In Japans vierter Liga gibt es einen Verein, Atletico Suzuka, bei dem vor jedem Heimspiel ein schwarzer Mercedes vorfährt. Heraus steigt ein Mann im dreiteiligen Nadelstreifen-Anzug, das Einstecktuch perfekt drapiert, die Schuhe von Berluti: Kazuyoshi Miura, 58 Jahre alt. Zwei Stunden später wird Miura im Trikot an der Seitenlinie stehen und eingewechselt werden. „King Kazu“ nennen sie ihn hier. Und „King Kazu“ spielt nach anderen Regeln. Nicht weil er mit 58 Jahren noch als Fußballprofi aktiv ist. Sondern weil er dabei aussieht, als hätte er nebenbei noch einen Auftrag der Corleone-Familie zu erledigen.

Miura ist der vielleicht bunteste Hund des Fußballs: Er besitzt eine ganze Wohnung nur für seine Anzüge – und das in Tokio, wo der Quadratmeter so viel kostet wie anderswo ein Kleinwagen. Zwei Zimmer, keine Möbel, keine Küche. Nur Kleiderständer. Hunderte, vielleicht tausend Anzüge.

Ex-Nationalspieler Shinji Maezono hat dort übernachtet. Besser gesagt: In einem textilen Museum kampiert, wie er es beschreibt: „Wahnsinn! Wie viele Hundert Stück sind das?“ Miura schweigt dazu mit der Diskretion eines Schweizer Bankiers: „So viele sind es nun auch wieder nicht.“ Es ist die Bescheidenheit eines Mannes, der als Hobby „Mafia-Forschung“ angibt. Als promoviere er über die textile Semiotik der Cosa Nostra.

Er ist besessen von der Filmreihe „Der Pate“, hat das Werk um den Mafiaboss Don Corleone Hunderte Male gesehen und kennt jede Szene auswendig. Seine Lebensphilosophie basiert auf der Überzeugung, dass die äußere Erscheinung immer stimmen müsse – egal, wie dreckig das Geschäft sei. In Interviews bekennt er freimütig, dass seine extravagante Garderobe von diesem Film inspiriert ist.

Sein ehemaliger Yokohama-Teamkollege Matsui Daisuke erzählte von einem surrealen Anblick: Mitten in der industriellen Honda-Arbeiterstadt Suzuka, wo Funktionalität und Pragmatismus regieren, erschien Miura in einem Anzug, der so deplatziert wirkte, als hätte sich ein Stück Sizilien in Japan materialisiert. „Er stand da, italienische Mafia-Eleganz ausstrahlend, bevor er aufs Feld ging und mit voller Hingabe das Team anführte. Unglaublich.“ In dieser Welt aus Fabriken und Werkstätten bewegt sich Miura, der aussieht, als käme er direkt von einem Treffen der Familie.

Selbst für alltägliche Besorgungen im Supermarkt erscheint er standesgemäß gekleidet. Auf Nachfragen entgegnet er mit gespielter Beiläufigkeit, er sei „zufällig gerade im Anzug gewesen“ – als trüge man eben mal so nebenbei einen Smoking. Als er mal ausnahmsweise im Trainingsanzug einkaufte, reagierte eine ältere Kassiererin mit unverhohlenem Bedauern: „Heute ohne Anzug?“

1994 als erster Japaner in der italienischen Liga

Ein musikalisches Ritual begleitet Miura in seinen Lieblingsrestaurants: Bei seinem Erscheinen erklingt stets das Pate-Thema. Im „Four Seasons“ Mailand hält diese Tradition seit seiner Zeit bei Genua an, wo er 1994/1995 spielte – ein Pianist spielt die markante Melodie, sobald Miura das Hotel betritt. In seinem Stammlokal in Tokios Nishi-Azabu-Viertel gilt dieselbe ungeschriebene Regel. „Wenn ‚Speak Softly Love‘ dort ertönt, bin ich definitiv anwesend“, bestätigt er.

Restaurantbesucher erleben dort filmreife Auftritte: Die ersten Takte des berühmten Filmthemas erklingen, sie blicken auf und sehen einen 1,77 Meter großen Mann, der in seiner perfekten Mafia-Ästhetik dasteht und ihnen zunickt, als wäre die Szene direkt aus dem Meisterwerk von Regisseur Francis Ford Coppola entsprungen.

Dabei ist Kazuyoshi Miura weit mehr als ein Filmfreak mit Hang zum runden Leder. Er ist eine japanische Fußballlegende: Miura begann seine Profikarriere 1986 beim FC Santos in Brasilien, nachdem er mit 15 Jahren allein aus Japan emigriert war – eine Zukunft in Japans Fußball gab es damals noch nicht. Acht Jahre trainierte und spielte er in Südamerika, kehrte 1990 als Superstar zurück, gewann mit Verdy Kawasaki in der neuen J.League die ersten beiden Meisterschaften und wurde 1993 als erster J.League-MVP und „Asiens Fußballer des Jahres“ ausgezeichnet.

1992 schoss er Japan fast im Alleingang zum ersten Asien-Cup-Titel der Geschichte und wurde Spieler des Turniers. 1994 folgte ein Jahr in Italiens Serie A bei Genua – als erster Japaner in dieser Liga und mit einem legendären Tor für seinen FC im Derby gegen Sampdoria. Zwar setzte sich Miura in Genua letztendlich sportlich nicht durch, lernte aber, wie italienische Männer Anzüge tragen.

Für Japan bestritt Miura 89 Länderspiele, erzielte 55 Tore und wurde zum Idol. Die überraschende Nichtnominierung für die Weltmeisterschaft 1998 war das große Drama seiner Karriere. Miura spielte danach in Kroatien, Australien und Portugal, hielt dabei stets an seinem Stil- und Trainingsregime fest – pünktlich, kompromisslos, maßgeschneidert. Seit 2022 läuft er für Suzuka in der vierten japanischen Liga auf. 2025 schreibt er weiterhin Weltrekorde als ältester Profi im internationalen Fußball – und bleibt sich stilistisch wie athletisch treu. „In Italien habe ich gelernt, dass ein Mann mit Stil mehr Respekt bekommt als einer mit Geld“, sagt er.

Verheiratet seit 32 Jahren, Vater von zwei Söhnen

Miura ist seit 32 Jahren verheiratet mit Risako, 57, Ex-Model, heute Schmuckdesignerin. Zwei Söhne hat das Paar: Ryota, 27, Schauspieler, der in mehreren japanischen TV-Produktionen mitspielte. Und Kota, 22, der sich für einen anderen Weg entschieden hat und im Mixed Martial Arts brutale Kämpfe austrägt. Wo der Vater in maßgeschneiderten Anzügen zum Fußball geht, tritt Kota in Käfigen gegen andere Kämpfer an.

Er debütierte 2023 bei RIZIN, Japans größter MMA-Organisation, und hat bisher drei Profikämpfe bestritten. Sein Kampfname: „The Prince“ – eine Anspielung auf den Status seines Vaters als „King Kazu“. „Mein Vater hat mir Disziplin beigebracht“, sagt Kota, „er steht heute noch um fünf Uhr morgens auf, trainiert dreimal täglich. Wenn ich das mit 30 noch machen würde, wäre ich glücklich.“

Als Miura im Juni 2025 beim 2:1 gegen Yokohama eingewechselt wurde, wurde er damit zum ältesten aktiven Profi der Welt. Sein letztes Tor schoss er im November 2022 mit 55. Danach sagte er: „Ich möchte mein Spiel noch weiter verbessern.“ Ein 58-Jähriger in der vierten japanischen Liga, der sich noch ernsthaft verbessern will? Das klingt entweder nach komplettem Wahnsinn – oder der konsequentesten Form von Professionalität. Aber eigentlich ist das, was Miura macht, Performance. Miura spielt nicht mehr, er performt Fußball. Jeder Auftritt ist Theater, der Anzug ist das Kostüm.

Warum macht er das? Vielleicht hat Miura verstanden, dass Fußball im Kern Unterhaltung ist. Er bietet bessere Unterhaltung als 20-Jährige mit generischen Instagram-Frisuren. Vielleicht weiß er, dass sein Klub ihn nicht wegen seiner sportlichen Qualitäten hält, sondern weil sein Name Sponsoren anzieht und Fans ins Stadion von Suzuka lockt. „Ohne Miura“, sagte Ex-Teamkollege Calvin Jong-a-Pin, „gäbe es den Verein vielleicht nicht mehr.“ Oder er macht es einfach, weil er kann. Weil niemand ihn aufhält. Weil die Welt verrückt genug ist, ihm zu erlauben, in der vierten Liga herumzustolzieren.

Irgendwo in Tokio steht eine Wohnung voller Anzüge. Irgendwo in Suzuka läuft ein Mann über einen Platz, zu langsam für diesen Sport, aber perfekt angezogen für dieses Leben. Das Pate-Thema spielt dazu. Und „King Kazu“? Der lächelt. Und denkt vermutlich: „Ich werde ihnen ein Angebot machen, das sie nicht ablehnen können.“ Mit 58 Jahren. In der vierten Liga. Im Nadelstreifen. Besser geht’s nicht.

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