Liverpool steht Kopf: Die Reds krönen sich mit einem dominanten Sieg zum englischen Rekordmeister und feiern eine wilde Party. Mohamed Salah schießt Selfies mitten im Spiel, Trainer Arne Slot singt ein Lied für Jürgen Klopp - denn den Titel hat er auch seinem Vorgänger zu verdanken.

Gänsehaut-Momente an der Anfield Road: "Jürgen Klopp", singt Arne Slot am Mikrofon. "Nana-Nanana! Jürgen Klopp!". Und das komplette Stadion trällert mit zur Melodie vom Opus-Hit "Live is Life". Liverpools Trainer dankt seinem Vorgänger im Mittelkreis von Anfield, direkt nachdem der FC Liverpool mit einem 5:1-Sieg über Tottenham Hotspur die Premier League gewonnen hat. Slot sendet damit die Antwort an Klopp, der seinen Nachfolger nach seinem letzten Spiel mit dem gleichen Song willkommengeheißen hatte.

Es ist der 20. Liga-Titel für die Reds, die damit nun Rekordmeister gemeinsam mit dem Erzrivalen Manchester United sind. "Es ist schwer in Worte zu fassen", sagte Slot dem Sender Sky Sports- und lobte ausdrücklich seinen Vorgänger und dessen Co-Trainer Pepijn Linders. "Was Jürgen und Pepijn hier hinterlassen haben - die Teamkultur, die Arbeitseinstellung und die Qualität der Mannschaft - war außergewöhnlich." Slot katapultiert sich nicht mal ein Jahr, nachdem er die Mannschaft von Jürgen Klopp übernommen hat, in die Herzen der Anhänger - doch dieser Titel gehört auch der deutschen Trainerlegende.

Schon vor dem Spiel kennen die Liverpool-Fans kein Halten mehr. Ekstase herrscht in der gesamten Stadt und besonders rund um das Stadion. Tausende versammeln sich dort, sitzen auf Balkonen, Häusern und Laternenpfählen, empfangen den Mannschaftsbus mit Pyrotechnik und rotem Rauch.

Auch im Anfield entwickelt sich schnell etwas Großes: die spektakuläre Liverpool-Show. Eine letzte Machtdemonstration vor der Meisterfeier. Die kalte Dusche, das 1:0 von den Spurs in der 12. Minute durch Dominic Solanke, schütteln die Reds rasant ab. Innerhalb von nur zwölf weiteren Minuten drehen sie das Spiel mit Treffern von Luis Diaz und Alexis Mac Allister. Das Stadion kocht und explodiert beim 3:1 durch Cody Gakpo in der 34. Minute förmlich. Nach der Pause darf auch der Spieler der Saison, Mohamed Salah, sein Meistertor (63.) schießen. Unter großem Jubel schnappt er sich von der Tribüne The Kop das Handy eines Fans und knipst nach seinem Treffer losgelöst ein paar Selfies. Ein Eigentor besiegelt fünf Minuten später den Endstand. Anschließend tanzen die Profis ausgelassen auf dem Rasen, stimmen mit den Fans den ewigen Klassiker an: "You'll Never Walk Alone".

"Klopp hat Slot den Tisch gedeckt"

Der große Jürgen Klopp ist zwar nicht vor Ort, aber beim letzten Saisonspiel von Liverpool gegen Crystal Palace am 25. Mai in Anfield wird er wohl dabei sein, wenn Slot und seine Spieler die Premier-League-Trophäe überreicht bekommen. Auch hat Klopp bereits angedeutet, sich den Fans auf den Straßen anschließen zu wollen, um die Meisterschaft zu feiern.

Was Slot vollbracht hat, was er innerhalb einer Saison schaffte, hätte niemand in Liverpool für möglich gehalten: Der Niederländer ließ es leicht aussehen, Klopp zu ersetzen. Er gewann die Meisterschaft, obwohl niemand den Titel im ersten Jahr erwartet hatte. Das britische Sportanalyseunternehmen Opta Sports etwa hatte den Reds zu Beginn der Spielzeit nur eine Chance von 5,6 Prozent auf den Meistertitel eingeräumt. Doch der Erfolg stammt auch daher, dass der deutsche Trainer seinem Nachfolger vieles für diesen Titel bestens vorbereitet hatte.

"Klopp", sagt der britische Fußball-Autor Andy Brassell gegenüber ntv.de, "hat seine letzte Saison in Liverpool nachgerade geopfert, um den Tisch, wie man hier im UK sagt, für Slot zu decken." In der Tat hatte Klopp vor seinem Abschied immer wieder von einem "Rebuild", einem Neuaufbau, der Mannschaft gesprochen. Kaum etwas hatte den Anschein des bevorstehenden Abgangs, alles schien auf eine Zukunft mit ihm angelegt.

Im Sommer 2023 hatten sich die Reds nach einer überaus enttäuschenden Vorsaison im Mittelfeld komplett neu aufgestellt. Die ehemaligen Schlüsselspieler Fabinho, Jordan Henderson und Roberto Firmino zog es in die saudische Pro League, der alternde James Milner heuerte bei den "Seagulls" aus Brighton an der englischen Südküste an, der ohnehin ständig verletzte Naby Keita tauchte bei Werder Bremen endgültig unter und Alex Oxlade-Chamberlain flüchtete nach einer letzten enttäuschenden Saison in Richtung Türkei.

Klopp suchte Neuzugänge und Youngster

Gleich drei Bundesliga-Spieler waren Teil der Runderneuerung, die vollkommen überraschend auch von Jörg Schmadkte mitbetrieben wurde. Den hatte sich Klopp als Kaderplaner an seine Seite geholt. Neben Leipzigs Zauber-Ungar Dominik Szoboszlai, dem in England zuerst mit Kopfschütteln willkommen geheißenen alten Japaner Wataru Endo vom VfB Stuttgart und Bayern-Ersatzspieler Ryan Gravenberch, der unter Slot eine dominante Rolle spielt, kam auch noch der argentinische Weltmeister Alexis Mac Allister. Den hatte Liverpool bei den "Seagulls" in Brighton erbeutet.

Neben den Neuzugängen setzte Klopp aber auch auf hungrige, junge Spieler. Jarell Quansah, Curtis Jones und Harvey Elliot erhielten immer mehr Spielzeit, wuchsen in ihre Rollen hinein. Dieses neue Liverpool, das von Klopp als Liverpool 2.0 bezeichnet wurde, stand noch im Januar 2024 an der Spitze der Premier League und damit auch vor seinem Superrivalen Pep Guardiola.

Anders als in Dortmund hatte er sich nach einem Krisenjahr nicht verabschiedet, sondern noch einmal all seine Kraft hineingeworfen. Vielleicht auch, weil sein Ende beim BVB den Klub in eine tiefe Sinnkrise gestürzt hatte. Sportlich lief es noch, doch weil die ganz großen Erfolge ausblieben, wurden einfach all seine Nachfolger an dem ehemaligen Übungsleiter gemessen. Alle scheiterten irgendwann.

Slot verbessert Liverpool und Salah

Aber nicht Arne Slot in Liverpool. Das Team hat sich unter dem neuen Coach sogar noch einmal verbessert. Slot kontrolliert Spiele besser als Klopp, durch Ein- und Auswechselungen, durch taktische Feinjustierungen in der Halbzeit, die für viele Punktgewinne nach der Pause sorgten. Generell gelang es dem Niederländer, den LFC seine Spiele nun ausgeglichener und dominanter gestalten und - zumindest in der Premier League - die großen Partien gewinnen zu lassen.

Weil Slot in seinem Spielsystem einen echten Zehner einführt, dreht auch Superstürmer Mohamed Salah noch stärker auf als unter Klopp. Der Ägypter ist in dieser Saison bisher an 46 Toren direkt beteiligt (28 Treffer und 18 Assists) und hat damit den Rekord von Thierry Henry und Erling Haaland von 44 in einer 38-Spiele-Saison gebrochen. Der zweite, Alexander Isak von Newcastle United, folgt mit 28 Scorerpunkten weit dahinter. Vor der Partie gegen Tottenham hat Salah in diesem Jahr 310 Ballkontakte im gegnerischen Strafraum gesammelt, fast doppelt so viele wie Antoine Semenyo von Bournemouth auf Platz zwei (174). Es ist nur logisch, dass Salah und Abwehrdominator Virgil van Dijk, der unter Slot weitaus mehr in den Spielaufbau eingebunden wird, kurz vor dem Saisonfinale ihre Verträge verlängern.

Klopp wollte in Liverpool seinen alles Licht verschlingenden Schatten nicht noch einmal werfen. Das hatte in Dortmund zu viele Spuren hinterlassen. Er deckte also den Tisch, leitete den Umbruch ein und machte sich dann vom Acker. "Stellen Sie sich das so vor: Klopp hat die Lasagne zubereitet, sie in den Kühlschrank gestellt und alles dafür getan, dass die in Slots erster Saison auf den Tisch kommt. Das ist ihm perfekt gelungen", sagt Brassell.

Das Werk des Jürgen Klopp

Weniger perfekt gelungen war Klopp das Ende seiner Zeit in Liverpool. In der entscheidenden Phase der Saison konnten die Reds sich keine Trophäen mehr abholen. Es blieb nur der League Cup, den die Reds wenige Wochen nach der Abschiedsankündigung gewannen - und den Klopp als einen der wichtigsten seiner gesamten Karriere bezeichnete, weil wegen vieler Verletzungen etliche Youngster auf dem Rasen standen.

Slot und Klopp mögen und schätzen sich, schreiben sich regelmäßig Nachrichten. Den Vergleich mit dem Vorgänger beziehungsweise Nachfolger mögen sie überhaupt nicht. So will an der Anfield heute auch niemand hören, dass Slots Liverpool bisher "nur" 84 Punkte gesammelt hat. 12 könnten in den kommenden vier Partien zwar noch hinzukommen, aber Klopps Liverpool holte schon mal 99, 97 und 92 Punkte in einer Saison. Nur eine dieser Spielzeiten reichte wegen Manchester City, das in diesem Jahr eklatant schwächelte, zum Titel.

Die Liverpooler Meisterschaft 2024/2025 ist auch eine vom großen Jürgen Klopp. "Ab heute bin ich einer von Euch", hatte er zum Abschied durch das Stadion an der Anfield Road gerufen. Ab heute sei er ein Fan. Einer voller Widersprüche, wie sich mit seiner nächsten Anstellung beim Brausegiganten Red Bull herausstellte und einer, der doch alles dafür tat, dass sein Verein, der FC Liverpool, auch nach ihm Erfolge feiern kann.

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