"Eigentlich ein Witz, dass wir Aufstieg in eine Liga feiern, in die wir nie wollten"
Der MSV repariert den riesigen sportlichen Unfall im schnellstmöglichen Tempo. Nach nur einem Jahr in der Regionalliga West galoppieren die Zebras zurück in den Profifußball. Dort wollen sie aber nicht lange bleiben.
Die Spuren der großen Erleichterung beim MSV Duisburg sind am Montagmittag noch nicht verwischt. Unter der Ersatzbank im Stadion des neuen Meisters der Regionalliga West steht noch ein halbvolles Pilsglas. Am Samstag zuvor waren die euphorisierten Zebras von hier aus in einen Partymarathon losgaloppiert. Er endete Sonntag mit einer Titelfeier vor dem Rathaus der Stadt. Mehrere Tausend Fans waren gekommen. Wieder einmal.
Schon eine Woche zuvor waren sie beim MSV völlig frei gedreht. Vor gut 20.000 Zuschauern, über 16.000 davon aus Duisburg, im Gladbacher Borussia-Park hatten die Meidericher den wohl größten sportlichen Unfall der Klubgeschichte repariert und waren nur eine Saison nach dem Totalabsturz aus Liga drei wieder aus den eigenen Trümmern emporgestiegen. Nie zuvor war das einem anderen Team gelungen.
Michael Preetz, dem alleinigen Geschäftsführer des MSV, geht es an diesem Montagmittag gut. Sehr gut, aber ein wenig fremdelt er schon mit der Absurdität der Situation. "Eigentlich ist es ein Witz, dass wir den Aufstieg in eine Liga feiern, in die wir nie wollten", sagt er im Gespräch mit ntv.de und blickt hinaus in die Schauinsland-Reisen-Arena. In dieses Stadion, das nach 2. Fußball-Bundesliga ruft. Das die 2. Bundesliga braucht. Zum Leben.
Der zermürbende Kampf geht weiter
Das pulsierte einst hier. In dieser Stahlarbeiter-Stadt. Der MSV war Gründungsmitglied der Fußball-Bundesliga. Daraus leitet sich kein historischer Anspruch auf das Oberhaus ab, aber eine wehmütige Stimmung. Der große Fußball hat doch hier seinen Platz. Es gab magische Nächte, in der Bundesliga, im Europa-Cup. Lange her. Zu lange her. Es ist viel kaputt gegangen. Im Verein. In dieser Stadt, die so viele Kämpfe kämpft. Gegen den immer drohenden Untergang. Gegen die vielen negativen Schlagzeilen. Wie der MSV. Der indes hat diese beeindruckend abmoderiert. Er ist wieder der stolze Leuchtturm der Arbeitermetropole. Aber Zeit für glückseligen Müßiggang bleibt nicht. Der Kampf geht weiter.
"Unterhalb der obersten beiden Ligen kann Fußball an keinem Standort kostendeckend gespielt werden", sagt Preetz. Der Kampf ums Überleben kann ein zermürbender werden. Preetz möchte diesen Kampf nicht ewig führen. Er möchte raus aus dem „Dahinsiechen“, das 2019 mit der knapp verpassten Zweitliga-Rückkehr unaufhaltsam begann und im Sommer 2024 zum größten Schrecken geworden war. Preetz möchte den MSV dorthin führen, wo er sich selbst finanzieren kann. Das beginnt ab Liga zwei. Wo er nicht jede Saison mit einem strukturellen Defizit in niedriger siebenstelliger Höhe beginnt. Wo er nicht in jedem Sommer erstmal schauen muss, wie sich die finanziellen Lücken schließen lassen. Die durch Stadionmiete, Miete für die Geschäftsstelle, das Nachwuchsleistungszentrum und Personalkosten einfach da sind.
In der vergangenen Saison war dem MSV das gelungen. Die Duisburger schrieben in der Regionalliga West, die an der Spitze ein so wahnsinnig enges Nadelöhr für die Rückkehr in den Profifußball bildet, eine kaum zu fassende Geschichte. Nicht unbedingt auf dem Rasen. Der Fußball-Riese, der seine Geschichte mit einem Pokalsieg und europäischen Spielen schmückt, war der haushohe Favorit. Ungeachtet aller Umstände. Die Mannschaft nahm diese nicht zu unterschätzende Herausforderung auf neuem Terrain an. "Ich finde, wir haben eine unfassbare souveräne Saison gespielt," sagt Preetz. "Was die Jungs und Trainer Dietmar Hirsch geleistet haben, war absolut bemerkenswert." Und wird belohnt. Die Mannschaft wird zu großen Teilen zusammenbleiben und das Fundament in Liga drei bilden.
Keine "Genugtuung" bei Preetz
Die große, die kaum zu fassende Geschichte des MSV, schrieben die Menschen auf den Rängen. Viele von ihnen hatten vor nicht mal einem Jahr vor Wut ihren Dauerkarten zerrissen, wie Preetz berichtet. Nie wieder wollten sie kommen. Und waren plötzlich doch wieder da. 17.000 kamen über diese Saison verteilt im Schnitt in die Duisburger Arena. In der vierten Liga. Auch auswärts waren sie in Massen dabei. In der "Ferne" waren mehr Fans dabei als etwa bei Meister Bayer Leverkusen. In der Auswärtszuschauertabelle legt der MSV Platz 12 von 60 aufgelisteten Klubs. Sie sahen Mannschaften wie Eintracht Hohkeppel, den 1. FC Düren oder den 1. FC Bocholt. Sie sahen Mannschaften wie Türkspor Dortmund erst verlieren und dann kollabieren. Diese Saison war außergewöhnlich. Da war eben der Riese MSV, der sich nur kleine Schwächen leistete, der nur nach dem verlorenen Derby gegen Rot-Weiß Oberhausen vor ausverkauftem Haus richtig litt. Und da waren eben Türkspor, Düren und Bayer Uerdingen, die finanziell in die Knie gingen. Eine Schande für die Liga, die der MSV-Chef "auf gar keinen Fall vermissen wird".
Für Preetz war das alles Neuland. Und er kam bisweilen aus dem Staunen nicht mehr heraus. In solch einem Umfeld hatte er sich noch nicht bewegt. Er, der sieben Mal für Deutschland gespielt hatte, Torschützenkönig in der Bundesliga war und jahrelang die Offensive von Hertha BSC geschultert hatte, ehe er in die Führungsebene der Berliner aufstieg. Dort war am 24. Januar 2021 Schluss. Nach 18 Jahren musste er gehen und danach viele nicht schmeichelnde Artikel über sich lesen. Dass er ein erfolgreicher Verwalter des Mangels war, war da noch eine der netteren Beschreibungen. Dass er nun mit dem MSV eine gute Geschichte schreibt, während Hertha in der sportlichen Bedeutungslosigkeit nach Halt sucht, macht indes nichts mit ihm. "Genugtuung", so etwas kenne und empfinde er nicht, sagt er im Gespräch mit ntv.de. Er freue sich vor allem für die Meidericher, dass es bergauf geht. Dass dieser Klub wieder in eine Spur kommt, die er verdient.
Aber es sei schon so, dass man ja mal schauen könne, wo die Hertha stand, als er gehen musste, und wo sie jetzt steht. "Das kann man ungeachtet aller Umstände sicher auch mal diskutieren." Da spricht das Selbstvertrauen aus einem Mann, der an seine Qualitäten glaubt und sie nun für den MSV einsetzt.
Preetz musste lange auf das passende Angebot warten
Fast drei Jahre war er raus, ehe er sich intensiv mit dem Duisburger Angebot beschäftigt hatte. An ein vorzeitiges Ende seiner Laufbahn im Fußball dachte er allerdings nie. "Wichtig war für mich erstmal, die Zeit bei der Hertha hinter mir zu lassen. Ich wollte das erstmal reflektieren." Der Fußball aber ließ ihn nie los. "Er hat mir gefehlt." Die Zeit bis zum MSV war aber länger als sich Preetz das gewünscht hätte. "Ich habe ja ein Geheimnis daraus gemacht, dass dann nicht das gekommen ist, was ich mir gewünscht hätte. Oder wo ich mich gesehen habe." Warum dann aber Duisburg? Warum dann im Januar 2024 ein Drittligist, der in mächtigen Turbulenzen war?
Wenn Preetz über den MSV redet, dann brennt da ein gewaltiges Feuer. Er glaubt an die Kraft, die dieser Klub noch immer ausstrahlt, ausstrahlen kann. Auch in dieser strukturschwachen Region, die von (über)mächtigen Konkurrenten zugepflastert ist. Da sind Borussia Dortmund und der FC Schalke 04, da sind der VfL Bochum, Fortuna Düsseldorf und Rot-Weiss Essen. Es ist ein großer Wettbewerb. Eine riesige Herausforderung.
Sie führte aus Liga drei ins ungeliebte Land, auf Dorfplätze, "wo wir gar nicht wussten, ob wir auf dem Rasen überhaupt richtig Fußball spielen können", sie führte über eine dringend benötigte Geberrunde, in der die Liquidität des Klubs wieder einmal gesichert werden musste, zurück in Liga drei. Die Geberrunde war eine wichtige Etappe für den Klub. "Ich habe da bei unseren Sponsoren und der Stadt ein Commitment abgefragt. Ich habe eine Vision für die Zukunft des MSV aufgezeigt und gefragt, ob wir alle das gleiche Verständnis haben", sagt Preetz. Die Vision lautet: so schnell wie möglich zurück in Liga zwei. Aber auch so seriös wie möglich. Das gemeinsame Verständnis war da. Es ging weiter.
"Unsere jetzige Mannschaft bleibt die Basis"
In den Jahren zuvor wurde viel Erde verbrannt. Wurden zu viele Enttäuschungen produziert. Preetz begegnete das. Sein Name, das spürte er, hatte zwar Strahlkraft. Aber er musste erstmal überzeugen. "Mit Zuversicht und mit ehrlicher Arbeit, das wollen die Leute hier." So gelang bereits im vergangenen Sommer der Umschwung. Es ist noch ein immer ein kleines Wunder. Doch in einer der schwersten Stunden des Klubs schweißte sich etwas Großes zusammen. Dass der Klub in einen Claim goss: "MSvereint." Der Klub arbeitete an der Kommunikation, holte Typen, die den Claim leben. Typen, wie Trainer Hirsch. "Er war für uns die Lokomotive, die den Zug, diese Aufbruchstimmung hinter sich herzog." Hirsch war sieben Jahre Spieler, Publikumsliebling. Ein authentischer Kerl, der das klare Wort mag. Auch das derbe. Die Leute mögen ihn dafür. "Man kann sich sonst was ausdenken, es funktioniert aber nur, wenn man die richtigen Leute dafür hat", sagt Preetz.
Das galt auch für die Zusammenstellung des Kaders. Vier Spieler blieben, der Rest kam neu hinzu. "Wir haben nur Spieler geholt, die Bock auf diesen Verein hatten, auf diese Aufgabe. Die Bock hatten, in diesem Stadion zu spielen." Dabei ging der MSV auch eine Wette ein und stattete die Verträge so aus, dass sie auch für Liga drei gelten. Die Wette ging auf, der Kader steht zu großen Teilen. Verstärkungen sind natürlich nicht ausgeschlossen, aber die aktuellen Fußballer haben sich den Kredit erspielt, sich auch in der höheren Liga zu beweisen. "Unsere jetzige Mannschaft bleibt die Basis", sagt Preetz. Seine Hoffnung ist, "dass wir den Schwung und diese Euphorie mit in die neue Saison nehmen können." Wie gut sich gewachsene Aufsteiger in dem neuen Umfeld bewegen können, haben zuletzt Elversberg, Münster und Ulm bewiesen. Sie haben sogar den Durchmarsch geschafft.
So weit will Preetz nicht denken. Die dritte Liga ist unberechenbar. "Ein Mittelfeld gibt es quasi nicht. Entweder du spielst gegen den Abstieg oder bist irgendwo oben dabei", sagt Preetz. Und nennt etwa Sandhausen als mahnendes Beispiel. Nach zwölf Spieltagen waren die Erster und stiegen nach einem historischen Einbruch noch ab." Und dennoch ist die Freude groß, weil die Umgebung wieder viel professioneller ist. Weil emotionale Derbys warten, gegen Rot-Weiss Essen oder Alemannia Aachen.
Talente nicht mehr einfach so verlieren
Hart und ehrlich arbeiten, das will er. Das betont er immer wieder. Er will den MSV in allen Bereichen wachsen lassen. Der Klub muss das tun, um wirtschaftlich klarzukommen. "Wir müssen die Rahmenbedingungen deutlich verbessern", sagt Preetz. Im Merchandising, da hilft dem Verein der große Fanshop im Stadion bereits immens, bei der Suche nach neuen und finanzstarken Sponsoren und beim Ticketing, wie es Preetz nennt. Bei den Zuschauerzahlen also, die ohnehin schon so immens hoch sind. Die Lust scheint ungebrochen: Anfang der Woche vermeldete der MSV das 10.000 Mitglied.
Auch bei der Perspektive für Talente muss nachgearbeitet werden. In den vergangenen Jahren zogen (zu) viele junge Spieler weiter, ohne dass der MSV davon profitieren konnte. Lediglich für Sturmtalent Julian Hettwer, er ging zur U23 des BVB, konnte der Verein "eine signifikante Ablöse" generieren. Von rund einer Millionen Euro war die Rede. Bei Toptalenten wie Caspar Jander (ging zum 1. FC Nürnberg) oder Santiago Castaneda (zum SC Paderborn 07) ging der Verein leer aus. "Das müssen und wollen wir natürlich ändern", sagt Preetz.
Im Nachwuchs wird in dem herausfordernden Umfeld mit all den anderen Riesen sehr gute Arbeit geleistet. Weil eben besonders genau hingeschaut werden muss. "Wir wissen, dass wir als MSV natürlich nicht das größte Talent in der Region bekommen werden. Das geht eher zum BVB oder nach Schalke. Aber wir sehen den Wettbewerb als Chance. Hier können Talente quasi über den zweiten Bildungsweg den Sprung in den Profifußball schaffen." So wie Jander, der beim FC Schalke 04 einst nicht mehr für gut genug befunden wurde. Künftig soll es weitere Janders geben. Mit Jan-Simon Symalla steht womöglich schon einer bereit, er war zuvor in Oberhausen und Düsseldorf unterwegs. Und wenn die Jungs weiterziehen, wenn die höheren Ligen rufen, dann will der MSV profitieren. Das Erzielen von Transfererlösen ist Teil des Geschäftsmodells. Mindestens noch in Liga drei.
In der 2. Bundesliga sieht die Lage schlagartig anders. Allein schon wegen den TV-Geldern. Das sind andere Dimensionen, die einen Verein resilienter machen. In dem Vierjahresplan des MSV ist das Ziel definiert. "Dann zurück zu sein, wäre der Optimal-Case", sagt Preetz. Aber erstmal seriös arbeiten, in der Liga, in die der Klub niemals wollte und in die er nun mit so großer Euphorie startet. Die könnte sich am 24. Mai nochmal ins gefühlt Unendliche potenzieren. Wenn Rot-Weiss Essen, der Erzrivale, im Niederrheinpokalfinale besiegt wird. Wenn der MSV dann in den DFB-Pokal zurückkehren würde. Noch ein bisschen mehr vom großen Fußball spürt.
Haftungsausschluss: Das Urheberrecht dieses Artikels liegt bei seinem ursprünglichen Autor. Der Zweck dieses Artikels besteht in der erneuten Veröffentlichung zu ausschließlich Informationszwecken und stellt keine Anlageberatung dar. Sollten dennoch Verstöße vorliegen, nehmen Sie bitte umgehend Kontakt mit uns auf. Korrektur Oder wir werden Maßnahmen zur Löschung ergreifen. Danke