Erde ans Parlament: Diätenerhöhung? Spürt Ihr Euch noch?
Man muss ein paar Jahre zurückblicken, um die historische Dimension der geplanten Diätenerhöhung für Bundestagsabgeordnete zu verstehen. Im Jahr 2008 wollte die damalige Große Koalition die Entlohnung der Parlamentarier an die Gehälter der Bundesrichter anpassen. Damals führte das zu außerordentlich heftigen Diskussionen. Union und SPD stoppten das Vorhaben: nicht vermittelbar.
An diesem Donnerstag sollen jetzt im zweiten Jahr in Folge massiv die Diäten erhöht werden. Zum 1. Juli sollen sie um 606 Euro auf dann 11.833,47 Euro steigen. Das wäre ein Plus von 5,4 Prozent. Schon im Vorjahr waren die Diäten um sechs Prozent gestiegen. Ausgerechnet in einer der größten Wirtschaftskrisen in der Geschichte der Bundesrepublik greifen die Abgeordneten zu wie seit Jahrzehnten nicht. Und liegen ab dem 1. Juli deutlich über der einstigen Schallmauer: den Bundesrichtergehältern.
Die Diäten werden inzwischen automatisiert erhöht
Sie haben davon noch nie gehört? Das ist so gewollt. Denn was einst als unvermittelbar galt, ist plötzlich kaum noch eine Diskussion wert. Dabei sind die jetzt geplanten Erhöhungen vor allem eines: dreist wie nie. Und das in einer Phase von Firmenpleiten, Wegzügen, Kündigungswellen und Streiks.
Vielleicht muss man es mal so deutlich fragen: Spürt sich da im Parlament überhaupt noch jemand?!
Der Reihe nach: Schuld daran ist unter anderem ein Automatismus, der die knifflige Diätenfrage versachlichen und Debatten wie im Jahr 2008 verhindern sollte. Seit 2016 geschieht die Neuberechnung der Diätensätze deshalb auf Grundlage der durchschnittlichen Lohnentwicklung im Land. Da diese nahezu immer steigt, steigt für die Abgeordneten auch fast jährlich die Entlohnung.

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Viele im Land wären dankbar, wenn mehr Gehalt einfach Statistik wäre
Schon an diesem Punkt muss man etwas einwenden: Arbeitnehmer erkämpfen höhere Löhne durch ihren persönlichen Arbeitserfolg oder langwierige Arbeitskämpfe. Die Bundestagsabgeordneten setzen dagegen bequem auf statistische Mitnahmeeffekte. Viele im Land wären dankbar, wenn sie sich so wenig Sorgen um ihre Gehälter machen müssten.
Der eigentliche Skandal ist aber etwas anderes: Die Steigerung der Nominallöhne in Deutschland liegt nicht am großen Erfolg der deutschen Wirtschaft oder den tollen Rahmenbedingungen, die die Politik geschaffen hätte. Verantwortlich für das statistische Wachstum sind vor allem die Einmalzahlungen zum Inflationsausgleich und die spürbaren Erhöhungen des Mindestlohns.
Das Geldsäckel der Abgeordneten füllt sich also vor allem wegen einer politisch veranlassten Lohnanpassung für die Ärmsten und Einmalzahlungen des Staates. Letztere erhalten alle anderen nur einmal, bei Abgeordneten aber landen sie dauerhaft im Portemonnaie. Das ist ungerecht und ein Hohn für die Beschäftigten im Land. Die Regierungskoalition sollte deshalb in einem ersten Schritt freiwillig auf die geplante Erhöhung verzichten.
Die Diäten müssen politisch ausgehandelt werden
In einem zweiten Schritt sollte das System wieder auf ein politisches Verfahren umgestellt werden: Ja, diese Diäten-Debatten sind unangenehm. Aber sie müssen in einer Demokratie geführt werden. Automatisierung aus Angst vor dem Souverän ist jedenfalls der falsche Weg. Gerade der Lohn für Volksvertreter muss Ergebnis politischer Debatte sein oder an ähnlich bezahlte Jobs geknüpft sein.
Das würde schließlich auch das Ansehen der Politiker und dieser Koalition stärken. Denn die Diätenerhöhung reiht sich ein in eine Serie von gebrochenen Versprechen zum Sparen von der Spitze her. Plötzlich gibt es ein Ministerium mehr, nicht, wie versprochen, eines weniger. Selbst von den Staatssekretären gibt es einen mehr als in der Ampel, und auch von der geplanten Streichung der vielen Beauftragten der Bundesregierung ist nur wenig geblieben. Und jetzt auch noch die Diäten?
Bundestagspräsidentin Julia Klöckner hat Sparen versprochen
In ihrer ersten Rede hatte die neue Bundestagspräsidentin Julia Klöckner versprochen, auch im Parlament zu konsolidieren und zu sparen, also, wie sie sagte, in schweren Zeiten mit gutem Beispiel voranzugehen. Dafür wäre genau jetzt der richtige Zeitpunkt. Sonst sendet die Große Koalition (und mit ihnen die Grünen) ein verheerendes Signal.
Die Diätenerhöhung muss gestoppt werden. Das wäre ein wirklicher Politikwechsel, ein echtes "Wir haben verstanden".
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