Die finanziellen Folgen von Long Covid und ME/CFS sind gigantisch: 63 Milliarden Euro allein in 2024. Was Experten jetzt fordern, um die wachsenden Herausforderungen zu bewältigen.

Krankheiten nur nach den Kosten zu beurteilen, die sie verursachen, kann ihnen kaum gerecht werden. Und doch bieten die Zahlen oft erstaunliche Einblicke. Bei Long Covid und dem chronischen Erschöpfungssyndrom ME/CFS – Leiden, die noch immer kaum gesehen und oft missverstanden werden – zeigen sie nun erstmals, wie groß die Belastungen werden könnten, die sie mit sich bringen. 

Während die Öffentlichkeit längst zur Normalität zurückkehrte, haben Forschende der ME/CFS Research Foundation und der Risklayer GmbH erstmals berechnet, wie sehr das dunkle Erbe der Corona-Pandemie Betroffene, Gesellschaft und Wirtschaft noch immer herausfordern: Allein im Jahr 2024 verursachten Long Covid und ME/CFS danach in Deutschland Kosten von über 63 Milliarden Euro, das entspricht rund 1,5 Prozent des Bruttosozialprodukts. 

"Es geht nicht nur um medizinische Ausgaben"

Rechnet man die Jahre 2020 bis 2024 zusammen, kommen die Analysten auf ökonomische, medizinische und soziale Kosten von etwa 254 Milliarden Euro. Zum Vergleich: Die gesamten jährlichen Gesundheitsausgaben in Deutschland lagen 2024 bei 538 Milliarden Euro. 

Was sind Long Covid und ME/CFS für Krankheiten?

Der Begriff Long Covid beschreibt streng genommen nur jene Beschwerden, die vier Wochen nach einer Coronainfektion noch da sind oder in der Zwischenzeit neu aufgetreten sind.  Bei Gesundheitsproblemen, die länger als drei Monate andauern, spricht die Fachwelt von Post Covid. Im allgemeinen Sprachgebrauch fallen heute unter Long Covid jedoch alle andauernden Beschwerden nach einer Corona-Infektion, die sich medizinisch nicht anders erklären lassen. 

ME/CFS (Myalgische Enzephalomyelitis/das Chronische Fatigue-Syndrom) dagegen gibt es schon deutlich länger. Seit 1969 ist die Krankheit von der WHO anerkannt, findet in der Medizin bis heute jedoch kaum Aufmerksamkeit. Betroffene leiden unter einer ausgeprägten Zustandsverschlechterung ihrer Symptome nach geringer körperlicher oder geistiger Belastung (PEM, sogenannte Post-Exertional Malaise). Zu dem komplexen Krankheitsbild gehören zum Beispiel eine krankhafte, dauerhafte Erschöpfung, geringe Belastbarkeit, kognitive Störungen, ausgeprägte Schmerzen, Kreislaufprobleme, eine Überempfindlichkeit auf Sinnesreize und eine Störung des Immunsystems sowie des autonomen Nervensystems.

Die Diagnostik ist aufwendig, wirksame Therapien fehlen, symptomatische Medikamente werden selten verschrieben und kaum erstattet. ME/CFS kann nach unterschiedlichen Virusinfektionen auftreten, nach Ebstein-Barr-Infektionen etwa, nach Influenza, aber eben auch nach Corona. Die neuroimmunologische Multiorganerkrankung, die oft zu einem hohen Grad körperlicher Behinderung führt, wird daher auch immer wieder als schwerste Form von Long Covid bezeichnet

Doch was heißt das eigentlich – was sind die Kosten einer Krankheit? "Es geht dabei nicht nur um medizinische Ausgaben für Untersuchungen etwa oder Medikamente, sondern auch um die verlorene Arbeitskraft und das Geld, das nicht ausgegeben werden kann, weil das Gehalt nun fehlt. Kosten entstehen auch, wenn sich Betroffene mit Krankenkassen oder Versicherungen auseinandersetzen müssen, Gutachten verfasst oder Rentenansprüche geprüft werden", sagt Jörg Heydecke, Geschäftsführer der ME/CFS Research Foundation und Co-Autor der Studie.

Krankheiten, die man nicht haben muss

Gürtelrose
Sie fühlen sich angeschlagen, ein dumpfer Schmerz meldet sich links in Ihrer Brust, er strahlt langsam aus und droht Sie zuzuschnüren. Ein paar Tage später blühen rote Flecken an Ihrer Brust auf, die sich zu einem Band oder Gürtel gruppieren. Spätestens jetzt ist klar: Sie haben eine Gürtelrose, auch Herpes Zoster genannt. Schuld an dieser schmerzhaften Krankheit ist das Varicella-Zoster-Virus (VZV). Stecken Sie sich das erste damit Mal an, bekommen Sie Windpocken. Das geschieht meist in der Kindheit. Danach sind Sie zwar ein Leben lang vor Windpocken geschützt, aber die Erreger bleiben im Körper und können zum Beispiel bei Stress eine Nervenentzündung auslösen - eben die berüchtigte Gürtelrose. Die Wahrscheinlichkeit einer Erkrankung steigt ab dem 50 Lebensjahr. Die möglichen Komplikationen sind gravierend: Siedeln sich zum Beispiel Bakterien auf der verletzten Haut an, droht Ihnen eine sogenannte Superinfektion: Die Stelle entzündet sich zusätzlich, sie vernarbt, und Ihre Haut kann sich sogar dauerhaft verfärben. Haben sich die Zosterbläschen auf Ihrer Stirn oder Ihrer Kopfhaut gebildet, kann der Erreger vorübergehend Ihre Gesichtsnerven lähmen. Ist das Virus in die Zellen Ihrer Augennerven gekrochen, zerstört es möglicherweise die Binde- und Hornhaut. Unter Umständen können Sie erblinden. Ungefähr jeder siebte, der eine Gürtelrose überstanden hat, entwickelt eine sogenannte postherpetische Neuralgie, starke Nervenschmerzen, die Monate länger dauern als die Gürtelrose selbst. Glücklicherweise kann man sich dagegen impfen lassen. © Getty Images
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Auch wenn die Corona-Pandemie für beendet erklärt wurde, wird sich an diesen Beträgen so schnell nichts ändern: Die Modellierer gehen davon aus, dass die finanziellen Belastungen in den nächsten Jahren bestehen bleiben oder sogar noch steigen werden. Das liegt auch daran, dass noch immer Fälle hinzukommen. Aus der Pandemie ist in großen Teilen eine Endemie geworden, mit wellenförmigen Ausbrüchen in einer Gesellschaft, die inzwischen einen gewissen Immunschutz besitzt. Dazu kommt, dass auch andere Infektionen für neue ME/CFS-Erkrankte sorgen.

34.000 neue ME/CFS-Fälle

Die Forschenden kalkulierten, dass in Deutschland aktuell noch immer mehr als 1,52 Millionen Menschen an Long Covid oder ME/CFS leiden könnten. Während Schätzungen zufolge die Zahl der aktiven Long-COVID-Fälle seit 2022 gesunken ist, steigen die ME/CFS-Fälle weiter an. Nach dem Modell der Forschenden könnten sie sich bis 2028 um insgesamt etwa 34.000 Fälle erhöhen. 

Fünf Jahre Corona Er leidet unter Long Covid – Linderung findet er in ungewöhnlichen Medikamenten

Ohne diese Betroffenen- und Kostendaten habe es der Diskussion bislang an Schlagkraft gefehlt, sagt Heydecke: "Diese Lücke wollen wir mit diesen Zahlen schließen." Für ihn sind die Berechnungen auch ein Argument für deutlich mehr Forschung.

Mit dem Bericht wollen die ME/CFS Research Foundation und Risklayer anlässlich des internationalen ME/CFS-Tags eine Debatte anstoßen: Wie kann das Gesundheitswesen, wie kann die Politik angemessen auf das wachsende Ausmaß postinfektiöser Erkrankungen reagieren? 

Long Covid und ME/CFS sind enorme medizinische und soziale Herausforderungen

"Dem errechneten Schaden von 63 Milliarden Euro stehen derzeit nur circa 15 bis 20 Millionen Euro jährlich an öffentlicher Förderung für Diagnostik- und Therapieforschung gegenüber. Das ist weder medizinisch noch ökonomisch zu rechtfertigen", so Heydecke. ME/CFS und Long Covid seien enorme medizinische und soziale Probleme, vor denen Betroffene, aber auch unsere Gesellschaft insgesamt stehen. Das sei vielen gar nicht bewusst. "Die meisten ME/CFS und Long-Covid-Betroffenen sind für die Gesellschaft oft unsichtbar. Die laufen nicht erkennbar krank durch die Gegend, sterben in hoher Zahl oder stecken andere an. Diese Menschen liegen und leiden meist zu Hause.Fast drei Viertel der ME/CFS-Patienten können nicht mehr arbeiten, etwa 25 Prozent sind komplett bettlägerig. Einige von ihnen suchen aus Verzweiflung nach vielen kranken Jahren sogar freiwillig den Tod und bitten um Sterbehilfe", sagt Heydecke. 

Nach Berechnungen der Forschenden entwickeln rund 3,5 Prozent der Long Covid-Erkrankten im ersten Jahr ME/CFS. Unter den Patienten, die auch nach einem Jahr noch an Long Covid leiden, sollen es rund 20 Prozent sein. Vor der Pandemie gab es laut Schätzungen der Kassenärztlichen Bundesvereinigung 350.000 ME/CFS-Fälle. Aktuell rechnen die Forscher mit mehr als 650.000 Fällen. 

 "Aktuelle Forschungsergebnisse", sagt Carmen Scheibenbogen, "zeigen aber bereits erste Therapieerfolge und Perspektiven auf." Die Professorin für Immunologie an der Berliner Charité ist eine der führenden Expertinnen für Long Covid und ME/CFS. Um diese Therapien klinisch zu erproben, brauche es dringend mehr finanzielle Unterstützung, weil sie "in wenigen Jahren für einen Teil der Betroffenen wahrscheinlich reale Heilungsperspektiven möglich machen."

Lesen Sie hier, wie es Betroffenen geht, die mit den Krankheiten zu kämpfen haben, und was einigen in ihrem Kampf geholfen hat.

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