Mit seinem Weltrekord über 400 Meter Freistil schwamm Olympiasieger Lukas Märtens (23) Mitte April in eine neue Dimension. Mit 3:39,96 Minuten ist der Magdeburger der Erste überhaupt, der unter der 3:40-Minuten-Marke blieb. Er unterbot in Stockholm die Bestmarke von Paul Biedermann (38), der bei der WM 2009 in Rom 3:40,07 Minuten schnell gewesen war.

WELT: Herr Märtens, war der Weltrekord das perfekte Rennen?

Lukas Märtens: Für den frühen Zeitpunkt der Saison war es fast das optimale Rennen. Vielleicht könnte ich beim Start noch etwas herausholen. Aber in dem Moment hätte ich nicht gewusst, was ich hätte besser machen können.

WELT: Haben Sie etwas anders als sonst gemacht?

Märtens: Ich bin tatsächlich schneller angegangen als geplant – das war so auch nicht mit meinem Trainer abgesprochen. Aber ich habe mich einfach gut gefühlt, den Kopf ausgeschaltet und bin nach Gefühl geschwommen. Das geht natürlich nicht immer gut, das weiß ich von den 200 Metern bei den Olympischen Spielen in Paris, aber dieses Mal hat‘s gepasst.

WELT: Warum?

Märtens: Wenn du vorn schnell schwimmst, brauchst du hinten raus trotzdem Reserven. Paul hat 2009 eine extrem starke letzte Bahn hingelegt. Daher muss man etwas Puffer haben. Zum Glück hat es bei mir gereicht.

WELT: Sie sprachen bereits nach Olympia vom Weltrekord. Wieso hat es jetzt so schnell geklappt?

Märtens: Bei dem Rennen hatte ich kaum Druck. Ich hatte nichts zu verlieren, warum also nicht einfach mutig sein? Ich wollte zeigen, dass ich wieder da bin. Dass mein Olympiasieg keine Eintagsfliege war. Und es gab ja durchaus Stimmen, die das infrage gestellt haben.

WELT: Wie war Ihr Gefühl, als Sie angeschlagen haben?

Märtens: Ich hatte ein sehr gutes Gefühl. Es tat auch nicht wirklich weh, aber natürlich war ich außer Atem. Dann sehe ich diese 3:39 Minuten auf der Anzeige. Das war für mich unvorstellbar. Ich habe dann auch gehört, wie alle am Beckenrand ausgeflippt sind. Das Gefühl haben noch nicht viele so erleben dürfen, denn es war eine relativ kleine Halle, kein Vergleich zu den Riesen-Arenen bei Olympischen Spielen oder Weltmeisterschaften. Nebenan gab es noch ein kleines Spaßbad mit Rutschen. Es war eine ganz andere Atmosphäre.

WELT: Sie waren eigentlich müde nach einem dreiwöchigen Höhentrainingslager. Jetzt also immer müde in die Rennen?

Märtens: Gar nicht so leicht zu sagen. Ich habe mich wirklich nicht super gut gefühlt. Aber vielleicht war es mental sogar ein Vorteil. Weniger Druck, keine großen Erwartungen – einfach schwimmen. Und dann kommt plötzlich so ein Rennen dabei heraus.

WELT: Welcher Glückwunsch hat Sie besonders gefreut?

Märtens: Schwimm-Legende Ian Thorpe hat mir geschrieben, dass er mich gern einmal persönlich kennenlernen würde. Das ist schon eine Ehre und macht mich natürlich auch stolz. Auch Adam Peaty ist mir bei Instagram gefolgt und hat geschrieben. Das freut mich natürlich und zeigt mir, dass ich auf dem richtigen Weg bin.

WELT: Es gibt ein Foto von Ihnen als Kind mit dem bisherigen Weltrekordhalter Paul Biedermann. Wie kam es zu dem Treffen damals?

Märtens: Es war im Rahmen eines Wettkampfes in seiner Heimat Halle. Ich habe mich damals gar nicht getraut, ihn anzusprechen. Der Respekt vor Paul war riesig. Er war immer ein Vorbild von mir. Das Ansprechen übernahm damals meine Mutter. Heute bin ich froh, dass das Foto entstanden ist und finde es richtig schön, dass der Weltrekord in Sachsen-Anhalt bleibt.

WELT: Stichwort Kindheit: Wie lief bei Ihnen eigentlich die Seepferdchen-Prüfung?

Märtens: Ich habe das Seepferdchen tatsächlich beim ersten Mal nicht geschafft. Es war kein Selbstläufer. Das Brustschwimmen lag mir nicht so, und ich hatte Respekt davor, allein zu schwimmen, hielt mich immer nah am Beckenrand auf. Schwimmen ist aber einfach eine lebenswichtige Fähigkeit. Daher wünsche ich mir, dass alle Kinder in Deutschland die Möglichkeit haben, richtig schwimmen zu lernen. Dass es bei mir einmal so weit reicht, hätte ich nie gedacht. Brustschwimmen ist heute immer noch nicht so meins.

WELT: Sie waren sieben, als Biedermann den Weltrekord 2009 aufgestellt hat. Haben Sie das damals schon verfolgt?

Märtens: Ich habe es nicht live gesehen und es erst später mitbekommen. Ich habe mir über die Jahre die Videos von Paul sehr oft angeschaut. Michael Phelps war auch in diesen Rennen. Da kann man viel mitnehmen.

WELT: Haben Sie ausprobiert, wie schnell Sie mit einem Ganzkörperanzug sein würden, wie ihn früher Biedermann getragen hat?

Märtens: Tatsächlich nicht. Es wäre cool, es einmal zu testen, falls noch jemand einen passenden Anzug hat. Es wäre natürlich eine andere Zeit, aber der Vergleich würde mich schon interessieren, auch wenn die Erkenntnis daraus mir für heute nichts mehr bringen wird.

WELT: Sehen Sie sich Ihre Rennen von Olympia und jetzt Stockholm auch regelmäßig an?

Märtens: Ich schaue sie mir auf YouTube an und habe sie mir auch auf dem Handy gespeichert. Paris habe ich öfter geschaut, Stockholm inzwischen zwei-, dreimal – auch, um die Unterschiede zu erkennen. Ich bin beim Weltrekord schneller angegangen. Außerdem sah die Technik kraftvoller aus, dynamischer und leichter. Man hat einen Fortschritt im Vergleich zu Olympia gesehen. Ich bin auf einem guten Weg und in einem Alter, wo ich noch einiges vorhabe.

WELT: Radfahrer rasieren sich die Beine, machen Sie als Schwimmer etwas mit Ihren Fingernägeln?

Märtens: Die Fingernägel lässt man als Schwimmer etwas länger, um ein kleines bisschen mehr Grip im Wasser zu haben. Wenn’s um Hundertstel geht, kann jedes Detail entscheiden.

WELT: Viele tragen zwei Badekappen. Sie auch?

Märtens: Ich trage nur eine. Bei zwei würde mir der Kopf platzen.

WELT: Nach zwei Operationen an Ihren Nasennebenhöhlen: Wie fühlt sich das Atmen anders an?

Märtens: Beim Atmen selbst merke ich noch keinen großen Unterschied. Aber wenn ich einen Infekt habe, kann alles besser aus den Nebenhöhlen abfließen. Früher war da schnell alles zu. Die Heilung braucht insgesamt wohl rund ein Jahr, aber ich bin optimistisch, dass die OPs langfristig die richtige Entscheidung waren. Einen großen Unterschied konnte ich schon feststellen: Ich bin in der Vorbereitung dieses Mal komplett gesund geblieben, das war früher nicht selbstverständlich.

WELT: In diesem Sommer steht die WM an. Was haben Sie sich vorgenommen?

Märtens: Ich habe über die 400 Meter bei jeder WM bisher eine Medaille geholt. Das ist schon ein gewisser Druck, aber genau das macht den Reiz im Leistungssport aus. Ich ruhe mich nach dem Weltrekord nicht aus, sondern trainiere weiter konsequent, damit ich körperlich und mental in einer guten Verfassung für die WM bin. WM-Gold fehlt mir noch. Ich habe noch einiges vor – und Erfolge zu wiederholen, ist auch nicht das Schlechteste.

WELT: Die WM lief in den vergangenen Jahren nicht im Fernsehen, manchmal sogar nicht einmal im Stream. Was ist Ihr Wunsch für die WM 2025 und die Zukunft?

Märtens: Es ist aus meiner Sicht schwer nachzuvollziehen, dass unsere WM-Rennen zuletzt weder im Fernsehen noch im Stream zu sehen waren. Schwimmen ist eine olympische Kernsportart. Wir haben in den letzten Jahren gezeigt, dass sich im deutschen Schwimmsport etwas tut und die Erfolge mehr werden. Genau deshalb wäre es wichtig, diese positive Entwicklung auch medial zu begleiten. Ich bin selbst Fußballfan, aber ich finde, auch andere Sportarten verdienen ihre Bühne. In anderen Ländern ist Schwimmen deutlich sichtbarer. Wir geben im Wasser unser Bestes – und da wünsche ich mir, dass dieser Einsatz auch stärker in der Öffentlichkeit und in den Medien wahrgenommen und honoriert wird.

WELT: Bei manchen Olympia-Medaillen von Paris, speziell bei Bronze, blättert die Farbe ab. Einige tauschen ihr Edelmetall um. Wie frisch ist Ihr Gold noch?

Märtens: Meine sieht noch ganz gut aus. Das Stück vom Eiffelturm, das eingearbeitet wurde, ist auch etwas abgeblättert und verfärbt sich ein wenig, aber das stört mich nicht. Ich würde sie nie eintauschen, denn die hat einen Wert, der weit über das Äußere hinausgeht. Klar, da steckt viel Arbeit, Schweiß, Tränen und Entbehrung drin. Aber am Ende überwiegen die Freude und der Stolz, so etwas erreicht zu haben. Und genau dieser emotionale Wert ist eigentlich unbezahlbar.

WELT: Sie sind großer Fan des 1. FC Magdeburg, der im Aufstiegsrennen der 2. Liga ist. Wie werden Sie den Endspurt gucken?

Märtens: Wenn es irgendwie passt, verfolge ich die Spiele natürlich. Das letzte Spiel wäre dann daheim gegen Düsseldorf. Ich würde es dem FCM natürlich unfassbar gönnen. Man sollte die Ruhe bewahren, weil es noch acht andere Teams gibt, die infrage kommen. Daher ist alles offen, und man muss jeden Spieltag so angehen, als wäre es der letzte. Die Jungs spielen eine grandiose Saison, können stolz sein. Keiner rechnet damit, dass man aufsteigt. Bei anderen Vereinen ist der Druck höher. Sie können entspannt aufspielen und Großes schaffen.

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