Bo Henriksen konnte fast nicht glauben, was er sah. Der Trainer von Mainz 05 stand auf dem Rasen und blickte Richtung Ostkurve. Dort spielten sich ungewöhnliche Dinge ab. „Die Stimmung in diesem Stadion, das war wunderschön. Das ist Fußball, das sind Emotionen. Ich habe so etwas noch nie gesehen. Ich kann nur sagen: Wow“, erklärte Henriksen. Der VfL Bochum, der Gegner der Mainzer, war kurz zuvor aus der Bundesliga abgestiegen – und doch wurde die Mannschaft nach dem Schlusspfiff von ihren Fans minutenlang gefeiert.

Die Bochumer Profis waren geschlossen vor ihre Fantribüne getreten, wo sie mit prasselndem Applaus empfangen wurden. „Zweite Liga, scheißegal“, schallte es ihnen entgegen und: „Der VfL steigt wieder auf“. Toto Losilla, der Bochumer Kapitän, und Christian Gamboa, die beim 1:4 ihr letztes Heimspiel für den Verein gemacht hatten und den VfL verlassen werden, kletterten auf den Zaun. Sie schnappten sich das Mikrofon und versuchten, die Fans bereits auf den Wiederaufstieg einzustimmen. Dabei hatten sie Tränen in den Augen – genauso wie viele der Anhänger.

„Vor euch verneige ich mich, Chapeau“, rief Dieter Hecking den Fans zu. Der Trainer, nach dessen Verpflichtung im November noch einmal Hoffnung aufgekommen war, der siebte Abstieg in der Geschichte des Ruhrgebietsvereins könnte doch abgewendet werden, entschuldigte sich dafür, dass Ziel nicht erreicht zu haben. „Doch wir werden alles tun, um das zu reparieren“, sagte er. Gerade die Unterstützung der Anhänger seien „eine Verpflichtung, möglichst in einem Jahr wieder aufzusteigen.“ Erneut brandete Beifall auf.

Selten ist ein Abstieg so aufgenommen worden wie dieser. Statt Schuldzuweisungen, Pfiffen oder Unmutsbekundungen gab es eine warme Welle der Solidarität mit den traurigen Protagonisten. Selbst die Frage nach der Schuld wurde in der Stunde, als der Gang ins Unterhaus, mit dem allerdings bereits vor der Partie zu rechnen war, nicht thematisiert. „Es ist müßig, darüber zu reden“, sagte Hecking. Ja, es habe „Cleverness und wohl auch ein wenig Qualität“ gefehlt, räumte er ein. Auch unter Hecking schafften es die Bochumer nie, konstant zu punkten. Selbst auf das sensationelle 3:2 beim FC Bayern am 8. März waren doch wieder sechs Niederlagen und zwei Unentschieden gefolgt. Der VfL erzielte die zweitwenigsten Treffer (31), kassierte aber die zweitmeisten Gegentore (67).

„Wir haben vier fantastische Saisons in der ersten Liga erlebt. Leider ist in diesem Jahr ein wenig was schiefgegangen“, sagte Losilla, der elf Jahre in Bochum gespielt hat. Der Franzose geht aber davon aus, dass es für seinen Herzensverein gute Perspektiven gibt. „Ich bin überzeugt, dass wir hier sehr schnell wieder die Bundesliga erleben werden“, erklärte der 39-Jährige.

Planungen in Bochum laufen

Die Planungen für die kommende Saison laufen schon seit Wochen. Der VfL hat bereits Weichen gestellt. Ende März war Dirk Dufner als Geschäftsführer Sport gekommen. Der Posten war nach dem Rücktritt von Patrick Fabian zehn Monate verwaist. Dufner hat mehrere Baustellen zu bearbeiten - insbesondere muss er einen wettbewerbsfähigen Kader zusammenzustellen. Die größte Sorge ist dem ist früheren Sportdirektor des SC Freiburg und Kaderplaner von Hertha BSC allerdings genommen: Vor einer Woche hatte Hecking erklärt, dass er in jedem Fall bleiben wird. Der 60-Jährige war über die vergangenen Monate hinweg eine wichtige Identifikationsfigur geworden.

Hecking, der vor seinem Engagement in Bochum seine Trainer-Karriere eigentlich schon beenden wollte, und Dufner werden in den kommenden Monaten einiges zu tun bekommen. Verträge laufen aus, Führungsspieler wie Losilla und Gamboa werden eine Lücke hinterlassen. Das Budget muss gekürzt werden. „Es gibt viele Stellschrauben, an denen wir arbeiten müssen. Das vereinfacht es nicht“, sagte Hecking. Die 2. Liga sei eine Herausforderung. Vor allem, weil die Bochumer mit ihrem Ziel, möglichst schnell wieder aufzusteigen, nicht allein stehen werden. „Es gibt auch andere Teams, die nicht lange dort bleiben wollen“, so der Coach.

Kieler werden gefeiert

Im Gegensatz zu den Bochumern hielten sich die Kieler mit Ankündigungen zurück. Er möchte an diesem Tag „nicht über die Zukunft reden, sondern erst einmal das verdauen, was passiert ist“, sagte Holstein Kiels Geschäftsführer Sport Olaf Rebbe. Angst vor dem, was kommt, habe er aber nicht. „Der Verein ist stabil, der Trainer bleibt, ein Großteil der Mannschaft bleibt und das macht Lust auf das, was kommt“, erklärte Rebbe. Die Norddeutschen hatten durch ein 1:2 gegen den SC Freiburg ihre letzte Chance auf das Erreichen des Relegationsplatzes verspielt.

Nach dem Schlusspfiff war es in Kiel zu ähnlichen Szenen wie in Bochum gekommen. Die Fans feierten ihre Mannschaft – und die Gegner zollten den Kielern Respekt. Die Freiburger bildeten ein Spalier für die Holstein-Profis und bedachten sie mit anerkennendem Beifall. Das tat gut.

„Das ist schon bemerkenswert“, sagte Timo Becker. Natürlich tue es weh, dass das Abenteuer Bundesliga nach nur ein Jahr schon wieder vorbei sei, so der Abwehrspieler. „Aber jeder in Deutschland kennt jetzt den Namen Holstein Kiel. Wir haben ihn vergrößert, darauf bin ich stolz und damit können wir uns in die zweite Liga verabschieden.“ Es war – wie in Bochum – ein Abstieg, der auf eine spezielle Weise auch viel Mut machte.

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