Heikler Verdacht lastet auf Infantino nach FIFA-Eklat
Gianni Infantino schafft es nach seiner umstrittenen Reise mit Donald Trump in den Nahen Osten nicht pünktlich zum FIFA-Kongress. Die Europäer sind außer sich und protestieren. Der Schweizer muss nun einen heiklen Verdacht widerlegen. Ob ihn das kümmert?
Gianni Infantino ist der Mann, der den Fußball immer größer machen will. Dieser Anspruch macht ihn zu einem Artverwandten des U-amerikanischen Präsidenten Donald Trump. Der will zwar nicht den Fußball größer machen, dafür aber die Vereinigten Staaten. Und auch sich selbst. Als seinen ersten Trip ins Ausland in der zweiten Amtszeit wählte der Republikaner die Golfregion mit ihren unendlichen Petro-Milliarden, lobte die allmächtigen Machthaber, ohne irgendwelche Menschenrechtsverletzungen zu erwähnen, und handelte nebenbei die nächsten Business-Deals nicht nur für sein Land, sondern auch für seine Söhne aus. Die Geschäftsbeziehungen der Familie Trump zum Nahen Osten haben sich seit der ersten Amtszeit des Präsidenten mehr als verdreifacht.
So wie sich Trump wünscht, die USA wären ein wenig mehr wie die Golfstaaten, fände Infantino das mit Sicht auf die FIFA wohl auch nicht verkehrt. Denn der Schweizer manifestierte mal wieder seinen inneren Trump, schön verpackt im Fußball-Kleid. Auch ihm scheint es immer wieder um die eigene Ermächtigung und Bereicherung zu gehen.
Weil er sich an Trumps Seite im Nahen Osten sonnte, während die FIFA-Mitglieder den großen Kongress in Paraguay vorbereiteten, begegnete ihm zähneknirschende Kritik. Als er dann noch viel zu spät zum Kongress erschien, platzte mehreren Verbandschefs der Kragen: UEFA-Boss Alexander Ceferin und andere Granden verließen in einer Pause den Saal. Sie wählten den Boykott und zogen sich zurück. Die Sitze aller acht Council-Mitglieder, die die UEFA stellt, blieben in der zweiten Hälfte der Veranstaltung leer. Ein bisher nie dagewesener Eklat.
FIFA-Generalsekretär Mattias Grafström spielte den Vorfall im Anschluss herunter. Die FIFA, sagte er, habe "ein ausgezeichnetes Verhältnis zur UEFA und auch zu den europäischen Mitgliedern. Wir haben hier einen großartigen Kongress gehabt." Der letzte Satz dürfte von Boykottierenden als schallende Ohrfeige aufgefasst worden sein. Die FIFA reagierte auf eine ntv.de-Anfrage zu Infantinos Verhalten und zu einem möglichen Weg raus aus dem Chaos bisher nicht.
Infantino macht den Trump
Infantino stößt womöglich erstmals auf einen Widerstand, den er nicht mit charmanten Worten abmoderieren kann. Mit dabei: der DFB, der bei der umstrittenen WM-Vergabe für Saudi-Arabien 2034 stimmte, nun aber bei Infantinos Verspätung klar Stellung bezog. Auch ein mindestens fragwürdiges Verhalten.
Der Boss der FIFA muss sich nun außerdem diesen unangenehmen Vergleich mit Trump gefallen lassen, der für ihn durchaus schmeichelhaft sein dürfte. Er versteht es wie kaum ein Funktionär vor ihm, einen mächtigen Ego-Trip als wichtigen, selbstlosen Gang fürs Allgemeinwohl zu verkaufen. Was die alte Welt des Fußballs - die großen europäischen Verbände - über ihn denkt, das scheint ihm seit geraumer Zeit fürchterlich egal.
Und so wie Trump die globalen Machtverhältnisse ändern will (hallo Naher Osten, tschüss Europa), scheint Infantino ähnliche Schritte zu gehen. Mit der Macht und dem Geld von Trump und den Autokraten in der Golfregion an seiner Seite fühlt er sich wohl und kann schalten und walten, wie es ihm beliebt. Der Clash mit der UEFA ist ein weiterer Riss im immer fragiler werdenden Verhältnis des Weltverbandes mit der alten Macht im Fußball und ein weiterer Schritt in der Neuordnung des globalen Fußballs: Saudi-Arabien (dem Königreich schenkte Infantino mit cleveren Handgriffen quasi die WM 2034) und Co. werden immer mächtigere Player. Die Europäer - mit ihrem teils zu belehrenden Zeigefinger der Demokratie - müssen schauen, wo sie bleiben.
Große Macht, noch größere Fantasie
Aufstockung der Fußball-WM, umstrittene WM-Vergaben und eine immer ausgeprägtere Nähe zu autoritären Systemen wie Saudi-Arabien, eine milliardenschwere Klub-WM in Trumps USA, die auf die Überlastung der Protagonisten pfeift - Infantino macht sich die Welt, wie sie ihm gefällt. Und sie gefällt ihm vor allem an der Seite von Machtpolitikern, denen das demokratische Denken in Teilen abhandengekommen ist oder gänzlich fehlt. Dabei verdient es sich für die FIFA richtig gut und so kann Infantino seine Macht und seine Fantasien einfach immer weiter ausbauen.
Schon im Vorfeld des Kongresses fehlte der 55 Jahre alte Schweizer bei vielen Pflichtterminen - wegen seiner Nahost-Reise mit der Trump-Administration. Die Council-Sitzung der FIFA musste deshalb verschoben werden. Das sorgte für Wut. Eine gigantische Geltungssucht lautete ein unterschwellig geäußerter Vorwurf. Infantino habe den "inneren Kompass" verloren, zitierte die englische Zeitung "The Times" einen Kongress-Teilnehmer. Die seit Jahren Infantino-kritische norwegische Verbandspräsidentin Lisa Klaveness eierte nicht groß rum: "Die Situation ist besorgniserregend", brachte sie die Stimmung auf den Punkt.
Private politische Interessen?
"Die kurzfristigen Terminänderungen sind zutiefst bedauerlich", sagte die UEFA dem Sportinformationsdienst: "Eine kurzfristige Änderung des Zeitplans, die scheinbar nur privaten politischen Interessen dient, tut dem Fußball keinen Gefallen und scheint seine Interessen zurückzustellen." Die UEFA-Mitglieder seien daher "wie ursprünglich geplant" abgereist, um zu zeigen, "dass der Fußball an erster Stelle steht". Das ist ja das, was Infantino selbst stets betont, wenn er wieder einmal Dinge durchboxt, die zumindest Teile der Welt empören.
Er habe, sagte Infantino als Rechtfertigung für seine Reise im Schlepptau von Trump, "wichtige Gespräche mit führenden Politikern und Wirtschaftsvertretern" geführt. "Ich hatte das Gefühl, dass ich dort sein musste, um Sie alle zu vertreten, um den Fußball zu vertreten." Warum genau, das wird nun Teil seines Krisenmanagements sein müssen. Nur wenn er sehr klug darlegen kann, warum er dem Fußball einen riesigen Gefallen getan hat, wird er Dinge wieder einfangen, die er losgetreten hat. Die als Eklat derzeit medial durchdiskutiert werden. Der Abgang von Ceferin und Co. sei für Infantino "eine Demütigung" gewesen, schreibt die "Times". Der "Independent" warnt sogar vor einem "neuen Bürgerkrieg innerhalb der FIFA".
Aber es ist eben auch so: Die FIFA-Vollversammlungen sind kaum das Forum, das ihn zur Räson bringen wird. Der Nahe Osten liebt ihn, Nordamerika liebt ihn, Südamerika ist eh alles egal und Afrika hat auf der großen Bühne zu wenig zu sagen (wobei laut BBC auch Delegierte aus Nord- und Mittelamerika den Saal verließen nach Infantinos Verspätung). Und das Geld kommt eben vom Golf. Die Kongress-Show ging dann trotz des UEFA-Boykotts wie gewohnt mit viel Applaus über die Bühne. Die fehlenden Europäer wurden nicht erwähnt. Finanziell verkündete der Weltverband zudem Rekorde. So wurden die Einnahmen für den Zyklus 2023 bis 2026 im Vergleich zum vorangegangenen Turnus (2019 bis 2022) von 6,5 Milliarden US-Dollar auf 13 Milliarden verdoppelt.
Doch nur eine One-Man-Show?
Und dennoch bleibt der Affront der Europäer eine offene Flanke: Infantino wird, um sie zu befrieden, unbedingt den Verdacht widerlegen müssen, dass ihm die Würdigungen seines Prestigeobjekts in diesem Sommer in den USA, dass ihm die Schmeicheleien der Welt für die Klub-WM wichtiger sind als die großen Entscheidungen im Fußball. Etwa der höchst umstrittene Vorschlag, die Jubiläums-WM 2030 auf 64 Nationen aufzustocken. Der Vorschlag aus Südamerika war zwar nicht explizit Thema. Doch sowohl Infantino als auch der südamerikanische Verbandsboss Alejandro Domínguez warben ganz subtil darum, für neue Ideen offen zu sein. Auch die Rückkehr Russlands in den internationalen Fußball bringt der FIFA-Boss immer wieder ins Spiel.
Infantino wird beweisen müssen, dass er wirklich hinter den Werten - Demokratie und Fairness etwa - steht, die er immer wieder predigt. Dass er sie nicht lebt, das beweist allerdings sein Verhalten in den vergangenen Jahren. Mit dem Trump-Trip an den Golf als i-Tüpfelchen. Ebenfalls geht es um Respekt, und zwar für alle FIFA-Mitglieder. Infantinos Verspätung war so typisch wie respektlos und könnte ihm von der UEFA und Co. noch lange krummgenommen werden.
Infantino wird auch widerlegen müssen, dass es ihm nicht darum geht, sich wieder einmal an der Seite der Mächtigen zu sonnen, Trump zu gefallen und die FIFA abermals zu einer One-Man-Show, zu einer Gianni-Infantino-Show zu machen. Sondern, dass er wirklich den Fußball im Sinn hat. Aber vielleicht ist all das im neu geordneten System des Welt-Fußballs auch egal.
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