„Bevölkerung holt sich immer mehr die Meinungsfreiheit zurück“
AfD-Verbot? „Dagegen“, antwortet Hubert Aiwanger kategorisch. Der Vize-Ministerpräsident und Wirtschaftsminister Bayerns sowie Bundesvorsitzende der Freien Wähler ist nach der Winterpause der erste Gast in der WELT-Gesprächsreihe „Politikergrillen“ mit Chefredakteur Jan Philipp Burgard. Der Titel ist Programm: Auf dem Dach des Axel-Springer-Neubaus in Berlin grillen Politiker-Gast und Chefredakteur Fleisch und Gemüse. Gleichzeitig „grillt“ Burgard seinen Gast mit Fragen.
Wie der nach dem AfD-Verbot. Aiwanger sagt zur Begründung: „Weil da nichts rauskommt und weil wir eine Partei politisch bekämpfen müssen, indem wir die Probleme lösen, die dazu führen, dass die gewählt werden.“ Was aber nicht gehe: Dass „ich dann für 22 bis 25 Prozent der Wähler die Partei verbiete, die deren Themen adressiert“.
Das sei etwa die Migration. „Wir müssen einfach zur Kenntnis nehmen, dass mit dem Thema Migration die AfD den wunden Punkt gefunden hat und das Thema aufgegriffen hat, nach dem sich andere nicht mehr bücken wollten.“ Jetzt müsse die neue Bundesregierung das Thema abräumen: „Dann bin ich überzeugt, dass eine AfD auch wieder zu reduzieren ist.“ Da seien die anderen Parteien zu „etepetete“ – eigentlich ein Berliner Spottwort für allzu vornehm. „Jetzt muss eine neue Bundesregierung dieses Thema abräumen“, meint Aiwanger, „und sie macht das jetzt am Anfang schon gar nicht ganz so schlecht.“
Auf den Grill kommt Dry-Aged-Rind aus dem spanischen Galizien. Aiwanger äußert sich wenig begeistert: „Das ist eine kleine Provokation, wenn Sie jetzt einem bayerischen Landwirt hier ein galizisches Rind präsentieren, aber na ja.“ Er nennt das Fleisch „schickimicki“. Wie halte Aiwanger es generell mit Fleisch, angesichts all der Mahnungen und Empfehlungen, etwa der Gesellschaft für Ernährung, die meint, ideal seien nur zehn Gramm täglich im Schnitt, fragt Burgard. „Warum ist Ihnen Fleischessen wichtig?“
„Weil uns der liebe Gott so geschaffen hat.“ Aiwanger zählt auf: „Gebiss, Verdauungstrakt.“ Der Mensch sei ein „Gemischtköstler“. Er lebe mit dem „Tier in Koexistenz“. Das Rind „veredelt“ Gras zu Fleisch, Leder und Milch, so der Freie-Wähler-Chef. „Dann macht man Gras auch für den Menschen nutzbar. Warum soll man das nicht tun?“
Themenwechsel: „Wie steht’s denn um die Meinungsfreiheit in Deutschland aus Ihrer Sicht?“ Aiwanger bescheinigt den Deutschen eine rebellische Ader: „Ich glaube, dass die Bevölkerung sich immer mehr wieder die Meinungsfreiheit zurückholt“.
Viele Jahre lang sei „immer mehr bevormundet worden, was man nicht mehr sagen darf“. Jeder Witz sei hinterfragt worden, ob er politisch korrekt sei. „Ich glaube, ein bisschen Spaß muss man sich noch gönnen.“ Immer mehr Menschen würden sich sagen, „ich kann ja ohnehin nicht mehr alle Korrektheiten erfüllen“. Daher redeten viele wieder, wie ihnen der Schnabel gewachsen sei. Sein Fazit: „Das ganze Etepetete und ,-innen‘ – irgendwann nervt’s.“
Warnung an Söder, „nicht zu überziehen“
Als es um die zuletzt nicht immer reibungsfreie Zusammenarbeit in der bayerischen Koalition geht, hat der Vizeregierungschef eine Warnung für Ministerpräsident Markus Söder (CSU) parat. Weil die Freien Wähler das schuldenfinanzierte Finanzpaket für Verteidigung und Infrastruktur ursprünglich abgelehnt hatten, drohte Söder ihnen mit Blick auf die Bundesrats-Abstimmung über die nötige Grundgesetzänderung mit einem Austausch des Koalitionspartners. „Dann war wirklich die Alternative für uns, aus der Regierung zu fliegen und der SPD die Tür zu öffnen“, sagt Aiwanger im Rückblick. Seine Partei stimmte dem Vorhaben dann in der Länderkammer doch zu.
Nun sagt Aiwanger mit Bezug auf Söder: „Wenn er mit der SPD immer drohen will, dann glaube ich, wird das der Wähler bei der nächsten Landtagswahl zu honorieren wissen.“ Dann würden viele „sicherheitshalber die Freien Wähler so stark machen, dass es mit CSU und SPD gar nicht reicht“. Aiwangers Warnung an Söders Adresse: „Also da muss er aufpassen, nicht zu überziehen.“
Eigentlich, so gesteht der Vize-Ministerpräsident ein, würde er auch gern in der Berliner Politik mitmischen. Das ging bei der jüngsten Wahl im Februar aber schief, die Freien Wähler schafften es nicht in den Bundestag. Burgard fragt: „Haben Sie Ihren eigenen Traum begraben, mal Wirtschaftsminister zu werden, sozusagen in die Fußstapfen von Ludwig Erhard zu treten, der ja auch bayerischer Wirtschaftsminister war und dann Bundeswirtschaftsminister und später Kanzler?“
Aiwanger erwidert: „Nein, da wird überhaupt nichts begraben!“ Er sei ja erst 54 Jahre alt, „ich habe noch ein paar Jahre Zeit“. Er wolle die Freien Wähler bundesweit stärker machen und in mehr Landtage einziehen – neben Bayern sitzen sie derzeit nur in Rheinland-Pfalz im Parlament. Dass es dieses Jahr nicht klappte, schreibt er der Polarisierung zwischen Union und Grünen zu, da seien die Freien Wähler als bürgerliches Angebot untergegangen. „Rom ist nicht an einem Tag gebaut worden.“
Erleichtert zeigt sich der Freie-Wähler-Chef, dass die Grünen in der neuen Bundesregierung nicht mehr vertreten sind. Auf die Frage, ob es mit Deutschland jetzt bergauf gehe, antwortet er: „Ja, zumindest nicht mehr weiter so gezielt bergab wie in den letzten Jahren.“ Bei den Grünen gebe es „auch einige Realos und Vernünftige“. Aber: „Es sind eben viel zu viele auch Durchgeknallte dabei. Und die Wurzeln der Grünen sind ja teilweise im polizeifeindlichen Milieu, wo es geheißen hat, der ,Bullenstaat‘ muss weg. Und all diese Dinge haben sich ja in dieser Partei dann zusammengeballt.“
Aiwanger führt als Beleg die jüngsten Äußerungen der Vorsitzenden der Grünen Jugend, Jette Nietzard, an, die die Parole „ACAB“ („All cops are bastards“) auf einem Pullover zur Schau trug: „In meinen Augen ist das eine deutliche Menschenfeindlichkeit gegenüber der Polizei generell.“ Insofern hätten die Grünen „schon viel dazu beigetragen, diese Gesellschaft zu spalten“, und seien „gemeinsam mit den Linksaußen-Medien hauptverantwortlich dafür, dass die AfD so stark geworden ist“.
Beim Thema Migration sieht Aiwanger Streit in der schwarz-roten Koalition aufziehen. Burgard fragt konkret: Die neue Justizministerin Stefanie Hubig (SPD) habe Innenminister Alexander Dobrindt (CSU) ermahnt, sich hinter die Berliner Verwaltungsrichter zu stellen, die in einem Einzelfall die Zurückweisung dreier Asylbewerber an der polnischen Grenze kassiert haben. „Droht da aus Ihrer Sicht jetzt schon der erste große Streit in der Koalition?“, fragt Burgard.
„Man sieht auf alle Fälle, dass hier zwei ideologisch gegensätzliche Parteien in einem Bündnis sind, die nicht wie die Faust aufs Auge zusammenpassen“, erwidert Aiwanger. Union und SPD würden eher „einfach aus der Not heraus miteinander regieren“. Die Sozialdemokraten würden „mit Sicherheit immer wieder den Aufstand proben“ und ihre „linken Themen“ hervorziehen. „Aber ich appelliere an die SPD, dringend zu erkennen, wohin ihre Wähler gehen: Die gehen zur AfD.“ Die SPD dürfe nicht länger so eine „Schickimicki-Politik für die oberen Zehntausend machen, ideologisch verbrämt und in der Praxis nicht funktionierend“. Man sehe ja, „was in Schulen los ist und so weiter“.
Er selbst sei in die Politik gegangen, weil ihn interessiere, dass eine Gesellschaft funktioniert. „Ich war bei uns bei der Landjugend, war bei der Feuerwehr, und habe dann einfach gesehen, dass in der Politik vieles nicht funktioniert.“ Der nächste Schritt sei dann nur logisch gewesen: „Bevor ich immer nur nörgle, mache ich es mal selber.“
Der Grill ist jetzt heiß, das Fleisch ist fertig. „Wie schmeckt denn dieses galizische Rind?“, erkundigt sich Burgard. Aiwanger schiebt sich ein Stück in den Mund. „Ja, das ist sehr gut.“ Und noch einen Happen. „Sehr gut.“
Christoph Lemmer berichtet für WELT als freier Mitarbeiter vor allem über die Politik in Bayern.
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