Nach einem langen und intensiven Wahlkampf wählen die Polen am kommenden Sonntag ihren Präsidenten für die nächsten fünf Jahre. Auch wenige Tage vor der zweiten Wahlrunde am 1. Juni ist es äußerst schwierig, einen Sieger vorherzusagen. Interne Umfragen der Wahlkampfstäbe beider Kandidaten sagen voraus, dass nur 150.000 Stimmen über das endgültige Ergebnis entscheiden könnten. Noch nie in der Geschichte der polnischen Präsidentschaftswahlen war das Rennen so eng.

Der Zweikampf zwischen dem proeuropäischen Rafał Trzaskowski und dem nationalkonservativen Kandidaten Karol Nawrocki wird auch in Berlin aufmerksam verfolgt. Kein Wunder, denn wer im Sommer den scheidenden Andrzej Duda ablösen wird, wird entscheidenden Einfluss auf die Zukunft der deutsch-polnischen Beziehungen nehmen. Jenseits von weltanschaulichen Differenzen und unterschiedlichen Sichtweisen auf die Geopolitik trennt Trzaskowski und Nawrocki auch ihre Haltung gegenüber Deutschland.

Trzaskowski ist Bürgermeister von Warschau und seit vielen Jahren auf der nationalen politischen Bühne präsent. Er genießt großes Vertrauen bei Ministerpräsident Donald Tusk und hat in den Vorwahlen seiner Partei Bürgerplattform (PO) den in Brüssel und Washington bestens bekannten polnischen Außenminister Radosław Sikorski deutlich geschlagen.

Nawrocki war noch vor wenigen Monaten als Historiker und Präsident des Instituts für Nationales Gedenken bekannt. Er betont oft, dass er ein parteiloser Kandidat sei, der lediglich von der nationalkonservativen Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) unterstützt werde. Aufgestellt wurde er jedoch von niemand anderem als dem Parteivorsitzenden Jarosław Kaczyński.

Im seit Monaten andauernden Wahlkampf gehörten Deutschland, Grenzschutz und Migration zu den Hauptstreitpunkten. Nawrocki nimmt dabei kein Blatt vor den Mund: Er bezichtigte Donald Tusk der völligen Unterwürfigkeit gegenüber Ex-Bundeskanzler Olaf Scholz und Deutschland und warf Trzaskowski eine Finanzierung durch deutsche Stiftungen vor.

„Ihr müsstet in den ersten Waggon steigen und aufhören, euch vor dem deutschen Bundeskanzler zu verbeugen, um etwas für Polen zu erreichen. So habt ihr es geschafft, dass heute 10.000 illegale Einwanderer in Polen sind“, erklärte er, obwohl diese Zahl jeglicher Grundlage entbehrt. Mit der Eisenbahn-Metapher spielte er auf den jüngsten Besuch europäischer Staats- und Regierungschefs in Kiew an, bei dem Tusk in einem anderen Waggon als Friedrich Merz, Emmanuel Macron und Keir Starmer gereist sein soll.

Als Nawrocki lautstark forderte, Polen brauche ein Zentrum für die Abschiebung illegaler Einwanderer und nicht deren Integration, distanzierte sich Trzaskowski von solchen Äußerungen. Er betont seine internationale Erfahrung und konzentriert sich auf einen proeuropäischen und liberalen Kurs. Bei einem seiner letzten Treffen mit Wählern erklärte Trzaskowski, dass Europa heute die dynamische Entwicklung Polens wahrnehme.

Man habe die Chance, wirtschaftlich zum führenden Land des gesamten Kontinents aufzusteigen und sogar Deutschland und Frankreich zu überholen. „Sie sind nur unterwegs gewesen, um der Welt zu zeigen, dass sie reisen, und um ein paar Museen zu besuchen, darunter auch in Moskau. Sie haben keine andere internationale Erfahrung“, warf er Nawrocki vor.

Auch Trzaskowski stellt Forderungen an Deutschland

In den letzten Wochen hat Trzaskowski mehrfach betont, Warschau und Berlin müssten sich als Partner behandeln. Das bedeutet jedoch nicht, dass er keine Forderungen an Deutschland stellt. So verlangte er bei einem Auftritt in Görlitz „vollständige Symmetrie“ an der polnisch-deutschen Grenze (womit er sich gegen Zurückweisungen von Migranten von Deutschland nach Polen wandte; d.Red.) sowie finanzielle Unterstützung Berlins für die Sicherung der Nato-Ostflanke, wo seit Jahren ein hybrider Krieg stattfindet.

„Trotz der sehr schwierigen Geschichte ist Deutschland unser größter Nachbar und wichtigster Wirtschaftspartner, Verbündeter in der EU und der Nato“, betonte Trzaskowski und versicherte zugleich konservativen Wählern, dass ein Zuzug von Flüchtlingen keine Bedrohung für Polen darstelle und während seiner Präsidentschaft niemand den EU-Migrationspakt umsetzen werde.

„Sollte die EU-Kommission versuchen, Polen für die Nichtaufnahme von Flüchtlingen mit Sanktionen zu belegen, werden wir antworten, dass die EU uns für alle in unserem Land aufgenommenen Ukrainer bezahlen soll“, kündigte er an. Er verwies auch darauf, dass in EU-Dokumenten festgehalten wurde, dass Polen, wenn es den Ukrainern hilft, niemanden sonst auf seinem Territorium aufnehmen werde. Seine Worte sollten im Falle eines Wahlsiegs auch deutschen Politikern einen entschlosseneren Dialog als bisher signalisieren.

Beide Kandidaten wissen sehr gut, dass die Ostgrenze Polens heute essenziell für die Sicherheit Deutschlands und der gesamten EU ist. Dadurch rückt der Schwerpunkt der europäischen Sicherheitsdiskussion näher an Warschau. Vor einigen Wochen traf Nawrocki überraschend im Weißen Haus mit US-Präsident Donald Trump zusammen.

In der Regierungskoalition wurden empörte Stimmen laut, die darin eine aktive Einmischung des US-Präsidenten in den laufenden Wahlkampf in Polen sahen. Auch der scheidende Präsident Duda, der in den vergangenen Monaten mehrere wichtige Gesetze blockiert und konsequent die Unterzeichnung der vom Außenminister vorgeschlagenen Botschafterernennungen verweigert hat, verheimlicht seine Sympathie für Trump nicht.

Trzaskowski hingegen betont, dass sich Polen überhaupt nicht zwischen Europa und den USA als Verbündeten entscheiden muss. „Warum wollen Sie nicht zwei Sicherheitsgarantien, eine amerikanische und eine europäische?“, fragte er während der letzten Präsidentschaftsdebatte am vergangenen Freitag mehrmals. Damit wollte er auch den Effekt des Treffens zwischen Nawrocki und Trump neutralisieren.

Sein Rivale konterte: „Fremdsprachen sind nützlich, aber man muss sie nutzen, um polnische Angelegenheiten zu regeln. Ich werde nicht zulassen, dass Ursula von der Leyen, die als Ministerin bereits die deutsche Armee ruiniert hat, über Dinge entscheidet, über die ich als Oberbefehlshaber der Streitkräfte zu entscheiden habe“, antwortete ihm der von der PiS unterstützte Kandidat. Er warf dem EU-Parlament auch vor, die gesamte Rüstungsindustrie nach Frankreich und Deutschland verlagern zu wollen. Trzaskowski hielt er vor, die französischen und deutschen Medien seien für ihn „wie die Heilige Schrift“.

Nawrocki schneidet gut in den USA ab

Zwar geht auch Trzaskowski nicht so weit, Berlin als Ziel seiner ersten Reise als Präsident zu nennen. Nawrocki aber schlägt einen dezidiert konfrontativen Ton an und lässt keinen Zweifel daran, dass Polen im Falle seines Wahlsiegs nach rechts rücken und für Deutschland ein schwierigerer und anspruchsvollerer Partner werden würde.

Sicherlich würde er auch das Thema Reparationen wieder aufgreifen, das er im Wahlkampf betont hatte. „Es stellt sich heraus, dass man Namibia Reparationen zahlen kann, Polen aber nicht. Dabei stehen sie uns einfach zu“, argumentierte Nawrocki und bezeichnete Tusk dabei als „Kammerdiener des deutschen Staates“.

Es ist fraglich, ob die antideutsche Rhetorik Nawrocki den plötzlichen Stimmenzuwachs in der ersten Wahlrunde beschert hat – als er deutlich besser als in den Umfragen abschnitt und knapp hinter Trzaskowski ins Ziel kam. Kein Zweifel besteht hingegen daran, wie die in Deutschland lebenden Polen in der zweiten Runde wählen werden: Von den dort wahlberechtigten polnischen Staatsbürgern erhielt Trzaskowski in der ersten Runde über 40 Prozent der Stimmen und ließ Nawrocki weit hinter sich. Nawrocki wiederum schnitt überraschend gut in den USA ab, wo sich für die zweite Runde nun noch mehr wahlberechtigte Bürger registriert haben.

In einem jedenfalls gleichen sich die beiden politischen Lager. Auf beiden Seiten lautet das Motto aktuell: „Alle Mann an Deck“. Denn vieles deutet darauf hin, dass der Abstand zwischen beiden Kandidaten minimal ausfallen wird.

Michał Wodziński ist Chefredakteur der polnischen WELT-Partnerzeitung „Fakt“, die ebenfalls im Axel-Springer-Konzern erscheint.

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