Einen Spitzenpolitiker erlebt man nur sehr selten sprachlos. Doch als ich den SPD-Vorsitzenden Lars Klingbeil anrief, um ihm mitzuteilen, dass WELT ihn als „Person des Jahres“ auszeichnet, war es tatsächlich so weit. Es herrschte Stille am anderen Ende der Leitung. Ein kurzer Moment, aber ein ehrlicher. Vielleicht weil er mit vielem gerechnet hatte – aber wohl kaum damit, dass ausgerechnet die Redaktion ihn ehrt, die seine Partei sonst nicht unbedingt mit Samthandschuhen anfasst. Aber diese Auszeichnung beweist: Wir teilen nicht nur in alle Richtungen aus, wir sind auch im Lob überparteilich.

Er sei doch erst seit einigen Wochen im Amt, wandte der Bundesfinanzminister und Vizekanzler am Telefon ein. Damit zeigt er Demut. Eine Eigenschaft, die der legendäre US-Außenminister Henry Kissinger als unverzichtbaren Teil der Staatskunst beschrieben hat. Auch in dieser Hinsicht verdient Lars Klingbeil also Anerkennung.

Angesichts dessen, was Lars Klingbeil aus den mageren 16 Prozent des Bundestagswahlergebnisses seiner Partei in den Koalitionsverhandlungen herausgeholt hat, könnte er auch breitbeiniger auftreten. Sieben Ministerien, die Vizekanzlerschaft und ein Koalitionsvertrag, den mancher politischer Beobachter mit einem Marienkäfer verglichen hat (viel rot mit schwarzen Punkten) sind ein Verhandlungsergebnis, das ihm erst einmal jemand nachmachen muss.

Darüber hinaus bewies der Mann, der immer so freundlich lächelt, dass er auch Machiavellis Handwerkszeug beherrscht. Die Ministerposten der SPD besetzte er mit Getreuen, die alte Garde musste weichen. Ein „Genosse Softie“ (wie der „Spiegel“ ihn einmal nannte) ist er nicht. Die „Klingbeilisierung“ der SPD gehört inzwischen fest zum Wortschatz der Hauptstadtjournalisten.

Einfluss, Relevanz und öffentliche Wahrnehmung sind drei der Kriterien, auf die wir bei der Auswahl der „Person des Jahres“ Wert gelegt haben.

Lars Klingbeil rangiert in der Tabelle der beliebtesten Politiker Deutschlands in den Top-Drei. Bei der Bundestagswahl holte er in seinem Wahlkreis mit 42 Prozent das beste Erststimmenergebnis aller SPD-Kandidaten. Ein Indiz dafür, wie tief er in seiner Heimat Niedersachsen verwurzelt ist.

Die Versprechen des Vizekanzlers

Nach erst etwas mehr als vier Wochen im Amt wäre es vermessen, den Vizekanzler und Finanzminister schon für politische Taten zu ehren. Wir können noch keine Verdienste würdigen, aber Versprechen.

Eines davon ist, Deutschland aus der Wirtschaftskrise zu führen. Unser Land befindet sich im dritten Jahr in Folge in der Rezession. Lars Klingbeil setzt auf umfangreiche staatliche Investitionen, um die Wirtschaft anzukurbeln und Deutschland zu modernisieren. Ein zentrales Instrument dafür ist das Sondervermögen von 500 Milliarden Euro, das die WELT-Redaktion wegen der Belastung der nachfolgenden Generationen hart kritisiert hat. Nun bleibt die Hoffnung, dass bald „die Bagger rollen“, wie Lars Klingbeil es formuliert hat – und dass die Milliarden nicht irgendwo versickern.

In dieser Woche hat der Finanzminister auch ein milliardenschweres Paket mit Steuerentlastungen für Unternehmen auf den Weg gebracht. Abschreibungsmöglichkeiten für Maschinen und Elektrofahrzeuge sollen Firmen zu Investitionen animieren. Das erscheint auf den ersten Blick sinnvoll. Fraglich ist allerdings, warum die Senkung der Körperschaftssteuer erst 2028 kommen soll. Denn die Wirtschaft steckt jetzt in der Krise. Und nicht nur die Wirtschaft.

Russland setzt seinen Angriffskrieg gegen die Ukraine in unverminderter Härte fort, eine Verhandlungslösung ist nicht in Sicht. Lars Klingbeil sagte kürzlich: „Wir müssen das klare Signal setzen, dass die G 7 weiterhin fest an der Seite der Ukraine stehen.“ Dieser Satz ist für den Vorsitzenden der SPD und für jemanden, der einst seine politische Karriere im Büro von Gerhard Schröder begonnen hat, keine Selbstverständlichkeit. Auch dafür gebührt ihm Anerkennung.

Vor dem Hintergrund der Vielzahl an Krisen, die unser Land zu bewältigen hat, ist eine stabile Regierung unerlässlich. Bisher erwecken der Kanzler und der Vizekanzler den Eindruck, als hätten sie aus den unsäglichen Ampel-Dramen gelernt und seien sich ihrer staatspolitischen Verantwortung bewusst.

„Die reißen sich am Riemen“, sagte kürzlich ein CDU-Ministerpräsident in einem Hintergrundgespräch anerkennend. Möge es so bleiben. Wir werden die Bundesregierung weiterhin wachsam und kritisch begleiten. Und wenn auch den zukünftigen Preisträgern aus der Politik die Worte fehlen, wenn wir sie loben, haben wir alles richtig gemacht.

Herzlichen Glückwunsch, Lars Klingbeil, Sie sind der „WELT-Mann des Jahres“!

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