Er steht für das neue Schalke. Loris Karius, seit rund zehn Monaten beim Revier-Klub und in dieser Saison Stammtorwart, stellt mit seinem Team die beste Defensive der Liga. Sieben Gegentore in zwölf Spielen, das ist aufstiegsreif – und eingestellter Vereinsrekord in 63 Jahren Profi-Fußball (wie 2005/06 unter Ralf Rangnick mit Keeper Frank Rost und den Innenverteidiger-Legenden Marcelo Bordon und Mladen Krstajic).

Sechsmal ließ der 32 Jahre alte Karius dabei kein Gegentor zu. Schalke hat neunmal gewonnen und als einziges Team der Zweiten Liga in dieser Saison nie die Punkte geteilt. So eine gute Bilanz nach zwölf Spieltagen hatte Königsblau zuletzt 1990/91. Das Team hätte mit einem Sieg am Samstag (13 Uhr, im Sport-Ticker der WELT) bei Preußen Münster bereits am 13. Spieltag so viele Siege wie in der kompletten Vorsaison (10).

Frage: Herr Karius, Schalke steht auf Platz zwei – und darf plötzlich vom Aufstieg träumen. Unterhält man sich mit Mitspielern von Ihnen, loben sie Ihre Führungsqualitäten in der Kabine. Wie genau gehen Sie voran?

Loris Karius: Das hängt natürlich in erster Linie an meiner Leistung. Aber klar: Ich habe in meiner Karriere schon einiges erlebt und möchte da auch ein Vorbild für jüngere Spieler sein. Sie können sich in manchen Situationen an mir festhalten, und meine Aufgabe ist es, ihnen ein gutes Gefühl zu geben. Wichtig ist, dass ich als erfahrener Spieler die nötige Bereitschaft vorlebe. Ich erinnere mich an meine Jugendzeit: Da ist mir vieles zugeflogen. Da hätte mir das eine oder andere Gespräch vielleicht auch gutgetan.

Frage: Wie meinen Sie das?

Karius: Ich hätte damals wahrscheinlich noch mehr trainieren können. Für mich ging es über Jahre nur nach oben, da macht man vielleicht etwas weniger, als man könnte. Ich investiere heute viel mehr Zeit in meinen Körper als damals. Vor allem während meiner Zeit in Liverpool habe ich erkannt, was Professionalität an jedem Tag bedeutet. Die Spieler haben ihr Leben nach dem Erfolg ausgerichtet. Da war der Kraftraum vor jedem und nach jedem Training voll. So etwas spornt an.

Frage: Was machen Sie heute mehr als damals?

Karius: Ich nehme alles wahr, was uns hier angeboten wird. Ich komme vor dem Training regelmäßig früher, um Gymnastik zu machen und mich von den Physios behandeln zu lassen. Nach den Einheiten gehe ich dann noch in den Kraftraum.

Frage: Stimmt es, dass Sie Nationalspieler Nico Schlotterbeck während Ihrer Zeit bei Union seinen Bizeps antrainiert haben?

Karius: Sagen wir es so: Der erste Impuls kam von mir. (lacht) Wir haben 2020/2021 gemeinsam bei Union Berlin gespielt. Schlotti war noch sehr jung und fast schmächtig. Irgendwann bin ich auf ihn zugegangen und habe ihm gesagt: „Komm, wir machen zwei- bis dreimal pro Woche Training unter meiner Anleitung!“ Er war davon begeistert, das Ergebnis hat man dann recht schnell sehen können. Und er zieht es bis heute durch.

Frage: Sie spielten in Liverpool unter Trainer Jürgen Klopp. Welche Eigenschaften von ihm erkennen Sie bei Ihrem aktuellen Trainer Miron Muslic wieder?

Karius: Miron kam im Gegensatz zu Klopp im Sommer hierher, ohne dass ihn die Öffentlichkeit wirklich kannte. Er musste sich das Standing, das er jetzt hat, erst einmal erarbeiten. Er musste von Tag eins an stark auftreten, damit er unsere Spieler erreicht – vor allem nach der schwachen und enttäuschenden Saison zuvor. Das hat er geschafft. Was ihn mit Klopp verbindet: Er ist sehr klar, direkt, fordernd. Und er ist sich nicht zu schade, einen Spieler zur Sau zu machen. Am nächsten Tag ist das aber vergessen, dann macht er Scherze mit dir. Das war bei Kloppo auch der Fall.

Frage: Als Sie im Januar 2025 zu Schalke kamen, waren Sie zuvor ein halbes Jahr vereinslos gewesen. Wie blicken Sie darauf zurück?

Karius: Ich war zuvor bei mehreren sehr großen Vereinen (zuletzt bei Newcastle, die Redaktion). Aber meine Rolle war klar: Ich war als Herausforderer die Nummer zwei. Das bedeutet: Ich konnte mich fast nur im Training zeigen. Und dann war es sehr schwierig, den Trainer zu überzeugen, auf mich zu setzen. Im Sommer 2024 lagen nicht die für mich passenden Angebote vor. Und im Oktober kam eine Phase, in der ich mich schon damit abgefunden hatte, dass erst einmal keine Anfragen mehr kommen werden.

Frage: Was haben Sie in der Zeit gemacht?

Karius: Neben meinem Beruf als Profi-Fußballer hatte ich schon immer vielfältige Interessen. Ich habe viel freie Zeit mit meiner Familie verbracht und habe mir Zeit genommen, anderen Interessen nachzugehen. Gleichzeitig habe ich trainiert, um in Form zu bleiben. Trotzdem waren das neue Erfahrungen, weil ich mir ohne straffen Trainingsplan mit einer Mannschaft meine Tage selbst gestalten konnte. Ich bin als DJ aufgetreten, bin für Hugo Boss bei der Fashion Week in Mailand über den Laufsteg gelaufen. Ich würde lügen, wenn ich sage, dass mir das keinen Spaß gemacht hat.

Frage: Bis Schalke sich gemeldet hat.

Karius: Genau, im Januar. Ab Dezember habe ich wieder intensiv fußballspezifisch trainiert, um für Anfragen im Winter bereit zu sein. Ich wollte mir selbst nicht vorwerfen, dass etwas geplatzt ist, nur weil ich nicht fit war. Aber ich bin kein Typ, der krampfhaft an etwas festhält. Und ich muss sagen: Hätte Schalke nicht angefragt, hätte ich wahrscheinlich sogar meine Karriere beendet. Umso schöner ist es, dass es hier nun so gut läuft. Dieser Verein hat mir von Anfang an Freude bereitet und viel gegeben.

Frage: Wollen Sie Ihre Karriere hier beenden?

Karius: So viele Verträge werde ich wahrscheinlich nicht mehr unterschreiben. Ich fühle mich auf Schalke pudelwohl. Wenn mein Vertrag hier ausläuft, bin ich 34 Jahre alt. Wir werden zu gegebener Zeit darüber sprechen, wie die jeweiligen Vorstellungen sind. Das sehe ich entspannt.

Frage: Wohnen Sie noch immer in einer WG mit Gladbachs Marvin Friedrich?

Karius: Ich habe das erste halbe Jahr bei ihm gewohnt. Mir hat das geholfen, gerade wenn man in eine Stadt kommt, in der man keinen kennt. Ich hatte sofort Anschluss und hatte einen Freund, mit dem ich mich austauschen konnte. Mittlerweile habe ich aber eine Wohnung gefunden, in der ich mich sehr wohlfühle und in der ich genügend Platz für meine Familie habe, wenn sie mich besuchen.

Frage: War es ein typisches WG-Leben mit Koch-Plan?

Karius: Wir haben abwechselnd Essen bestellt. (lacht)

Frage: Haben Sie noch heute spezielle Ratgeber?

Karius: Natürlich meine Frau. Im Verein ist unser Torwarttrainer Volkan Ünlü in der täglichen Arbeit ein wichtiger Ansprechpartner. Wir arbeiten eng und vertrauensvoll miteinander. Grundsätzlich habe ich heute auch noch mit fast allen ehemaligen Torwarttrainern einen guten Kontakt. Auch mit Michael Langer, der in der vergangenen Saison hier Torhüter war und nun ein Trainee-Programm im Verein macht, spreche ich gern. Als ehemaliger Torwart achtet er auf andere Dinge als andere Spieler. Michi ist ein sehr kommunikativer Mensch, zudem sehr loyal.

Frage: Was begeistert Sie bei Schalke am meisten?

Karius: Während der letzten Spiele in der vergangenen Saison entstand ein Keil zwischen Fans und Mannschaft, was ich aufgrund unserer schlechten Leistungen nachvollziehen konnte. Dass dann zur ersten Trainingseinheit 3000 Fans kommen und alle wieder nur nach vorn schauen und uns unterstützen. Dass beim ersten Heimspiel gegen Hertha fast das Dach wegfliegt, ist schon etwas Besonderes. Ich hätte nicht gedacht, dass hier so schnell wieder eine Einheit entsteht. Für uns ist das ein riesiger Vorteil.

Frage: Bald auch in der Bundesliga?

Karius: Das ist auf lange Sicht mein Ziel. Dafür trainiere ich jeden Tag – und dafür werde ich alles tun. Es ergibt allerdings keinen Sinn, es für diese Saison als klares Vorhaben auszurufen, dafür ist die Saison noch zu lang und die Liga zu stark. Wir denken aktuell nicht an März oder April, das wäre zu anstrengend und würde uns nur ablenken. Aber klar: Wir alle haben diesen großen Traum.

Das Interview wurde für das Sport-Kompetenzcenter (WELT, „Bild“, „Sport Bild“) erstellt und zuerst in der „Sport Bild“ veröffentlicht.

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