Ursula von der Leyen, 66, ist seit 2019 Präsidentin der Europäischen Kommission. Zuvor war die Christdemokratin unter anderem Bundesverteidigungsministerin und stellvertretende CDU-Chefin.

POLITICO: Frau von der Leyen, was ist Ihre Erwartung in Sachen Russland-Sanktionen? Glauben Sie, dass vielleicht der republikanische Senator Lindsey Graham ein Türöffner dafür ist, dass die USA sich auch bewegen?

Ursula von der Leyen: Ja, ich habe am Montagmorgen mit ihm zusammengesessen und wir haben besprochen, wie wir europäische Sanktionen und amerikanische Sanktionen zeitgleich fahren können, wenn Putin sich nicht an den Verhandlungstisch setzt. Und es geht uns vor allem darum, russische Energie zu sanktionieren, und es geht uns darum, die Finanzquellen für Russland auszutrocknen. Und ich glaube, das ist auf gutem Weg, wenn Putin sich nicht bewegt.

POLITICO: Haben Sie ernsthafte Hoffnung, dass Putin an den Verhandlungstisch zurückkehrt?

von der Leyen: Naja, das Entscheidende ist: den Druck erhöhen. Das muss von allen Seiten geschehen, und er muss sich darüber klar sein, dass der Druck sowohl in Europa erhöht wird als auch in den Vereinigten Staaten. Und da sind die Mittel schon gewaltig.

POLITICO: Glauben Sie, dass die militärische Veränderung durch den großen Angriff der Ukraine auf Stellungen in Russland die Chancen, dass er zu Verhandlungen bereit ist, eher erhöht?

von der Leyen: Mit Sicherheit eher erhöht, denn es zeigt, dass die Ukraine hochinitiativ, brillant auch ist, was sie dazugelernt hat, was elektronische Kriegsführung angeht. Aber ich muss auch sagen, das ist nur ein Beispiel dessen, wo Putin trotz des Geländegewinns, den er hat, strategisch völlig gescheitert ist.

Er wollte mal Kiew erobern in drei Tagen und Lwiw in drei Wochen. Da ist er krachend gescheitert. Er wollte, dass die Nato klein gehalten wird. Das Gegenteil ist passiert. Finnland, Schweden sind Mitglied der Nato. Die Mitgliedstaaten erhöhen ihre Verteidigungsausgaben. Und er hat dazu beigetragen, dass die Ukraine richtig zur Nation geformt wurde.

POLITICO: Trotzdem hat man das Gefühl, Donald Trump steht nicht unverbrüchlich an der Seite der Ukraine in diesen Verhandlungen, sondern lässt sich immer wieder von Putin auch in eine andere Richtung ziehen. Glauben Sie, dass man ihn vielleicht davon überzeugen kann, sich dem Westen wieder anzuschließen?

von der Leyen: Ich glaube, das Wichtige ist: Er möchte Frieden schaffen in der Ukraine. Er will diesen Krieg Russlands beenden. Und wichtig ist, immer wieder auch daran zu erinnern, dass es kein schwacher Frieden sein darf, wie das zum Beispiel in Afghanistan der Fall war, sondern es muss ein starker, gerechter und dauerhafter Frieden sein. Und dazu braucht es den gesamten Einsatz sowohl natürlich der Europäischen Union als auch der Vereinigten Staaten und der Koalition der Willigen.

POLITICO: Nochmal ganz konkret zu den Sanktionen. Was erwarten Sie jetzt? Also gibt es eventuell diese 500-Prozent-Zölle auf russische Güter?

von der Leyen: Also wenn die Amerikaner sich entschließen für die Sanktionen, dann werden die 500 Prozent da in diesem Paket mit drin sein.

POLITICO: Und Sie haben die Überzeugung, dass Lindsey Graham das vielleicht am Präsidenten vorbei schafft?

von der Leyen: Nein, es gehört in dem System dazu, wie bei uns der Rat zum Beispiel mitentscheiden muss, was die Kommission vorschlägt. Also gehört es dazu, dass der Präsident zum Schluss auch zustimmt.

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POLITICO: Kanzler Friedrich Merz (CDU) fährt jetzt direkt nach Washington. Was wäre Ihr Rat an ihn? Wie kann man Donald Trump gegenübertreten, damit es auch was wird?

von der Leyen: Er braucht keinen Rat von mir. Ich kenne jetzt Donald Trump seit einigen Jahren, weil als ich angefangen habe, als er sein letztes Jahr vom ersten Term hatte. Ich finde ganz wichtig: Man muss ihn sehr ernst nehmen und ihm gut zuhören. Man muss nicht jedes Wort wörtlich nehmen. Das ist auch entscheidend. Er sieht sich selber als starken Verhandler.

Deshalb will er mit mir gemeinsam auch die europäischen Zölle verhandeln. Ich bin ganz eng abgestimmt mit Friedrich Merz. Wir telefonieren regelmäßig, und ich werde auch noch mal gut mit ihm sprechen, bevor er dann in die Vereinigten Staaten fährt. Entscheidend ist immer, und das machen die Mitgliedstaaten, dass wir mit einer Stimme sprechen. Alle wissen, die Kompetenz liegt bei der Europäischen Union. Wir sind diejenigen, die in Handelsfragen die Europäische Union vertrat.

Gordon Repinski ist Executive Editor POLITICO Deutschland.

Das Interview stammt aus dem „Berlin Playbook“-Podcast. Es wurde aus Gründen der Verständlichkeit und Leserlichkeit editiert. Das „Berlin Playbook“ finden Sie hier.

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