Der Polizist, der am Coubertinplatz vor dem Olympiastadion seinen Dienst versah, war tiefenentspannt. „Also, so ein friedliches und harmonisches Pokalfinale habe ich noch nicht erlebt“, sagte er im Gespräch mit einigen Bielefelder Fans, die sich noch ein paar Bierchen gönnten, weil sie nach dem Ende des Spiels sehr, sehr lange auf ihre S-Bahnen Richtung Zentrum warten mussten. Das Bier, das ihm die Arminen anboten, lehnte der Polizist selbstverständlich ab. Dabei hätte er es eigentlich auch gut trinken können. Es gab für ihn und seine Kollegen rund um das 4:2 (3:0) des VfB Stuttgart gegen Arminia Bielefeld kaum etwas zu tun.

Es herrschte eine bunte, laute, aber sehr entspannte Stimmung an diesem Wochenende in Berlin – dem Fußball sei Dank. Bis zu 150.000 Fans waren aus Bielefeld und Stuttgart gekommen und haben große Partys gefeiert. Die Stuttgarter am Breitscheidplatz, vor allem aber die geschätzt 100.000 Bielefelder am Alexanderplatz.

Für die Ostwestfalen war die Teilnahme ihrer Arminia am Finale ein singuläres Ereignis – ein „Once-in-a-lifetime“-Erlebnis: Noch nie hatte ihr Klub in einem großen Endspiel gestanden. Die Bielefelder nutzten die große Bühne, um Werbung in eigener Sache zu machen: für ihren Verein, ihre Stadt und ihre Region, die trotz ihrer Wirtschaftskraft so oft unterschätzt wird. Sie taten es auf charmante Art und Weise, mit einem Augenzwinkern und reichlich Selbstironie. „Der heißeste Club in Berlin: Arminia Bielefeld“, hieß es auf einem der vielen Plakate, die an den U-Bahnstationen angebracht waren. Viel besser kann Stadtmarketing kaum sein.

Hypernervöse Bielefelder Profis

Doch die beste Imagekampagne wurde von der Bielefelder Mannschaft gefahren. Das Team, das erst vor zwei Jahren, als die Arminia nach zwei Abstiegen hintereinander fast vor dem Aus stand, aus völlig unbekannten Spielern aus der vierten oder fünften Liga neu zusammengestellt worden war, blieb seiner Linie treu. Die Spieler waren zwar hypernervös, schwer beeindruckt von der großen Bühne, der Kulisse, der Hymne und allem. Sie begingen haarsträubende Fehler – aber sie hörten trotzdem nicht auf, Fußball zu spielen. Hätte Arminia die frühe Chance durch Noah Sarenren Bazee zur Führung genutzt oder nur ein Gegentor weniger bekommen – wer weiß? Vielleicht wäre es den Stuttgarter genauso ergangen wie den vier anderen Bundesligisten, die von der Arminia zuvor im Verlauf des Pokalwettbewerbs ausgeschaltet worden waren.

Es sei ein „unglaubliches Spiel“ gewesen, sagte Stuttgarts Trainer Sebastian Hoeneß anschließend. Seine Mannschaft hätte zunächst Glück gehabt und danach jeden Bielefelder Fehler eiskalt bestraft. Als aber dann in der 82. und 85. Minute das 1:4 und das 2:4 fielen, seien in seinem Kopf „ganz komische Gedanken“ aufgekommen. Am Ende schwamm der VfB dann doch ein wenig. Es reichte trotzdem für den hochverdienten vierten Pokalsieg in der Historie der Stuttgarter.

„In unserer Kabine herrscht unbeschreibliche Freude“, erklärte Hoeneß, der deutlich machte, mit wie viel Respekt sein Team in die Partie gegen den vermeintlichen Underdog gegangen war. „Wir müssen froh sein, dass wir nicht in Rückstand gegangen sind. Dann aber haben wir losgelegt und Dinge gezeigt, die wir in dieser Saison nicht immer gezeigt haben“, so der 43-Jährige, zu dessen ersten Gratulanten sein Vater Dieter zählte. Er sei stolz auf seine Jungs, so Hoeneß junior, vor allem, „weil es ja medial so dargestellt worden war, dass die Fallhöhe für uns immens war. Und das war sie ja auch“.

Stuttgart war ausgeplündert worden

Es ist im Hype um den Außenseiter aus Bielefeld ein wenig untergegangen: Doch der Erfolg ist für den VfB sehr wichtig. Denn er stand am Ende einer schwierigen Saison. Im vergangenen Sommer hatten die Schwaben ihren Abwehrchef Waldemar Anton, seinen Nebenmann Hiroki Ito und Top-Torjäger Serhou Guirassy an weitaus zahlkräftigere Mitstreiter verloren. Sie waren von der Konkurrenz aus Dortmund und München regelrecht ausgeplündert worden. Dass trotzdem ein Titel gewonnen werden konnte, belegt, dass in Stuttgart auch unter schwierigen Bedingungen ein guter Job gemacht wird – von Sportvorstand Fabian Wohlgemuth, der mit Transfers die entstandenen Lücken geschlossen hat, und vor allem von Hoeneß.

Es sei nicht leicht gewesen, das Team umzustrukturieren. Vor allem gegen Ende der Hinrunde kam der VfB aus dem Tritt. In der Champions League gelang es trotz respektabler zehn Punkte nicht, die Ligaphase zu überstehen. In der Bundesliga langte es nur zu einem enttäuschten neunten Platz.

Dennoch könne dank des Pokalsieges und auch der damit verbunden Qualifikation für die Europa League ein positives Fazit gezogen werden. „Die Mannschaft hat in den letzten Wochen Charakter beweisen, weil die Kritik groß war und sie sich davon trotzdem nicht hat beeindrucken lassen ...“, konnte Hoeneß gerade noch sagen - da stürmten seine Spieler die Pressekonferenz und verpassten ihm eine Champagner-Dusche. Für ihn selbst war es der erste große Titelgewinn.

Die Wahrscheinlichkeit ist groß, dass auch sein junger Bielefelder Kollege Mitch Kniat seine Karriere eines fernen Tages nicht ohne Titel beenden muss. Ein Trainer, der seine Mannschaft trotz eines 0:3-Rückstandes weiter nach vorne spielen lässt und sie nicht aus Angst vor einem Debakel mauern lässt, der hat das Mindset und den Mut, um noch viel erreichen zu können. Den jungen Arminen, die zwei Wochen zuvor in die zweite Liga aufgestiegen sind, gehört die Zukunft. Sie wurden trotz der Finalniederlage zurecht von ihren Fans wie Helden gefeiert wurden.

„Es war wunderbar hier in Berlin“

„Natürlich sind wir enttäuscht. Trotzdem war die Reise nach Berlin extrem geil, und wir können stolz auf das sein, was wir in den letzten zwei Jahren erreicht haben. Was die Stimmung angeht, war es wunderbar hier in Berlin“, sagte Kniat. Er mache seinen Spielern wegen ihrer individuellen Fehler keine Vorwürfe.

Die Bielefelder zogen danach in einen eigens gemieteten Berliner Club, um trotz allem ein wenig zu feiern – bevor dann am Sonntag nach der Rückkehr nach Bielefeld die richtige Party steigen sollte: mit einem Autokorso durch die Stadt und einem Empfang im Rathaus. Es gibt ja reichlich Grund, um zu feiern: starke Pokalsaison und ab August ein Comeback in der zweiten Liga.

So gab es in diesem 82. DFB-Pokalfinale am Ende tatsächlich nur Gewinner. Das Beste aber waren die Fans. 1,66 Millionen Ticketanfragen hatte es gegeben. Die 74.036, die im Olympiastadion dabei waren, fuhren mit glücklichen Gesichtern nach Hause – als die Berliner S-Bahnen dann endlich kamen.

Für die Bielefelder war die Finalteilnahme der emotionale Höhepunkt in der 120-jährigen Historie ihres Klubs. Kurz vor dem Anpfiff hatte es einen speziellen Gänsehaut-Moment gegeben. In der Arminia-Kurve wurden Fotos hochgehalten, auf denen Gesichter zu sehen waren – von verstorbenen Fans, die zwar immer davon geträumt hatten, ihre Arminia einmal in Berlin zu sehen, es aber nicht mehr erleben konnten. Kann es überhaupt eine schönere Geste geben?

Es gibt viel am Profifußball zu kritisieren: die zunehmende Kommerzialisierung, die Entfremdung zwischen Klubs und Fans. Die teils horrenden Gehälter und Ablösesummen, das Gehabe einiger abgehobener Stars. Doch dieses Pokalfinale hat auch gezeigt, dass er immer noch die Kraft hat, um Menschen zu bewegen und zusammenzuführen.

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