Der Kofferraum ist immer noch voll bepackt mit zahlreichen Umzugskartons. Ansonsten bietet der schwarze Mercedes-Van mit seinen acht Sitzen aber jede Menge Platz. Und den braucht Nick Woltemade in seinem Dienstwagen, den ihm Newcastle United zur Verfügung stellt, aktuell auch dringend. Schließlich haben den Stürmer nach seinem Wechsel vom VfB Stuttgart zu den „Magpies“ (Elstern) eine Handvoll Freunde aus seiner Bremer Heimat mit auf die Insel begleitet. „Sie erleichtern mir das Einleben hier. Ich muss meine Bude einrichten, mich um Essen kümmern. Da ist es schön, dass mich meine Kumpels neben dem ganzen Stress, den ich sonst noch habe, gut unterstützen“, erzählt Woltemade.

Eine Bleibe in England hat der Angreifer schnell gefunden. Woltemade entschied sich für ein Grundstück außerhalb von Newcastle, in der Nähe des Flughafens. Zum Trainingsgelände braucht der 23-Jährige mit dem Auto etwa eine halbe Stunde. Ein Reporter der „Sport Bild“ saß einen Tag vor seinem Debüt in der Premier League mit auf der Rückbank der Mercedes V-Klasse. Die größte Umstellung neben der neuen Umgebung: der englische Linksverkehr. Woltemade lacht: „Beim Kreisverkehr muss man ein bisschen aufpassen, weil das im Vergleich zu Deutschland schon sehr unterschiedlich ist. Aber ansonsten klappt es echt okay.“

Mehr als okay hingegen verlief am vergangenen Samstag Woltemades Premiere im Newcastle-Trikot. Beim 1:0 gegen die Wolverhampton Wanderers erzielte der DFB-Star in der 29. Minute den einzigen Treffer des Nachmittags. Kein Wunder, dass sich die klatschenden Zuschauer bei seiner Auswechslung Mitte der zweiten Halbzeit für den deutschen Zugang erhoben und frenetisch seinen Namen skandierten. Als der Reporter der „Sport Bild“ Woltemade nach der Partie traf, grinste er über beide Wangen: „Ein großartiger Tag. Wir haben gewonnen, ich habe getroffen. Natürlich bin ich sehr glücklich.“

Newcastles Trainer überzeugte Woltemade in intensiven Gesprächen

Überschwängliches Lob für seinen gelungenen Einstand gab es danach auch von Eddie Howe. „Das Tor hat er brillant erzielt. Nick war stark, ich war sehr zufrieden mit ihm“, befand der Newcastle-Trainer. Daran, dass Woltemade jetzt im Nordosten Englands auf Torejagd geht, hat Howe den größten Anteil. Nach Informationen der „Sport Bild“ überzeugte der Übungsleiter Ende August den Torjäger in intensiven Gesprächen vom Wechsel.

Howe versicherte Woltemade, dass er mit seiner Körpergröße und technischen Qualität gut ins Spielsystem seiner Mannschaft passe, er jedoch in puncto Athletik und Zweikampfführung noch einen Zahn zulegen müsse. Schließlich sei der Fußball in der Premier League schneller und intensiver als jener in der Bundesliga. Woltemade imponierten die Ausführungen. „Die Gespräche mit dem Trainer waren von Anfang an gut. Mir wurde sofort ein klarer Plan und ein Weg aufgezeigt. Die Leute haben Bock, mit mir hier zu arbeiten. Das freut mich sehr“, sagte Woltemade.

Letztlich trat Howe derart überzeugend auf, dass Woltemade seinen großen Wunsch, zum FC Bayern zu wechseln, vorerst fallen ließ. Die Münchner hatten im Sommer zwei schriftliche Angebote für den Offensivstar beim VfB eingereicht, kämpften bis kurz vor Ende der Transferperiode um eine Verpflichtung. 55 Millionen Euro Ablöse plus fünf Millionen Euro Boni waren den Stuttgartern aber zu wenig, der Deal scheiterte. Und das, obwohl Woltemade sich mit den Bayern bereits einig war. Der 1,98-Meter-Hüne hat während des monatelangen Transfer-Pokers nie ein Geheimnis daraus gemacht, dass er unbedingt zum deutschen Rekordmeister wechseln möchte.

Entscheidenden Anteil daran, dass Woltemade Feuer und Flamme für einen Wechsel nach München war, hatte eine ganz spezielle Person: Uli Hoeneß. Der Ehrenpräsident der Bayern meldete sich im Sommer gelegentlich beim damaligen Stuttgart-Star, drückte ihm am Telefon seine Wertschätzung aus. Anrufe, die Woltemade stets beeindruckten. „Uli Hoeneß ist eine sehr bekannte Person. Die Gespräche mit ihm waren angenehm, er hat mir ein sehr gutes Gefühl gegeben“, erzählt der Torjäger und schiebt nach: „Aber jetzt bin ich glücklich, in Newcastle zu sein.“

Anders als beim Bayern-Interesse hat sich Woltemade vor dem Deal mit Newcastle keinen Rat von Bundestrainer Julian Nagelsmann eingeholt. „Das ging schlussendlich alles recht schnell“, sagt Woltemade: „Grundsätzlich hat er mir aber immer gesagt: ‚Wenn irgendetwas ist, kannst du mich jederzeit anrufen.‘ Mittlerweile haben wir darüber gesprochen. Für ihn ist es wichtig, dass ich spiele. Solange das der Fall ist, ist alles in Ordnung. Ich glaube, er freut sich, dass ich am Wochenende ein Tor geschossen habe. Insofern bin ich sehr glücklich.“

Dass Woltemade kaum Zeit hatte, Nagelsmann vorab über seinen Wechsel nach England zu informieren, lag auch an der unerwarteten Dynamik, die die Verhandlungen zwischen Newcastle und Stuttgart plötzlich nahmen.

Die erste offizielle Offerte aus England ging beim VfB am späten Nachmittag des 28. August ein. Kurios: Weil die Bosse beider Vereine an diesem Tag im Rahmen der Champions- und Europa-League-Auslosung in Monte Carlo weilten, kam es noch am selben Abend gegen 21 Uhr zu einem persönlichen Treffen im Fürstentum.

Am Strand von Monaco erzielten VfB-Vorstandschef Alexander Wehrle und Sportvorstand Fabian Wohlgemuth bei einer Flasche Weißwein den Durchbruch in den Verhandlungen mit den Newcastle-Vertretern. Unter Dach und Fach brachten beide Klubs den Deal am nächsten Morgen in einem Hinterzimmer des 4-Sterne-Hotels „Le Méridien“, in dem die Offiziellen beider Vereine während der Auslosungs-Tage übernachteten.

Letztlich einigten sich der VfB und Newcastle auf einen Wechsel für 85 Millionen Euro plus fünf Millionen Euro Boni. Woltemade kassiert jetzt mit bis zu acht Millionen Euro pro Saison fast fünfmal so viel wie zuvor beim VfB.

Je erfolgreicher Woltemade ist, umso mehr kassiert der VfB Stuttgart

Die Summe der Fixablöse überweist Newcastle dem deutschen Pokalsieger in drei Raten binnen drei Jahren, wobei die erste Tranche die mit Abstand höchste Summe umfasst. Die möglichen Bonus-Zahlungen haben es ebenso in sich. Sollte Woltemade mit Newcastle die Premier League gewinnen, erhält der VfB weitere zwei Millionen Euro. Die gleiche Summe gibt es für einen Champions-League-Sieg. Erreicht er mit den Magpies das Halbfinale der Königsklasse, wird eine Million Euro fällig. Voraussetzung dafür ist, dass Woltemade mindestens 60 Prozent der Spielzeit auf dem Platz steht. Und: Wird der deutsche Nationalstürmer Torschützenkönig der Premier League, überweist Newcastle weitere 500.000 Euro nach Stuttgart.

Am vergangenen Samstag gegen Wolverhampton jedenfalls hat Woltemade gezeigt, dass er kaum Eingewöhnungszeit benötigt. Geht es nach Didi Hamann, der in der Saison 1998/99 selbst für Newcastle auf dem Platz stand (31 Einsätze), war der Schritt in die Premier League für den gebürtigen Bremer ohnehin genau der richtige. „Wenn du im Ausland bist, bringt dich das sowohl als Spieler als auch als Mensch weiter. An der Aufgabe, sich dort durchsetzen zu müssen, wächst man", sagte Hamann: „Selbst wenn er dort nur 25 Spiele macht, lernt er mehr, als wenn er in der Bundesliga geblieben wäre. Ich sehe das positiv und bin mir sicher, dass Woltemade in zwölf Monaten ein sehr viel besserer Spieler ist als jetzt.“

Schließlich verfüge der schlaksige Stürmer über viele Voraussetzungen, die in der körperbetonten englischen Liga besonders gefragt sind. „Man sieht bei Florian Wirtz, dass es eine gewisse Zeit brauchen kann, bis man sich an die Liga anpasst", sagte Hamann. Woltemade werde „schnell merken, dass nicht bei jedem Zweikampf abgepfiffen wird. Durch seine Größe hat er aber einen enormen Vorteil. Es ist extrem unangenehm, gegen Woltemade zu spielen. Es gibt in der Premier League wenige Spieler wie ihn, das ist ein großer Trumpf“.

Auftrumpfen möchte Woltemade am liebsten auch schon im nächsten Spiel für seinen neuen Klub. Mit Newcastle empfängt er am Donnerstag (21.00 Uhr, im Sport-Ticker der WELT) den FC Barcelona in der Champions League. Für Woltemade ist dieses Duell wieder eine Premiere, schließlich war er beim VfB in der vergangenen Saison nicht für den ­Königsklassen-Kader gemeldet. Nach seinem ersten Premier-League-Auftritt wartet nun also die höchste Bühne im Vereinsfußball.

Ein Unbekannter ist Woltemade in Newcastle ohnehin längst nicht mehr. Auch an den Tagen nach seinem Traum-Debüt sprechen ihn Fans auf der Straße oder im Supermarkt an, fragen freundlich nach Fotos. Für Woltemade kein Problem. Der Offensivmann übt sich in Demut, ist dankbar für die Herzlichkeit der Menschen, die ihm in seiner neuen Heimat entgegenschlägt.

Woltemade blickt zufrieden auf seinen Start in England zurück: „Es ist ein schönes Gefühl. Ich fühle mich schon jetzt sehr willkommen hier. Ich habe noch niemanden getroffen, der nicht freundlich und hilfsbereit war.“

Der Text wurde für das Sport-Kompetenzcenter (WELT, „Bild“, „Sport Bild“) erstellt und zuerst in der „Sport Bild“ veröffentlicht.

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