Der Erfolg von Kovac in Dortmund ist auch ein Verdienst des FC Bayern
Wenn Niko Kovac darüber spricht, was ihn beeinflusst und geprägt hat, kommt die Rede schnell auf seine Zeit beim FC Bayern. Allerdings weniger auf die 16 Monate, in denen er als Trainer beim deutschen Rekordmeister tätig war, sondern auf die zwei Jahre, in denen er selbst dort gespielt hat.
2001 hatte Uli Hoeneß den damals 29-jährigen Mittelfeldspieler nach München geholt – es war eine Zeit, in der sich die Bayern häuteten. In denen sie darum kämpften, jenen zweifelhaften Ruf wieder loszuwerden, den sie sich in den 1990er-Jahren erworben hatten: den des „FC Hollywood“.
Damals hatte das Starensemble von der Säbener Straße beinahe täglich für Schlagzeilen gesorgt. Interna, darunter viele Peinlichkeiten, wurden der Presse durchgesteckt. Oder spielten sich sogar komplett öffentlich ab, wie der Streit zwischen den Erzfeinden Lothar Matthäus und Jürgen Klinsmann.
Die Fans konnten, teils amüsiert, teils entsetzt, daran teilhaben, wenn Mario Basler die Nacht durchgezecht hatte oder Stefan Effenberg mit 1,07 Promille in einer Polizeikontrolle auffällig wurde. Die meisten dieser Vorfälle, aus denen die Boulevardpresse Honig saugen konnte, ereigneten sich in den Jahren bevor Kovac kam. Doch sie wirkten nach, waren immer noch Thema in der Kabine.
Vor allem aber bekam Kovac mit, wie es den Bayern gelang, den Weg zurück zur Seriosität zu finden – und vor allem: Wem es gelang. Sein Coach damals war Ottmar Hitzfeld. „Er hat mich als Trainer immer beeindruckt. Er ist eine ruhige Person mit Einfühlungsvermögen, der jedem Menschen mit Respekt begegnet. Und als Trainer? Da ist jedes Wort zu schwach, um seine Qualitäten zu würdigen“, sagte Kovac einmal. Wie Hitzfeld die schwierigen Charaktere in der Mannschaft einfangen hat, wie er die internen Spannungen ausbalanciert hat – all dies hat Kovac beeindruckt.
Unterschiede zwischen BVB und FC Bayern sind immer noch gewaltig
Die Wertschätzung für sein Vorbild hat über die Jahre sogar noch zugenommen. Denn Kovac musste leidvoll erfahren, wie schwer es ist, den Spagat hinzubekommen – zwischen sportlich notwendigen Entscheidungen und der Rücksichtnahme auf gewachsene Hierarchien.
Wenn Kovac am kommenden Samstag mit Borussia Dortmund beim FC Bayern (18.30 Uhr, im Sport-Ticker der WELT) antreten wird, tut er dies als ein gestandener, souveräner Trainer. Der BVB, in den vergangenen Jahren ein Synonym für Unbeständigkeit war, ist stabil wie lange nicht mehr. Der Tabellenzweite ist als einzige Mannschaft neben dem Tabellenführer aus München noch ungeschlagen.
Saisonübergreifend haben die Dortmunder 14 Spiele in Folge nicht verloren – nur eines weniger als die Bayern. Die Bundesliga kann sich endlich wieder auf einen „Deutschen Klassiker“ freuen, der den Namen verdient. Selbst wenn die Unterschiede zwischen den beiden erfolgreichsten Klubs der vergangenen Jahrzehnte immer noch gewaltig sind – und deutlich größer als die vier Punkte, die sie derzeit trennen.
Die schwarz-gelben Träume, dass den Bayern erstmals seit 13 Jahren der Titel streitig gemacht werden könnten, verbieten sich. „Wir sind bestimmt kein Topfavorit auf die Meisterschaft“, sagte Kovac WELT AM SONNTAG und verweist auf die 25 Punkte Rückstand, die der BVB in der vergangenen Saison auf die Bayern hatte. „Das sind Welten“, so der 53-Jährige. Dennoch wird sein Team in München nicht chancenlos sein. Denn es ist schwer, gegen den BVB Tore zu erzielen. Im bisherigen Saisonverlauf hatten sie vier zulassen müssen – nur eines mehr als die Bayern.
Die Kompaktheit ist eine komplett neue Dortmunder Qualität. Sie konnte erreicht werden, weil Kovac, seit er beim BVB ist, ein solides Fundament gelegt hat. Unmittelbar nachdem er im Februar gekommen war, wurde an der Ausdauer gearbeitet. Schon gegen Ende der vergangenen Saison zeigten sich Effekte: Die Mannschaft konnte, trotz zahlreicher englische Wochen zuvor, im Schlussspurt körperlich zulegen – und schaffte es doch noch in die Champions League.
Außerdem gelang es Kovac, eine homogene Einheit zu formen. Er schaffte es – eine auffällige Parallele zu seinem früheren Trainer Hitzfeld – zu den Egozentrikern durchzudringen. Ein Karim Adeymi, der mit seinem Hang zum laissez faire die Fans zur Weißglut gebracht hatte, arbeitet seit Monaten auch defensiv. Alle anderen Offensivspieler auch. Das entlastet die Abwehr. Gleichzeitig stärkte Kovac das Selbstvertrauen, indem er Spieler, wie den sensiblen Julian Brandt, stark redete. „Unsere Spieler haben viel gegrübelt. In solchen Phasen kann es hilfreich sein, wenn sie an ihre Stärken, ihre Qualitäten erinnert werden“, sagte er.
Dabei nahm Kovac wenig Rücksicht, ob er damit vielleicht seine eigene Glaubwürdigkeit in der Öffentlichkeit gefährden könnte. So verglich er Brandt mit Florian Wirtz und Jamal Musiala. Dafür wurde er müde belächelt. Wie auch, als er nach einer Niederlage in Bochum und einem Presseboykott seitens der Spieler erklärte, dies müsse man verstehen. Die Jungs müssten sich „um ihre Regeneration und um die Nahrungsaufnahme“ kümmern. Er selbst tat dies dann: Er gönnte sich eine Currywurst – und zwinkerte dabei den Journalisten zu.
In diesen Beobachtungen finden sich Antworten auf die Frage, warum Kovac in Dortmund das gelingt, was ihm als Cheftrainer der Bayern nur zum Teil gelungen ist: unumstritten zu sein. Kovac ist gereift, ihm unterlaufen keine entscheidenden Fehler mehr. Deshalb wird er sowohl öffentlich als auch in der Kabine anders wahrgenommen.
Denn ansatzweise erfolglos war er auch Bayern-Trainer nicht. 2018/19, in seiner ersten Saison, gewann er das Double. Dennoch gelang es ihm nicht, Führungsspieler auf seine Seite zu ziehen. Mats Hummels und Robert Lewandowski kritisierten seine Taktik als zu defensiv. Und in der zweiten Saison, nachdem Arjen Robben und Franck Ribery ihren Abschied erklärt hatten, nahmen die Spannungen zu.
Kovac trug selbst einen Teil dazu bei, als ihm in der Saisonvorbereitung ein verhängnisvoller Fauxpas unterlief. Auf die Frage, ob Thomas Müller gesetzt sei, antwortete er: „Wenn Not am Mann sein sollte, wird er mit Sicherheit auch seine Minuten bekommen.“ Es folgte eine monatelange Debatte. Kovac galt nun als „Killer“ von Führungsspielern. Am 3. November 2019 kam für ihn das Aus: Die Bayern unterlagen mit 1:5 ausgerechnet bei Eintracht Frankfurt, seinem Ex-Klub.
Die Erfahrungen, die Kovac in München gemacht hat, waren schmerzhaft, aber lehrreich. Die Fehler, die ihm dort unterlaufen waren, passieren ihm in Dortmund nicht mehr. Er hat sich vor allem kommunikativ deutlich verbessert – ist einfühlsamer im Umgang mit den Spielern und geschickter im Umgang mit der Presse. In Dortmund ist ihm deshalb das gelungen, woran er in München noch scheiterte: einen emotionalen Verein hinter sich zu versammeln.
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