„Menschlich schwierig“ – Der Meister droht auseinanderzubrechen
Wenn der Überflieger seiner Sportart auf Normalmaß schrumpft, muss etwas Grundlegendes passiert sein. Mathias Gidsel, zweimaliger Welthandballer und aktueller Olympiasieger aus Dänemark, brauchte jedenfalls eine Weile, um die schlimme Schmach einzuordnen.
Zunächst verschwand er nach dem 32:39 (13:22) daheim gegen den SC Magdeburg in der Mannschaftskabine der Füchse Berlin, um sich zu sammeln. Erst dann nahm er mit Tränen in den Augen Stellung zum Beben, das den Hauptstadtklub am Donnerstag erreicht hatte und im Rauswurf von Trainer Jaron Siewert und Sportvorstand Stefan Kretzschmar gemündet war.
„Das war menschlich schwierig, hier zu stehen. Das kannst du nicht weglegen. Alle wissen, was Jaron und Kretzsche für mich persönlich bedeuten. Es trifft uns sehr hart, wenn so eine Nachricht kommt“, sagte der rechte Rückraumspieler, der sich im Spiel ungewohnt viele Fehler geleistet hatte: „Das ist eine menschliche Reaktion, und es ist schwer, damit umzugehen.“
Gerüchte, dass sich Teile der Mannschaft für die Freistellung von Siewert starkgemacht hätten, wies Gidsel allerdings entschieden zurück. „Zu sagen, das ist unsere Entscheidung, ist falsch. Der Verein hat diese Entscheidung getroffen, weil er denkt, das ist das Beste für die Zukunft. Aber für uns Spieler macht es das nicht einfacher“, sagte Gidsel.
Niemand bei den Füchsen in Normalform
Wie sehr selbst Profis bei der Ausübung ihres Berufs unter dem personellen Beben in der Führungsriege leiden, war in den 60 Minuten in der Berliner Max-Schmeling-Halle zu sehen. Gidsel traf nur acht seiner 13 Versuche und zeigte eine seiner schwächsten Leistungen, seitdem er 2022 nach Berlin gewechselt ist.
Er stand damit symbolisch für ein mehr als verunsichertes Team – denn niemand im Kader bei den Berlinern erreichte auch nur annähernd Normalform. Ganz anders als die Gäste, bei denen hinten Torhüter Sergey Hernandez mit einer Quote abgewehrter Bälle von 33 Prozent überragte, und vorn Gisli Kristjansson immer wieder Lücken im Abwehrverbund der Berliner fand. Am Ende stand der Spielmacher der Magdeburger bei fünf Toren und war gemeinsam mit Zugang Elvar Örn Jonsson (MT Melsungen, sechs Tore) der spielentscheidende Mann im Angriff.
Dass die Reaktion vom Publikum entsprechend heftig ausfiel, ist kaum verwunderlich. Erst buhten und pfiffen die eigenen Fans Bob Hanning gnadenlos aus und beschimpfen ihn sogar. Dann verspotten auch noch die mitgereisten Magdeburger Anhänger den mächtigen Vereinsboss der Füchse Berlin. Der turbulente Doppel-Rauswurf ging erst einmal nach hinten los.
Der Verein hatte auf die Ankündigung Kretzschmars, am Ende der Saison Schluss zu machen, zwei Tage später mit der prompten Entlassung des Sportvorstandes reagiert. Dass auch Meistercoach Siewert gehen musste, kam für viele überraschend. Denn, wie Hanning anmerkte, lag für den Trainer bereits ein unterschriftsreifer Vertrag bereit. Doch dann entschied man sich, für den kompletten Neuaufbau auf der sportlichen Führungsbühne – und das nicht während der Sommerpause, sondern nach dem zweiten Spieltag.
In Partie eins nach dem Führungsbeben präsentierte sich der Meister phasenweise wie ein Absteiger und wurde in der Neuauflage des Champions-League-Finales 2025 in eigener Halle vorgeführt. Zwischenzeitlich lag Magdeburg sogar mit zwölf Toren vorn. Und Schuld am Debakel trug in den Augen der Fans nur einer: Geschäftsführer Hanning. „Ich muss das jetzt so nehmen. Es ist leicht, keine Verantwortung zu tragen und eine Meinung zu haben“, entgegnete Hanning am ARD-Mikrofon dem Ärger der Fans und stellte klar: „Ich bin persönlich absolut überzeugt davon, dass wir die richtige Entscheidung getroffen haben.“ Um ihn herum hielten die Zuschauer Plakate mit emotionalen Danksagungen an Kretzschmar und Siewert nach oben.
„Ohne Jaron habt ihr keine Chance“
Besonders bitter wurde es für Hanning, als sich auch noch die Gäste-Fans über ihn lustig machten. „Ohne Jaron habt ihr keine Chance“, stimmte der Magdeburger Block in der zweiten Halbzeit an. Hanning ließ sich zumindest äußerlich nichts anmerken, nahm nach dem Abpfiff einen Schluck Cola und verschwand dann allein in den Katakomben.
Auf der abschließenden Pressekonferenz saß neben dem glücklichen SCM-Coach Bennet Wiegert lediglich Nicolej Krickau – der neue starke Mann bei den Füchsen, der die Jobs von Siewert und Kretzschmar nun in Personalunion ausübt. Der Däne erlebte ein Debüt zum Vergessen, wurde ebenfalls lautstark ausgepfiffen. „Ich verstehe die Reaktion völlig. Am Ende zeigt sie den Respekt der Fans vor Jaron“, befand der 38-Jährige immerhin ehrlich.
Wenige Monate nach der besten Saison in der Vereinshistorie drohen die Füchse Berlin, auseinanderzubrechen. Krickau weiß, dass die emotionalen Tage nicht spurlos an den Spielern vorbeigegangen sind. Die Frage ist: Wie lange benötigt das Team für die Verarbeitung?
Am Donnerstag starten die Berliner in die Champions-League-Saison gegen Nantes, am Sonntag wartet in der Bundesliga im VfL Gummersbach der nächste gute Gegner. „Ich kann mir nicht vorstellen, dass eine Top-Leistung gegen Nantes oder Gummersbach kommt“, sagte Krickau. Er erwarte, dass die Spieler die turbulenten Tage nicht so schnell verdauen. „Die Realität ist anders. Ich habe keine Ahnung, wie die einzelnen Persönlichkeiten reagieren. Wir müssen ganz viel Fokus auf den Prozess legen“, kündigte der Coach an.
Obwohl sich Gidsel gegen Gerüchte wehrte, die Mannschaft habe in irgendeiner Weise Einfluss auf das Personalbeben genommen, ist es in Handballkreisen längst ein offenes Geheimnis, dass der Welthandballer seit geraumer Zeit Krickau als Trainer favorisiert. Die beiden verbindet ihre gemeinsame Vergangenheit beim dänischen Klub GOG Handbold. Dass der Machtkampf in der Berliner Führungsetage aber so rasant und folgenschwer eskaliert, damit dürfte der Däne kaum gerechnet haben.
Fest steht: Die Füchse Berlin können sich keinen Durchhänger erlauben, wenn sie an die Ergebnisse der Vorsaison anknüpfen wollen. Nach dem ersten Meistertitel sowie dem Finaleinzug in der Königsklasse sind die Ansprüche gestiegen. „Wir freuen uns jetzt auf morgen, weil die letzten beiden Tage waren nur ein Versuch, für heute bereit zu sein. Ab morgen fangen wir richtig an. Wir kommen stark zurück, wenn wir ein paar Tage mehr haben“, versprach Krickau.
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