Dennis Schröder müsste längst ein deutscher Volksheld sein
Große Triumphe wie der EM-Titel der deutschen Basketballer werden im Rückblick durch die Macht der Bilder in Erinnerung bleiben. Der Moment des vor Glück weinenden Dennis Schröder (1,88 Meter), in den Armen seines Mitspielers Daniel Theis (2,03 Meter) Halt findend, wird dazu gehören.
So wie vor 40 Jahren der junge Boris Becker, als er seinen Matchball im Wimbledon-Finale verwandelte, den Körper im Bogen nach hinten durchdrückte und die Arme in den Himmel streckte. Oder Franz Beckenbauer nach dem WM-Titelgewinn 1990, allein auf dem Rasen des Stadio Olimpico in Rom, der Blick gedankenverloren, die Hände in den Taschen der beigen Hose. Bilder von deutschen Helden.
Es steht aber zu vermuten, dass Dennis Schröder nicht zu ihnen gehören wird. Nicht auf einer Stufe mit ihnen stehen wird. Trotz all der Triumphe – und der Bilder nach dem 88:83 (40:46) gegen die Türkei. Dabei müsste er spätestens jetzt in ihrem Kreis sein. Ein Volksheld. Im Zirkel der Beckers, Beckenbauers, Schumachers, Schmelings. Aber Schröder ist nicht angekommen im Volk. Und das ist zunächst mal rätselhaft.
Eventuell das Bundesverdienstkreuz für Schröder, aber wohl nie Liebling der Massen
Dennis Schröder, geboren genau vor 32 Jahren in Braunschweig. Seit 2013 NBA-Profi, Spieler des US-Teams Sacramento Kings in der weltweit besten Basketball-Liga, Weltmeister, nun auch Europameister, Kapitän der deutschen Nationalmannschaft. Es ist seine Generation, es ist seine Mannschaft, zweifelsohne. „Als MVP, All Star der EM und mit dem Titel hat Schröder nun eine Bilanz, die ihn in die Basketball-Ruhmeshalle bringen könnte. Diese ist nicht exklusiv für NBA-Spieler und Erfolge in der Liga. Der weltweite Basketball ist auch ein Teil davon, und Schröder dürfte Argumente haben“, schrieb das US-Magazin „Sports Illustrated“.
Und doch wird es wahrscheinlich anders kommen. Ruhmeshalle in den USA vielleicht ja, große Ehre in Deutschland eher nein. Eventuell das Bundesverdienstkreuz, aber wohl nie Liebling der Massen, der Stolz einer ganzen Nation. Dirk Nowitzki tragen die Deutschen im Herzen, Schröder nur im Kopf. Gerecht ist das nicht.
Schröder teilt das Schicksal von einem wie Alexander Zverev zu seinen besseren Tennis-Zeiten: Er kann noch so erfolgreich sein, die Anerkennung wird ihm auf breiter Ebene nicht zuteil.
Zverevs Olympiasieg für Deutschland ist im kollektiven Gedächtnis gefühlt schneller verwelkt als ein Vergissmeinnicht. Schröder könnt es ähnlich ergehen. Dass er die Mannschaft durch das EM-Turnier geführt hat, ihr Struktur gegeben und ihre Tektonik gestaltet hat, am Ende des Endspiels gegen die Türken die entscheidenden Punkte warf, wird in Zukunft wohl nur eine Randnotiz der Geschichte sein – und Schröder einer von vielen eines ohnehin schon außergewöhnlichen deutschen Ensembles. Verehrt allenfalls in der Basketball-Bubble, aktuell auf einer Erfolgswelle reitend, im deutschen Gedächtnis aber nicht fest verankert.
Schröder war immer dabei
Dabei müsste es anders sein. Schröder hat Deutschland nicht nur zu zwei so nicht zu erwartenden Triumphen geführt, er war auch immer dabei. Länderspiele, Weltmeisterschaften, Europameisterschaften, Olympia – ein deutsches Team und eben Dennis Schröder. Es gibt NBA-Spieler, die gern die ein oder andere Pflichtaufgabe schwänzen und sich die Rosinen rauspicken. Auch im deutschen Lager. Schröder aber war verlässlich. Den Weg zum WM-Titel 2023 – als wertvollster Spieler des Turniers – und nun zur EM-Krönung in Lettland führte er an wie einst Lothar Matthäus oder Jürgen Klinsmann. Schröder war schon zu Dirk Nowitzkis Zeiten Nationalspieler, als der größte deutsche Spieler abtrat, schmiss er den Laden.
Sein Engagement geht zudem weit darüber hinaus. Er ist Hauptgesellschafter des Teams Basketball Löwen Braunschweig, was die finanzielle Stabilität des Vereins sichert und die Zukunft der Basketballszene in seiner Heimatstadt fördert. Mit seinem Geld werden in Braunschweig Basketballprojekte ins Leben gerufen, benachteiligte Kinder gefördert und Bildungseinrichtungen gebaut.
Dennis Schröder war einst einer, der mit goldenem Maserati, teuren Markenklamotten und seinen Millionen geprotzt hat. Einer, der auch heute noch einfach so hinausposaunt („Die NBA ist moderne Sklaverei“), ohne daran zu denken, was der Nachhall sein könnte. Unterm Strich aber ist Dennis Schröder auch einer, der gereift ist, dreifacher Vater, ein Familienmensch. Er ist manchmal unverblümt, aber immer authentisch. Und einer, der unfassbar viel für den Basketball in Deutschland geleistet hat. Das geht oft unter.
Dennoch schwimmt etwas an der Oberfläche, Schröder hat es vor der EM im „Stern“ benannt: „Ich werde in diesem Land nicht die gleiche Liebe bekommen, weil ich dunkelhäutig bin“, sagte er. Die Aussage bezog sich darauf, dass er bei Olympia in Paris die deutsche Fahne tragen durfte, wie einst Dirk Nowitzki. Nur eben mit dem Unterschied, dass er sich nicht so geliebt fühle wie Nowitzki.
Von der Hand zu weisen ist das nicht. Das gesellschaftliche Klima in Deutschland wieder ist so unreif und roh geworden, dass der Braunschweiger Junge, Sohn einer Gambierin und eines Deutschen, tun kann, was er will: Am Ende wird er nie letztgültig aus diesem Teufelskreis der Ablehnung herausgekommen, der ihn schon seit der Kindheit begleitet hat.
Deutschland giert nach Helden. Dennis Schröder ist einer, und auch einer der größten deutschen Sportler der Geschichte. Jetzt gilt es, das anzuerkennen.
Patrick Krull ist Sportredakteur der WELT. Sein Dank geht an Dennis Schröder und den Rest des Teams. Das EM-Finale in Riga hat ihn so emotionalisiert wie einst 1990 der WM-Titel der deutschen Fußballer, als in seiner kleinen Kreisstadt im Norden die Leute aus den Dörfern scharenweise mit Treckern und Anhängern bei seiner Stammkneipe „Klackermatsch“ vorfuhren und von einem Hänger ein aus irgendeinem Vorgarten gemopster Fahnenmast mit deutscher Flagge gehievt wurde, den sie dann unter lautem Jubel an die Häuserwand lehnten.
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