Hellblaues Wunder überstrahlt die Leichtathletik-WM
Botswanas Team ist die Sensation dieser Leichtathletik-Weltmeisterschaften. Sprint-Superstar Letsile Tebogo verpasst zwar noch die Medaillen, seine Mannschaftskollegen liefern über 400 Meter jedoch herausragend ab. In der Staffel tun sie sich zusammen - und ringen die übermächtigen USA nieder.
Im strömenden Regen von Tokio schienen die US-Amerikaner am letzten Tag der Leichtathletik-Weltmeisterschaften alles im Griff zu haben. Schlussläufer Rai Benjamin hatte den Staffelstab als Führender übernommen, den 400-Meter-Hürden-Weltmeister trennte noch eine Stadionrunde vom Unvermeidbaren: US-Gold über 4x400 Meter. Neun der vergangenen zehn Finals über diese Strecke hatten die Staffeln der Vereinigten Staaten gewonnen. Doch auf der Zielgeraden erlebte nicht nur Rai Benjamin sein hellblaues Wunder.
Auch die mehr als 50.000 Zuschauenden im ausverkauften Nationalstadion, die trotz des katastrophalen Wetters ausharrten, staunten. Darüber, wie Collen Kebinatshipi in seinem hellblau leuchtenden Trikot inmitten unzähliger Pfützen seine letzten Reserven mobilisierte, den Rückstand auf den vermeintlich übermächtigen Favoriten verkürzte, aufschloss und im entscheidenden Moment vorbeizog. Nicht die USA stürmten nach 2:57,76 Minuten als Sieger über die Ziellinie, sondern Botswana. Eine absolute Sensation. Die jedoch, so überraschend das auch klingen mag, kaum jemanden ernsthaft erstaunt haben dürfte, der die Wettkämpfe in der japanischen Metropole aufmerksam verfolgt hat.
Denn natürlich war die Art und Weise, wie der erst 21 Jahre alte Kebinatshipi auf den letzten Metern zu Gold rannte, eine Sensation. Zumal Botswana damit zugleich als erste afrikanische 4x400-Meter-Staffel den WM-Titel in dieser so prestigeträchtigen Entscheidung feiern durfte, nachdem zuvor Kenia (1993) und Südafrika (2011) jeweils mit Silber sowie Nigeria (1995) und Südafrika (1999) mit Bronze ausgezeichnet worden waren. Der hellblaue Sturmlauf mit anschließendem Freudentanz im japanischen Dauerregen war aber auch die logische Konsequenz aus den acht Tagen Leichtathletik-WM, die diesem Höhepunkt am neunten und finalen Abend vorausgegangen waren.
Botswana schafft, was USA und Jamaika nicht gelingt
Schließlich hatten Lee Eppie, Letsile Tebogo, Bayapo Ndori und Collen Kebinatshipi bei dieser WM die Schlagzeilen (mit-)bestimmt, vor allem über die 400 Meter. Dort war es Eppie, Ndori und Kebinatshipi gelungen, geschlossen ins Finale einzuziehen. Drei Männer aus einem Land im Endlauf - das gelang auf den Sprintstrecken in Tokio nur Botswana. USA und Jamaika stellten zwar jeweils ein Duo in den Endläufen über 100 und 200 Meter, doch ein Trio im Finale brachte nur Botswana über 400 Meter an den Start.
Und dieses 400-Meter-Finale wurde zum ersten Schritt in der Legendenbildung des Collin Kebinatshipi. Der nur knapp 1,70 Meter große, eher schmale Langsprinter schien auch dort auf den entscheidenden Metern noch einmal deutlich zulegen zu können im Vergleich zur Konkurrenz. In 43,53 Sekunden lief er Weltjahresbestleistung, verbesserte seinen erst zwei Tage zuvor aufgestellten Landesrekord erneut und holte vor allem die zweite Goldmedaille überhaupt für Botswana bei Leichtathletik-Weltmeisterschaften. Dahinter jubelte Ndori über Bronze in 44,20 Sekunden, auch Eppie erzielte als Achter in 44,73 Sekunden eine starke Zeit.
Ein solcher Triumph bei einer WM war bis dahin nur Sprinterin Amantle Montsho 2011 im südkoreanischen Daegu gelungen. Montsho hatte damals über 400 Meter die erste botswanische WM-Medaille überhaupt geholt, sie wurde später jedoch wie der erste olympische Medaillengewinner des Landes (Nijel Amos mit 800-Meter-Silber 2012 in London) des Dopings überführt und gesperrt. Inzwischen steht eine neue Athletengeneration Botswanas im Fokus, deren Leistungen zwar auch kritisch beäugt werden; dieser Vorbehalt erfasst angesichts der vielfältigen Dopingskandale der vergangenen Jahrzehnte jedoch ohnehin alle herausragenden Leistungen in der olympischen Kernsportart.
"Botswanas Diamanten liegen nicht nur im Boden"
Während Kebinatshipi, Ndori und Eppie über 400 Meter brillierten, läuft der vierte Mann des Gold-Quartetts die Stadionrunde üblicherweise nur in der Saison-Vorbereitung: Letsile Tebogo. Seine Bestzeit von 44,29 Sekunden lässt allerdings mehr als nur vermuten, dass er auch auf der längsten Sprintstrecke zur Weltspitze gehören könnte. Der deutsche Rekord, nur zum Vergleich, liegt seit 1987 bei 44,33 Sekunden, und in diesem Jahrtausend sind nur zwei Deutsche überhaupt unter 45 Sekunden geblieben.
Tebogo konzentriert sich im Einzel jedoch auf die 100 und 200 Meter und hat mit seinen 22 Jahren schon ordentlich Eindruck hinterlassen. Bei der WM 2023 in Budapest holte er Silber über 100 Meter und Bronze über 200 Meter, die vorläufige Krönung folgte 2024 in Paris im 200-Meter-Finale: Tebogo krönte sich mit Afrikarekord zum ersten botswanischen Olympiasieger überhaupt. In Tokio reichte es nun "nur" zu Platz vier über die halbe Stadionrunde, das Finale über 100 Meter war für ihn wegen eines Fehlstarts schon beendet, bevor es angefangen hatte.
Vielleicht treiben ihn diese gefühlten Enttäuschungen im 4x400-Meter-Endlauf von Tokio an. Als Vierter übernimmt Tebogo von Startläufer Eppie, läuft das schnellste Teilstück der botswanischen Staffel und übergibt als Zweiter an Ndori. Der verkürzt den Rückstand auf die vom Start weg führenden USA und schickt Kebinatshipi auf die Reise, die mit dem goldenen Endspurt ihren Höhepunkt erreicht. Vor einem Jahr in Paris waren die USA auf den letzten Metern noch stärker gewesen, doch für Botswana folgt auf Olympia-Silber jetzt WM-Gold.
Dieser einmalige Sieg soll gebührend gefeiert werden, wie Staatschef Duma Boko am Rande der UN-Vollversammlung in New York sagte: "Ich werde jedem erzählen, dass Botswanas Diamanten nicht nur im Boden zu finden sind, sie sind auch unsere Weltmeister-Athleten." Damit diese Geschichte vom hellblauen Leichtathletik-Wunder auch wirklich jeder mitbekommt, ist dafür ein zusätzlicher Feiertag veranlasst worden. Am 29. September, direkt vor dem Nationalfeiertag, werden Lee Eppie, Letsile Tebogo, Bayapo Ndori und Collen Kebinatshipi ein weiteres Mal im Mittelpunkt stehen.
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