers seien „ein Offenbarungseid für sein Amt“. Der FDP-Parlamentarier sieht nach dem Weggang von J. das Besetzungsverfahren endgültig gescheitert: „Das gesamte Verfahren muss unter neuen Voraussetzungen neu durchgeführt werden.“

Limbach hat allerdings bisher betont, dass ein Abbruch des laufenden Besetzungsverfahrens nicht im Betracht komme, weil Bewerber sonst mit großen Erfolgsaussichten auf eine Fortsetzung klagen könnten. Das dürfte demnach auch gelten, falls J. aufgibt. Was Limbach nicht sagt, was sich aber unschwer interpretieren lässt: Ein Abbruch wäre letztlich auch ein Eingeständnis, dass es Fehler gegeben hat.

„Spießrutenlauf“ und „Schmutzkampagne“

Die Hängepartie zehrt inzwischen sichtlich an den Nerven. Mitte Mai sorgte J. bei einer neuerlichen Befragung vor dem Untersuchungsausschuss für einen Eklat. Zeugen dürfen ein Eingangsstatement gegenüber den Abgeordneten abgeben. J. nutzte die Gelegenheit für eine Abrechnung: Die Christdemokratin beklagte „Desinformation“, „Spekulation“, eine „Schmutzkampagne“ und einen „Spießrutenlauf“, es seien „rote Linien überschritten“ worden, was sich unmissverständlich gegen die SPD- und FDP-Opposition richtete. Es werde „jeglicher Kollateralschaden – ob personell oder institutionell – dem politischen Kalkül bewusst untergeordnet“, sagte J. in ihrer Stellungnahme. Sie sieht sich diffamiert und öffentlich demontiert. Die Sitzung wurde nach der Philippika vertagt.

J.s persönliche Betroffenheit ist auch in den Reihen von SPD und FDP menschlich nachvollziehbar, doch hält man einen solchen Ausbruch bei Kandidaten für einen derart hohen Richterposten für deplatziert. Die Opposition verweist auch darauf, dass sie auf die Auffälligkeiten reagiere, die im gerichtlichen Verfahren und parallel im Untersuchungsausschuss deutlich geworden seien.

Limbach hat bestätigt, dass seine Duz-Bekannte J. nach einem Abendessen mit dem Minister ihre Bewerbung nach-eingereicht hat. Es stellte sich zudem heraus, dass ein anderer Bewerber C. ursprünglich intern vorn gelegen hatte, ein Spitzenjurist aus dem NRW-Justizministerium. Bei einem anderen Bewerber G., einem langjährigen Richter am Bundesverwaltungsgericht, wurde seine Erfahrung in Verwaltungsfragen hervorgehoben.

Dann wurde das Kompetenzfeld Digitalisierung, für das J. im NRW-Innenministerium maßgeblich zuständig gewesen war, als ein entscheidendes Kriterium herangezogen, obwohl davon nichts in der Stellenausschreibung gestanden hatte. Am Ende lag J. an erster Stelle.

Im Untersuchungsausschuss kam noch heraus, dass die dienstliche Beurteilung von J. aus dem NRW-Innenministerium erhebliche Mängel aufwies und neu erstellt werden musste. Unklar ist, warum J. und der Richter am Bundesverwaltungsgericht es für notwendig hielten, sich an bezüglich der Bewerbung auch an den Chef der NRW-Staatskanzlei, Nathanael Liminski (CDU) zu wenden, der formal gar nicht zuständig war für das Verfahren. Die Bewerber dachten jedenfalls, dass es wichtig sein könnte.

Auch NRW-Justizminister Limbach führte mit den Bewerbern informelle Gespräche, die unterschiedlich verstanden wurden. Während Limbach betont, er habe lediglich erfahren wollen, ob sie es mit ihrer Bewerbung ernst meinten. Dagegen hatten die beiden unterlegenen Bewerber den Eindruck, dass es darum gehe, die Bewerbung wieder zurückzunehmen.

Richter G. am Bundesverwaltungsgericht erwähnte in einer eidesstattlichen Versicherung auch, dass ihn der Justiziar der Unions-Bundestagsfraktion Ansgar Heveling (CDU) kontaktiert habe und angeblich darauf hingewiesen habe, dass sich in der schwarz-grünen NRW-Koalition vor allem die Grünen eine Frau als OVG-Präsidentin wünschten. Heveling ließ als Zeuge im Untersuchungsausschuss im Unklaren, was er mit dem Richter genau besprochen. An Einzelheiten könne er sich nicht mehr erinnern, so Heveling.

Limbach widersprach dem Richter mit einer eigenen eidesstattlichen Versicherung. G. reagierte darauf mit einer zweiten eidesstattlichen Versicherung und unterstrich, dass Limbachs Darstellung in zentralen „unzutreffend“ sei. Somit bezichtigen sich beide gegenseitig der Lüge, ein einmaliger Fall in der NRW-Justiz.

Nun könnte sich folgende Situation abzeichnen: Falls Favoritin J. auf ihre OVG-Bewerbung verzichtet, bleiben die beiden unterlegenen Bewerber übrig. Der Abteilungsleiter C. im NRW-Justizministerium geht Ende August in Pension. Dann käme ausgerechnet der Richter G. am Bundesverwaltungsgericht zum Zuge.

Politikredakteur Kristian Frigelj berichtet für WELT über landespolitische Themen, vor allem in Nordrhein-Westfalen.

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